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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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dieser Wissenschaft zusammenfaßt. Damals sammelte Oppenheim eine aus¬
erwählte Schaar von Studenten um sich, welche von ihrem, selbst noch jugend¬
lichen Lehrer für ihr ganzes Leben die politische Richtung empfingen und
heute noch mit derselben Achtung von ihm sprachen, wie damals. Friedrich
Kapp z. B. war auch darunter.

Oppenheim, anstatt die akademische Carriere als Jacobs-Leiter zu be¬
nutzen, hängte bald schon dieses Amt an den Nagel, wahrscheinlich weil er
in dieser Stellung nicht die ganze Unabhängigkeit fand, deren er bedürfte.
Denn er hatte stets das Bedürfniß, nicht nur seinen Schülern, sondern Aller¬
welt rücksichtslos die Wahrheit zu sagen, ohne sich dadurch beirren zu
lassen, ob er sich dadurch abwechselnd nach Oben oder nach Unten mi߬
liebig mache.

Vor dreißig oder vierzig Jahren war es Mode, dem deutschen Volk alles
Böse nachzusagen. Ein berühmter Publicist schrieb damals, obgleich selbst
ein Deutscher, von Paris aus über die "Hunde-Demuth" der Deutschen, dieser
Nation von "Kellnern und Hausknechten". Heut zu Tage ist die entgegen¬
gesetzte Tonart Mode. Wir berauschen uns förmlich in dem Vollgefühle
unserer Tugenden. Weder das Eine, noch das Andere ist gut. Wir
haben nicht nöthig, daß man uns beschimpft. Aber es kann nicht schaden,
stets Jemanden um sich zu haben, welcher uns in aufrichtiger Freundschaft
und philosophischem Gleichmuthe stets die Wahrheit sagt, auch wenn sie herb
ist. Diesen Dienst hat H. B. Oppenheim seit einem Menschenalter der deut¬
schen Nation als getreuer Eckart unablässig erwiesen. Und den deutschen
Großen auch. Die letztern nahmen es übel, so daß Oppenheim aus Anlaß
der Verfolgungen, welche ihm zu Theil wurden, längere Zeit im Auslande
(namentlich in London und Paris) verweilen und daneben von diversen Am-
nestieen Gebrauch machen mußte, um politische Verurteilungen, welche ihn
getroffen, wieder los zu werden. Das Exil stählte seinen Charakter und
erweiterte sein, von Haus aus auf sehr solider Grundlage ruhendes Wissen.

Nach Deutschland wieder zurückgekehrt, gründete er in Berlin, wo er
damals schon den Mittelpunkt Deutschlands erblickte, 1862 die "Deutschen
Jahrbücher", eine politische Revue, wie sie Deutschland seitdem nicht wieder
gehabt hat. Er hoffte damals, eine liberale Bewegung, ausgehend von
Preußen, werde die Einheit Deutschlands begründen. Als aber ein, aus den
konservativen Reihen hervorgegangener Staatsmann diese Aufgabe, vor
welcher die "moralischen Eroberer" zurückschreckten, in die zwar anscheinend
junkerhafte, aber entschlossene Hand nahm, da ließ sich Oppenheim, obgleich
damals das Genie Bismarck's noch nicht anerkannt war, obgleich Oppenheim
erst kurz vorher von preußischen Gerichten wegen eines prägnanten Ausdrucks
seiner politischen Meinung zu einer längeren Freiheitsstrafe verurtheilt worden,


dieser Wissenschaft zusammenfaßt. Damals sammelte Oppenheim eine aus¬
erwählte Schaar von Studenten um sich, welche von ihrem, selbst noch jugend¬
lichen Lehrer für ihr ganzes Leben die politische Richtung empfingen und
heute noch mit derselben Achtung von ihm sprachen, wie damals. Friedrich
Kapp z. B. war auch darunter.

Oppenheim, anstatt die akademische Carriere als Jacobs-Leiter zu be¬
nutzen, hängte bald schon dieses Amt an den Nagel, wahrscheinlich weil er
in dieser Stellung nicht die ganze Unabhängigkeit fand, deren er bedürfte.
Denn er hatte stets das Bedürfniß, nicht nur seinen Schülern, sondern Aller¬
welt rücksichtslos die Wahrheit zu sagen, ohne sich dadurch beirren zu
lassen, ob er sich dadurch abwechselnd nach Oben oder nach Unten mi߬
liebig mache.

