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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Me Ueichsgesetzgebung und die Lage der Aechtslehre.

Wenn in den Jahren vor 1866, namentlich, aber nicht allein, in Preu¬
ßen über die ungemeine Langsamkeit oder das völlige Stocken der Gesetzgebung
Klage geführt wurde, so bezog sie sich in allererster Linie auf das Gebiet
der Justizgesetzgebung. Noch ist uns die Aera des Grafen Lippe in guter
Erinnerung. Alle Bemühungen, die Legislation zu den dringendsten Refor¬
men anzuregen, blieben vergeblich. Seitdem die Bundesgesetzgebung die Auf¬
gabe übernommen hatte, in Ausführung des Artikel 4 der Verfassung, die
Rechtsgesetzgebung innerhalb der dort leider noch zu spärlich ausgemessenen
Kompetenz einheitlich zu ordnen, steht es anders. Die legislatorische Thätig¬
keit ist in Fluß gerathen. Raschen Laufs wurden in wenigen Jahren für
das Reich, sodann auch für Preußen eine Reihe von Gesetzen geschaffen,
welche zum Theil tief in das bis dahin bestandene Recht einschneiden und
von denen einige sogar mehr oder minder umfangreiche Rechtsmaterien völlig
umgestalten.

Ost stecken selbst in Gesetzen über ganz andere, als eigentlich juristische
Dinge Bestimmungen, welche für die gerichtliche und außergerichtliche Praxis
von großer Bedeutsamkeit sind. Man braucht nur an solche, wie das Post-
gesetz, das Gesetz über das Consularwesen u. dergl. zu denken. Sie enthalten
neben der Verwaltungsorganisation der betreffenden Institute zugleich eine
Reihe für die Rechtsordnung und den Rechtsverkehr maßgebender Sätze. Als
schon dem Titel nach der Justizgesetzgebung angehörige Leistungen sehen wir
die Gesetze über die Aufhebung der Zinsverbote, über die Aufhebung der
Schuldhaft und die Beschlagnahme der Dienstlöhne, über die Gewährung der
Rechtshülfe, über die privatrechtliche Stellung der Genossenschaften, über die
Actiengesellschaften. über das Urheberrecht, über die Einführung des Handels¬
gesetzbuchs als Reichsgesetz vor uns. Vor Allem aber fällt unser Blick auf
das einheitliche Strafgesetzbuch, das zu guter Stunde, trotz schweren Gefahren
noch vor dem großen Kriege zu Stande kam.

Eine Fülle von Stoff für die wissenschaftliche und praktische Verarbeitung.


Grenzboten II. >87l. 26
Me Ueichsgesetzgebung und die Lage der Aechtslehre.

Wenn in den Jahren vor 1866, namentlich, aber nicht allein, in Preu¬
ßen über die ungemeine Langsamkeit oder das völlige Stocken der Gesetzgebung
Klage geführt wurde, so bezog sie sich in allererster Linie auf das Gebiet
der Justizgesetzgebung. Noch ist uns die Aera des Grafen Lippe in guter
Erinnerung. Alle Bemühungen, die Legislation zu den dringendsten Refor¬
men anzuregen, blieben vergeblich. Seitdem die Bundesgesetzgebung die Auf¬
gabe übernommen hatte, in Ausführung des Artikel 4 der Verfassung, die
Rechtsgesetzgebung innerhalb der dort leider noch zu spärlich ausgemessenen
Kompetenz einheitlich zu ordnen, steht es anders. Die legislatorische Thätig¬
keit ist in Fluß gerathen. Raschen Laufs wurden in wenigen Jahren für
das Reich, sodann auch für Preußen eine Reihe von Gesetzen geschaffen,
welche zum Theil tief in das bis dahin bestandene Recht einschneiden und
von denen einige sogar mehr oder minder umfangreiche Rechtsmaterien völlig
umgestalten.

