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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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viel von der preußischen Heereseinrichtung. "Preußen", heißt es da, "gleicht
einem Menschen, welcher nur mit einer Ladung in den Kampf geht; wirft er
den Gegner dann nicht mit dem ersten Schuß um, so bleibt er waffenlos ihm
gegenüber. Einem Staate gegenüber, den man nicht mit einem mal stürzen
kann, wie z. B. Frankreich, von Rußland gar nicht zu reden, ist also offenbar
ein Andrang Preußens nichts mehr als ein Platzregen im Sommer, dessen
Ende sich unter dem ersten Wetterdach abwarten läßt." -- Ob man jetzt an
der Newa anders urtheilen wird, müssen wir dahingestellt sein lassen, können
wir aber ruhig abwarten. Noch schroffer abweisend wird der Einfluß des
preußischen Kriegswesens auf das russische aufgefaßt; fast alles, was dort als
fehlerhaft angesehen wird, schreibt Fadejew diesem Einfluß zu. Von der
russischen Reiterei namentlich gesteht er zwar zu, daß sie im großen und
ganzen nicht viel" tauge, obwohl sie eine Auswahl von guten Pferden zu ihrer
Verfügung habe und obwohl das Reich in einem Theil der Kosaken treffliche
geborne Reiter besitze; aber die "pedantischen" norddeutschen, besonders preu¬
ßischen Officiere, welche in ihrer Heimath noch keinen Menschen auch nur ge¬
gesehen hätten, der zu reiten verstünde, und als Jnstructoren angestellt gewesen
wären, hätten seit Friedrich d. Gr. alles verdorben. Von ihnen sei das
Manege-Reiten eingeführt worden und das künstliche Dritten von Rekruten,
welche in ihrem früheren bürgerlichen Leben niemals zu Pferde gesessen hätten
und keinerlei Beruf zu Cavalleristen besäßen. "Die Reiterei aber wird, so lange
der Mensch nicht in dem Grade mit dem Pferde verwachsen ist, daß die vier
Füße des Rosses sich für ihn in seine eigenen verwandeln, im Gefecht wenig
Vortheil bringen; die allerverzweifeltste Tapferkeit eines Cavalleristen, welcher,
wenn er im Sattel sitzt, sich nicht als vierfüßiger Centaur fühlt, ist nichts
anderes als die Tapferkeit eines vom Schlage gelähmten Jnfanteristen."

Diesen Grundsätzen gemäß dringt Fadejew darauf, die Kosaken, nament¬
lich die Donischen, in reguläre Cavallerie zu verwandeln. Sie sind,
wie er sagt, "niemals eine irreguläre Reiterei in der eigentlichen Bedeutung
des Wortes gewesen; sie waren nur keine Manegecavallerie! Das, was man
irreguläre Reiterei nennt, sind z. B. die Kurden und Tschetschenzen, welche
nicht nur keine geschlossenen Reihen kennen, sondern auch niemals in Massen
operiren. Bei diesen letzteren thut jeder Einzelne, was er will, eine allge¬
meine Leitung und ein Commando giebt es nicht, fondern die Gewandtheit
des Einzelnen ersetzt den Willen des Befehlshabers, weshalb sie auch im
Partisanenkrieg so brauchbar sind, im Felde aber zum offnen Kampfe nicht
taugen, es sei denn bei der Verfolgung. Die Kosaken dagegen, obgleich sie
ebenfalls in zerstreuten Haufen gegen den Feind agiren können, haben sich in
der Schlacht immer in einreihiger Fronte formirr und thun das auch noch
jetzt. Ihre Bewegungen sind freilich nicht so regelrecht und ihre Attake nicht


viel von der preußischen Heereseinrichtung. „Preußen", heißt es da, „gleicht
einem Menschen, welcher nur mit einer Ladung in den Kampf geht; wirft er
den Gegner dann nicht mit dem ersten Schuß um, so bleibt er waffenlos ihm
gegenüber. Einem Staate gegenüber, den man nicht mit einem mal stürzen
kann, wie z. B. Frankreich, von Rußland gar nicht zu reden, ist also offenbar
ein Andrang Preußens nichts mehr als ein Platzregen im Sommer, dessen
Ende sich unter dem ersten Wetterdach abwarten läßt." — Ob man jetzt an
der Newa anders urtheilen wird, müssen wir dahingestellt sein lassen, können
wir aber ruhig abwarten. Noch schroffer abweisend wird der Einfluß des
preußischen Kriegswesens auf das russische aufgefaßt; fast alles, was dort als
fehlerhaft angesehen wird, schreibt Fadejew diesem Einfluß zu. Von der
russischen Reiterei namentlich gesteht er zwar zu, daß sie im großen und
ganzen nicht viel" tauge, obwohl sie eine Auswahl von guten Pferden zu ihrer
Verfügung habe und obwohl das Reich in einem Theil der Kosaken treffliche
geborne Reiter besitze; aber die „pedantischen" norddeutschen, besonders preu¬
ßischen Officiere, welche in ihrer Heimath noch keinen Menschen auch nur ge¬
gesehen hätten, der zu reiten verstünde, und als Jnstructoren angestellt gewesen
wären, hätten seit Friedrich d. Gr. alles verdorben. Von ihnen sei das
Manege-Reiten eingeführt worden und das künstliche Dritten von Rekruten,
welche in ihrem früheren bürgerlichen Leben niemals zu Pferde gesessen hätten
und keinerlei Beruf zu Cavalleristen besäßen. „Die Reiterei aber wird, so lange
der Mensch nicht in dem Grade mit dem Pferde verwachsen ist, daß die vier
Füße des Rosses sich für ihn in seine eigenen verwandeln, im Gefecht wenig
Vortheil bringen; die allerverzweifeltste Tapferkeit eines Cavalleristen, welcher,
wenn er im Sattel sitzt, sich nicht als vierfüßiger Centaur fühlt, ist nichts
anderes als die Tapferkeit eines vom Schlage gelähmten Jnfanteristen."

Diesen Grundsätzen gemäß dringt Fadejew darauf, die Kosaken, nament¬
lich die Donischen, in reguläre Cavallerie zu verwandeln. Sie sind,
wie er sagt, „niemals eine irreguläre Reiterei in der eigentlichen Bedeutung
des Wortes gewesen; sie waren nur keine Manegecavallerie! Das, was man
irreguläre Reiterei nennt, sind z. B. die Kurden und Tschetschenzen, welche
nicht nur keine geschlossenen Reihen kennen, sondern auch niemals in Massen
operiren. Bei diesen letzteren thut jeder Einzelne, was er will, eine allge¬
meine Leitung und ein Commando giebt es nicht, fondern die Gewandtheit
des Einzelnen ersetzt den Willen des Befehlshabers, weshalb sie auch im
Partisanenkrieg so brauchbar sind, im Felde aber zum offnen Kampfe nicht
taugen, es sei denn bei der Verfolgung. Die Kosaken dagegen, obgleich sie
ebenfalls in zerstreuten Haufen gegen den Feind agiren können, haben sich in
der Schlacht immer in einreihiger Fronte formirr und thun das auch noch
jetzt. Ihre Bewegungen sind freilich nicht so regelrecht und ihre Attake nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/251>, abgerufen am 24.07.2024.