Vor dreißig oder vierzig Jahren war es Mode, dem deutschen Volk alles
Böse nachzusagen. Ein berühmter Publicist schrieb damals, obgleich selbst
ein Deutscher, von Paris aus über die „Hunde-Demuth" der Deutschen, dieser
Nation von „Kellnern und Hausknechten". Heut zu Tage ist die entgegen¬
gesetzte Tonart Mode. Wir berauschen uns förmlich in dem Vollgefühle
unserer Tugenden. Weder das Eine, noch das Andere ist gut. Wir
haben nicht nöthig, daß man uns beschimpft. Aber es kann nicht schaden,
stets Jemanden um sich zu haben, welcher uns in aufrichtiger Freundschaft
und philosophischem Gleichmuthe stets die Wahrheit sagt, auch wenn sie herb
ist. Diesen Dienst hat H. B. Oppenheim seit einem Menschenalter der deut¬
schen Nation als getreuer Eckart unablässig erwiesen. Und den deutschen
Großen auch. Die letztern nahmen es übel, so daß Oppenheim aus Anlaß
der Verfolgungen, welche ihm zu Theil wurden, längere Zeit im Auslande
(namentlich in London und Paris) verweilen und daneben von diversen Am-
nestieen Gebrauch machen mußte, um politische Verurteilungen, welche ihn
getroffen, wieder los zu werden. Das Exil stählte seinen Charakter und
erweiterte sein, von Haus aus auf sehr solider Grundlage ruhendes Wissen.

Nach Deutschland wieder zurückgekehrt, gründete er in Berlin, wo er
damals schon den Mittelpunkt Deutschlands erblickte, 1862 die „Deutschen
Jahrbücher", eine politische Revue, wie sie Deutschland seitdem nicht wieder
gehabt hat. Er hoffte damals, eine liberale Bewegung, ausgehend von
Preußen, werde die Einheit Deutschlands begründen. Als aber ein, aus den
konservativen Reihen hervorgegangener Staatsmann diese Aufgabe, vor
welcher die „moralischen Eroberer" zurückschreckten, in die zwar anscheinend
junkerhafte, aber entschlossene Hand nahm, da ließ sich Oppenheim, obgleich
damals das Genie Bismarck's noch nicht anerkannt war, obgleich Oppenheim
erst kurz vorher von preußischen Gerichten wegen eines prägnanten Ausdrucks
seiner politischen Meinung zu einer längeren Freiheitsstrafe verurtheilt worden,


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[0231] dieser Wissenschaft zusammenfaßt. Damals sammelte Oppenheim eine aus¬ erwählte Schaar von Studenten um sich, welche von ihrem, selbst noch jugend¬ lichen Lehrer für ihr ganzes Leben die politische Richtung empfingen und heute noch mit derselben Achtung von ihm sprachen, wie damals. Friedrich Kapp z. B. war auch darunter. Oppenheim, anstatt die akademische Carriere als Jacobs-Leiter zu be¬ nutzen, hängte bald schon dieses Amt an den Nagel, wahrscheinlich weil er in dieser Stellung nicht die ganze Unabhängigkeit fand, deren er bedürfte. Denn er hatte stets das Bedürfniß, nicht nur seinen Schülern, sondern Aller¬ welt rücksichtslos die Wahrheit zu sagen, ohne sich dadurch beirren zu lassen, ob er sich dadurch abwechselnd nach Oben oder nach Unten mi߬ liebig mache. Vor dreißig oder vierzig Jahren war es Mode, dem deutschen Volk alles Böse nachzusagen. Ein berühmter Publicist schrieb damals, obgleich selbst ein Deutscher, von Paris aus über die „Hunde-Demuth" der Deutschen, dieser Nation von „Kellnern und Hausknechten". Heut zu Tage ist die entgegen¬ gesetzte Tonart Mode. Wir berauschen uns förmlich in dem Vollgefühle unserer Tugenden. Weder das Eine, noch das Andere ist gut. Wir haben nicht nöthig, daß man uns beschimpft. Aber es kann nicht schaden, stets Jemanden um sich zu haben, welcher uns in aufrichtiger Freundschaft und philosophischem Gleichmuthe stets die Wahrheit sagt, auch wenn sie herb ist. Diesen Dienst hat H. B. Oppenheim seit einem Menschenalter der deut¬ schen Nation als getreuer Eckart unablässig erwiesen. Und den deutschen Großen auch. Die letztern nahmen es übel, so daß Oppenheim aus Anlaß der Verfolgungen, welche ihm zu Theil wurden, längere Zeit im Auslande (namentlich in London und Paris) verweilen und daneben von diversen Am- nestieen Gebrauch machen mußte, um politische Verurteilungen, welche ihn getroffen, wieder los zu werden. Das Exil stählte seinen Charakter und erweiterte sein, von Haus aus auf sehr solider Grundlage ruhendes Wissen. Nach Deutschland wieder zurückgekehrt, gründete er in Berlin, wo er damals schon den Mittelpunkt Deutschlands erblickte, 1862 die „Deutschen Jahrbücher", eine politische Revue, wie sie Deutschland seitdem nicht wieder gehabt hat. Er hoffte damals, eine liberale Bewegung, ausgehend von Preußen, werde die Einheit Deutschlands begründen. Als aber ein, aus den konservativen Reihen hervorgegangener Staatsmann diese Aufgabe, vor welcher die „moralischen Eroberer" zurückschreckten, in die zwar anscheinend junkerhafte, aber entschlossene Hand nahm, da ließ sich Oppenheim, obgleich damals das Genie Bismarck's noch nicht anerkannt war, obgleich Oppenheim erst kurz vorher von preußischen Gerichten wegen eines prägnanten Ausdrucks seiner politischen Meinung zu einer längeren Freiheitsstrafe verurtheilt worden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/231>, abgerufen am 24.07.2024.