Ost stecken selbst in Gesetzen über ganz andere, als eigentlich juristische
Dinge Bestimmungen, welche für die gerichtliche und außergerichtliche Praxis
von großer Bedeutsamkeit sind. Man braucht nur an solche, wie das Post-
gesetz, das Gesetz über das Consularwesen u. dergl. zu denken. Sie enthalten
neben der Verwaltungsorganisation der betreffenden Institute zugleich eine
Reihe für die Rechtsordnung und den Rechtsverkehr maßgebender Sätze. Als
schon dem Titel nach der Justizgesetzgebung angehörige Leistungen sehen wir
die Gesetze über die Aufhebung der Zinsverbote, über die Aufhebung der
Schuldhaft und die Beschlagnahme der Dienstlöhne, über die Gewährung der
Rechtshülfe, über die privatrechtliche Stellung der Genossenschaften, über die
Actiengesellschaften. über das Urheberrecht, über die Einführung des Handels¬
gesetzbuchs als Reichsgesetz vor uns. Vor Allem aber fällt unser Blick auf
das einheitliche Strafgesetzbuch, das zu guter Stunde, trotz schweren Gefahren
noch vor dem großen Kriege zu Stande kam.

Eine Fülle von Stoff für die wissenschaftliche und praktische Verarbeitung.


Grenzboten II. >87l. 26
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[0209] Me Ueichsgesetzgebung und die Lage der Aechtslehre. Wenn in den Jahren vor 1866, namentlich, aber nicht allein, in Preu¬ ßen über die ungemeine Langsamkeit oder das völlige Stocken der Gesetzgebung Klage geführt wurde, so bezog sie sich in allererster Linie auf das Gebiet der Justizgesetzgebung. Noch ist uns die Aera des Grafen Lippe in guter Erinnerung. Alle Bemühungen, die Legislation zu den dringendsten Refor¬ men anzuregen, blieben vergeblich. Seitdem die Bundesgesetzgebung die Auf¬ gabe übernommen hatte, in Ausführung des Artikel 4 der Verfassung, die Rechtsgesetzgebung innerhalb der dort leider noch zu spärlich ausgemessenen Kompetenz einheitlich zu ordnen, steht es anders. Die legislatorische Thätig¬ keit ist in Fluß gerathen. Raschen Laufs wurden in wenigen Jahren für das Reich, sodann auch für Preußen eine Reihe von Gesetzen geschaffen, welche zum Theil tief in das bis dahin bestandene Recht einschneiden und von denen einige sogar mehr oder minder umfangreiche Rechtsmaterien völlig umgestalten. Ost stecken selbst in Gesetzen über ganz andere, als eigentlich juristische Dinge Bestimmungen, welche für die gerichtliche und außergerichtliche Praxis von großer Bedeutsamkeit sind. Man braucht nur an solche, wie das Post- gesetz, das Gesetz über das Consularwesen u. dergl. zu denken. Sie enthalten neben der Verwaltungsorganisation der betreffenden Institute zugleich eine Reihe für die Rechtsordnung und den Rechtsverkehr maßgebender Sätze. Als schon dem Titel nach der Justizgesetzgebung angehörige Leistungen sehen wir die Gesetze über die Aufhebung der Zinsverbote, über die Aufhebung der Schuldhaft und die Beschlagnahme der Dienstlöhne, über die Gewährung der Rechtshülfe, über die privatrechtliche Stellung der Genossenschaften, über die Actiengesellschaften. über das Urheberrecht, über die Einführung des Handels¬ gesetzbuchs als Reichsgesetz vor uns. Vor Allem aber fällt unser Blick auf das einheitliche Strafgesetzbuch, das zu guter Stunde, trotz schweren Gefahren noch vor dem großen Kriege zu Stande kam. Eine Fülle von Stoff für die wissenschaftliche und praktische Verarbeitung. Grenzboten II. >87l. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/209>, abgerufen am 24.07.2024.