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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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das sei; weder Mario, was der Föderalismus, noch Schaffte, was der Capi¬
talismus ist. Beide machen sich eine große Anzahl neuer Worte und neuer
Sprachformen zurecht, welche ihre Stämme nicht nur aus der deutschen, son¬
dern auch aus fremden Sprachen, lebenden wie todten, entlehnen; und dann
operiren sie mit diesen unbekannten selbst geschaffenen Größen, welche für alle
Andere, welche nicht die "Sprache Mario" oder die "Sprache Schaffte" ver¬
stehen -- und wo sollten wir sie gelernt haben, da man sie nirgends lehrt?
-- das reine "x" sind und bleiben.

Deutlich ist Schaffte nur, wenn er über Preußen und Bismarck schimpft,
wie man denn überhaupt bemerkt haben will, daß der deutsche Gelehrte sich
seiner Muttersprache nie besser und kräftiger bedient, als wenn er grob wird.
"Dieses Volk weiß seine Classiker auswendig!" sagte der Franzose, als er in
Deutschland angelangt öfters die Worte hörte, welche Göthe's Götz von Ber-
lichingen bei der Belagerung zum Fenster hinaufruft.

Endlich liebt Schäffle mehrdeutige Worte. Ein solches unglückseliges
deutsches Wort ist in der Volkswirthschaft z, B. das Wort "Werth." Man
könnte sich in Betreff seiner zu einem ähnlichen Zornesausbruch hinreißen
lassen, wie Bastiat mit seinem "Nauclit in-gelte." Jeder definirt sich seinen
"Werth" auf eine andere Art; und dann spinnen sie aus diesem Begriff heraus
ein ganzes System, das keine andere Grundlage hat, als ein bloßes Wort,
und zwar ein Wort, von dem die Meisten nicht recht wissen, was sie sich da¬
bei zu denken haben und über dessen wahren Sinn jeder Gelehrte seine beson¬
dere Meinung hat. Man sollte dieses Wort je nach seiner verschiedenen Be¬
deutung durch deutlichere Ausdrücke ersetzen, wie Preis, Brauchbarkeit, Her¬
stellungskosten u. s. w>, -- Worte, bei welchen wir Alle das Nämliche
denken.

Heinrich Bernhard OpPen heim hat so eben "Friedensglossen
zum Kriegsjahr" publicirt, worin wir unter dem Titel "zur Arbeiter¬
frage" auch eine gründliche Besprechung der verschiedenen socialistischen Sy¬
steme und der einschlagenden Bücher von Karl Marx, Ferdinand Las¬
salle, I. M. Ludlow, Lloyd Jones, Thvrnton, Brentano und
Schäffle finden. Hören wir, was er über den letztgenannten sagt:

"In neuester Zeit hat ein deutscher Gelehrter, der in mannichfacher Be¬
ziehung von sich reden gemacht, Herr Prof. Schäffle aus Tübingen, nun in
Wien, einen schwachen Anlauf zur Ehrenrettung des Socialismus genommen.
In seinem dickleibigen Buche über "Capitalismus und Socialismus" giebt er
--- "zur Versöhnung der Gegensätze von Lohnarbeit und Capital" -- eine
sehr ernsthafte und jedenfalls sehr ausführliche Würdigung der Theorien der
Proudhon, Carl Marx, Lassalle, Mario und Anderer. Freilich werden^die-
selben von ihm ganz oder theilweise widerlegt, aber gewöhnlich erst, nachdem


das sei; weder Mario, was der Föderalismus, noch Schaffte, was der Capi¬
talismus ist. Beide machen sich eine große Anzahl neuer Worte und neuer
Sprachformen zurecht, welche ihre Stämme nicht nur aus der deutschen, son¬
dern auch aus fremden Sprachen, lebenden wie todten, entlehnen; und dann
operiren sie mit diesen unbekannten selbst geschaffenen Größen, welche für alle
Andere, welche nicht die „Sprache Mario" oder die „Sprache Schaffte" ver¬
stehen — und wo sollten wir sie gelernt haben, da man sie nirgends lehrt?
— das reine „x" sind und bleiben.

Deutlich ist Schaffte nur, wenn er über Preußen und Bismarck schimpft,
wie man denn überhaupt bemerkt haben will, daß der deutsche Gelehrte sich
seiner Muttersprache nie besser und kräftiger bedient, als wenn er grob wird.
„Dieses Volk weiß seine Classiker auswendig!" sagte der Franzose, als er in
Deutschland angelangt öfters die Worte hörte, welche Göthe's Götz von Ber-
lichingen bei der Belagerung zum Fenster hinaufruft.

Endlich liebt Schäffle mehrdeutige Worte. Ein solches unglückseliges
deutsches Wort ist in der Volkswirthschaft z, B. das Wort „Werth." Man
könnte sich in Betreff seiner zu einem ähnlichen Zornesausbruch hinreißen
lassen, wie Bastiat mit seinem „Nauclit in-gelte." Jeder definirt sich seinen
„Werth" auf eine andere Art; und dann spinnen sie aus diesem Begriff heraus
ein ganzes System, das keine andere Grundlage hat, als ein bloßes Wort,
und zwar ein Wort, von dem die Meisten nicht recht wissen, was sie sich da¬
bei zu denken haben und über dessen wahren Sinn jeder Gelehrte seine beson¬
dere Meinung hat. Man sollte dieses Wort je nach seiner verschiedenen Be¬
deutung durch deutlichere Ausdrücke ersetzen, wie Preis, Brauchbarkeit, Her¬
stellungskosten u. s. w>, — Worte, bei welchen wir Alle das Nämliche
denken.

Heinrich Bernhard OpPen heim hat so eben „Friedensglossen
zum Kriegsjahr" publicirt, worin wir unter dem Titel „zur Arbeiter¬
frage" auch eine gründliche Besprechung der verschiedenen socialistischen Sy¬
steme und der einschlagenden Bücher von Karl Marx, Ferdinand Las¬
salle, I. M. Ludlow, Lloyd Jones, Thvrnton, Brentano und
Schäffle finden. Hören wir, was er über den letztgenannten sagt:

„In neuester Zeit hat ein deutscher Gelehrter, der in mannichfacher Be¬
ziehung von sich reden gemacht, Herr Prof. Schäffle aus Tübingen, nun in
Wien, einen schwachen Anlauf zur Ehrenrettung des Socialismus genommen.
In seinem dickleibigen Buche über „Capitalismus und Socialismus" giebt er
-— „zur Versöhnung der Gegensätze von Lohnarbeit und Capital" — eine
sehr ernsthafte und jedenfalls sehr ausführliche Würdigung der Theorien der
Proudhon, Carl Marx, Lassalle, Mario und Anderer. Freilich werden^die-
selben von ihm ganz oder theilweise widerlegt, aber gewöhnlich erst, nachdem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/227>, abgerufen am 24.07.2024.