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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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er sie für tiefe Denker erklärt hat, ungefähr wie ein Siegesbulletin, zur höhe¬
ren Genugthuung des Siegers selbst, gerne die Tapferkeit des gefallenen
Feindes preist. Dem schwäbischen Professor aber scheinen, aufrichtig gesagt,
seine Siege nicht sehr sauer geworden zu sein. Seinen eigenen Standpunct
formulirt er ungefähr folgendermaßen:

""Versteht man unter "Capitalismus" den heutigen unvollkommenen
Zustand des letzteren (?) mit vielen Schäden und Ungerechtigkeiten, dann mag
man wohl sagen, daß auch der Capitalismus, wie der Feudalismus eine ver¬
gängliche geschichtliche Phase der volkswirthschaftlichen Entwickelung sei.
Versteht man aber unter Capitalismus die wirthschaftliche Organisation der
Produktivkräfte durch das Gewinnstreben des Capital-Vermögens, so glaube
ich für ein weites und großes Gebiet menschheitlicher Wirthschaft dem Capi¬
talismus dauernde Geltung nachweisen zu können. Versteht man nach libe¬
raler Principienreiterei (?) unter wahrem Capitalismus denjenigen Zustand,
in welchen die ganze wirthschaftliche Verbindung der Individuen nur noch
durch Gewinnspeculation des Capitals verwickelt wird, die Staatswirthschaft (!)
ganz verschwindet, so behaupte ich, daß diese "ultraliberale" Uebertreibung
und Verallgemeinerung der capitalistischen Gesellschaftsorganisation eine thö¬
richte, doctrinäre und geschichtlich unwahre Auffassung ist."" -- Der Verfas¬
ser, sagt H. B. Oppenheim, verfährt hier theils mit selbstgeschaffenen Kate¬
gorien, theils mit Begriffen, denen er einen andern, als den gebräuchlichen
Sinn unterlegt. Er möchte von der socialistischen Kritik Etwas retten, und
weiß doch nicht recht, wie er das anfangen soll. "Liberale Principien -
reiterei" steht dem Denker gut zu Gesichte; dazu gehört nur noch, daß die
ganze Volkswirthschaftslehre für eine "Bourgeois-Erfindung," oder
auch, daß die freihändlerische Doctrin für eine "Intrigue des perfiden
Albions" ausgegeben würde. Statt "Manchester-Schule" wird "ultraliberale
Principienreiterei" gesetzt, weil es zur Symmetrie paßt, das Schutzzoll¬
system mit dem Altliberalismus zusammenzukoppeln. Wäre zu solchen Paral¬
lelen selbst einiger Grund vorhanden, so ist damit doch Nichts gesagt und
Nichts bewiesen.

Herr Schäffle will "das Steckenpferd bloßer Staatshülfe oder bloßer
Selbsthülfe den national-ökonomischen und politischen Kindern überlassen."
Freilich versteht Herr Schäffle unter " S ta a es h ülfe" wieder etwas An¬
deres , als die Socialisten darunter verstehen; aber so geht es ihm auch mit
dem "Socialismus" selbst. Alle die Verstandesspielereien mit religiösem,
humanitärem, genossenschaftlichem, staatlichem "Socialismus" haben im Leben
und in der Wissenschaft keinen Werth. Es gibt hier nur Einen bestimmten
Gegensatz: .^a u f der einen Seite stehen unter dem Namen Socialismus,
Communismus !c. alle die Systeme, welche die Freiheit des Eigenthums und


er sie für tiefe Denker erklärt hat, ungefähr wie ein Siegesbulletin, zur höhe¬
ren Genugthuung des Siegers selbst, gerne die Tapferkeit des gefallenen
Feindes preist. Dem schwäbischen Professor aber scheinen, aufrichtig gesagt,
seine Siege nicht sehr sauer geworden zu sein. Seinen eigenen Standpunct
formulirt er ungefähr folgendermaßen:

„„Versteht man unter „Capitalismus" den heutigen unvollkommenen
Zustand des letzteren (?) mit vielen Schäden und Ungerechtigkeiten, dann mag
man wohl sagen, daß auch der Capitalismus, wie der Feudalismus eine ver¬
gängliche geschichtliche Phase der volkswirthschaftlichen Entwickelung sei.
Versteht man aber unter Capitalismus die wirthschaftliche Organisation der
Produktivkräfte durch das Gewinnstreben des Capital-Vermögens, so glaube
ich für ein weites und großes Gebiet menschheitlicher Wirthschaft dem Capi¬
talismus dauernde Geltung nachweisen zu können. Versteht man nach libe¬
raler Principienreiterei (?) unter wahrem Capitalismus denjenigen Zustand,
in welchen die ganze wirthschaftliche Verbindung der Individuen nur noch
durch Gewinnspeculation des Capitals verwickelt wird, die Staatswirthschaft (!)
ganz verschwindet, so behaupte ich, daß diese „ultraliberale" Uebertreibung
und Verallgemeinerung der capitalistischen Gesellschaftsorganisation eine thö¬
richte, doctrinäre und geschichtlich unwahre Auffassung ist."" — Der Verfas¬
ser, sagt H. B. Oppenheim, verfährt hier theils mit selbstgeschaffenen Kate¬
gorien, theils mit Begriffen, denen er einen andern, als den gebräuchlichen
Sinn unterlegt. Er möchte von der socialistischen Kritik Etwas retten, und
weiß doch nicht recht, wie er das anfangen soll. „Liberale Principien -
reiterei" steht dem Denker gut zu Gesichte; dazu gehört nur noch, daß die
ganze Volkswirthschaftslehre für eine „Bourgeois-Erfindung," oder
auch, daß die freihändlerische Doctrin für eine „Intrigue des perfiden
Albions" ausgegeben würde. Statt „Manchester-Schule" wird „ultraliberale
Principienreiterei" gesetzt, weil es zur Symmetrie paßt, das Schutzzoll¬
system mit dem Altliberalismus zusammenzukoppeln. Wäre zu solchen Paral¬
lelen selbst einiger Grund vorhanden, so ist damit doch Nichts gesagt und
Nichts bewiesen.

Herr Schäffle will „das Steckenpferd bloßer Staatshülfe oder bloßer
Selbsthülfe den national-ökonomischen und politischen Kindern überlassen."
Freilich versteht Herr Schäffle unter „ S ta a es h ülfe" wieder etwas An¬
deres , als die Socialisten darunter verstehen; aber so geht es ihm auch mit
dem „Socialismus" selbst. Alle die Verstandesspielereien mit religiösem,
humanitärem, genossenschaftlichem, staatlichem „Socialismus" haben im Leben
und in der Wissenschaft keinen Werth. Es gibt hier nur Einen bestimmten
Gegensatz: .^a u f der einen Seite stehen unter dem Namen Socialismus,
Communismus !c. alle die Systeme, welche die Freiheit des Eigenthums und


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[0228] er sie für tiefe Denker erklärt hat, ungefähr wie ein Siegesbulletin, zur höhe¬ ren Genugthuung des Siegers selbst, gerne die Tapferkeit des gefallenen Feindes preist. Dem schwäbischen Professor aber scheinen, aufrichtig gesagt, seine Siege nicht sehr sauer geworden zu sein. Seinen eigenen Standpunct formulirt er ungefähr folgendermaßen: „„Versteht man unter „Capitalismus" den heutigen unvollkommenen Zustand des letzteren (?) mit vielen Schäden und Ungerechtigkeiten, dann mag man wohl sagen, daß auch der Capitalismus, wie der Feudalismus eine ver¬ gängliche geschichtliche Phase der volkswirthschaftlichen Entwickelung sei. Versteht man aber unter Capitalismus die wirthschaftliche Organisation der Produktivkräfte durch das Gewinnstreben des Capital-Vermögens, so glaube ich für ein weites und großes Gebiet menschheitlicher Wirthschaft dem Capi¬ talismus dauernde Geltung nachweisen zu können. Versteht man nach libe¬ raler Principienreiterei (?) unter wahrem Capitalismus denjenigen Zustand, in welchen die ganze wirthschaftliche Verbindung der Individuen nur noch durch Gewinnspeculation des Capitals verwickelt wird, die Staatswirthschaft (!) ganz verschwindet, so behaupte ich, daß diese „ultraliberale" Uebertreibung und Verallgemeinerung der capitalistischen Gesellschaftsorganisation eine thö¬ richte, doctrinäre und geschichtlich unwahre Auffassung ist."" — Der Verfas¬ ser, sagt H. B. Oppenheim, verfährt hier theils mit selbstgeschaffenen Kate¬ gorien, theils mit Begriffen, denen er einen andern, als den gebräuchlichen Sinn unterlegt. Er möchte von der socialistischen Kritik Etwas retten, und weiß doch nicht recht, wie er das anfangen soll. „Liberale Principien - reiterei" steht dem Denker gut zu Gesichte; dazu gehört nur noch, daß die ganze Volkswirthschaftslehre für eine „Bourgeois-Erfindung," oder auch, daß die freihändlerische Doctrin für eine „Intrigue des perfiden Albions" ausgegeben würde. Statt „Manchester-Schule" wird „ultraliberale Principienreiterei" gesetzt, weil es zur Symmetrie paßt, das Schutzzoll¬ system mit dem Altliberalismus zusammenzukoppeln. Wäre zu solchen Paral¬ lelen selbst einiger Grund vorhanden, so ist damit doch Nichts gesagt und Nichts bewiesen. Herr Schäffle will „das Steckenpferd bloßer Staatshülfe oder bloßer Selbsthülfe den national-ökonomischen und politischen Kindern überlassen." Freilich versteht Herr Schäffle unter „ S ta a es h ülfe" wieder etwas An¬ deres , als die Socialisten darunter verstehen; aber so geht es ihm auch mit dem „Socialismus" selbst. Alle die Verstandesspielereien mit religiösem, humanitärem, genossenschaftlichem, staatlichem „Socialismus" haben im Leben und in der Wissenschaft keinen Werth. Es gibt hier nur Einen bestimmten Gegensatz: .^a u f der einen Seite stehen unter dem Namen Socialismus, Communismus !c. alle die Systeme, welche die Freiheit des Eigenthums und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/228>, abgerufen am 24.07.2024.