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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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eines Abgeordneten mit derjenigen eines Lehrers an der Hochschule und "Ver¬
treters der Wissenschaft" absolut unvereinbar sei, -- eine Ansicht über
deren Nichtigkeit wir nicht streiten, sondern von der wir nur constatiren
wollen, daß Herr Schaffte, bei einiger Mühewaltung, sie vielleicht eben so
gut bereits vor der Wahl hätte gewinnen können, als nachher. Jedenfalls
wich dieselbe sehr schnell wieder einer anderen entgegengesetzten Ueberzeugung.
Bei den Zollparlamentswahlen von 1868 trat Herr Schaffte wieder als Can-
didat auf. Es ist jetzt, da er östreichischer Minister ist, vielleicht von einigem
Interesse, sich seines damaligen Programms zu erinnern. In demselben heißt
es, nachdem Herr Schaffte die militärischen und finanziellen Vorschriften der
damaligen Bundes- und jetzigen Reichs-Verfassung Deutschlands -- beiläufig
gesagt, weder richtig noch vollständig -- erponirt hatte, dann wörtlich
wie folgt:

-- "Dies ist der Inhalt.

Und nun frage ich, Albert Eberhard Friedrich Schaffte, Doctor der
Weltweisheit und Professor der Staatswissenschaften in Tübingen, ich frage:
Ist es noch ein Bundesstaat und nicht vielmehr das reinste, die bundesge-
nössischen Völker und Regierungen zu Heloten herabsetzende, aussaugendste
Vasallenverhältniß, das man mit dem Eintritt in den norddeutschen Bund
ansinnt? Ich antworte: lieber einfache Mediatisirung und Eintritt in das
preußische Abgeordnetenhaus, als solchen Eintritt. Ich will keines von
beiden.

Ich frage: steht nicht in dieser Verfassung, vom Scheitel bis zur Zehe
gewappnet, alle Volksfreiheit mit eiserner Hand zerdrückend, jeden
parlamentarischen Einfluß auf die Militärwirthschaft ausschließend -- der
reine nackte Militärabsolutismus vor uns? Ist das etwa ein "Vollparla¬
ment," welches solchen Militärabsolutismus einfach zu bedienen, dem Volk
seine wahre Lage, als Feigenblatt den Militärstaat zu verhüllen hätte?

Und gehört nicht -- gelinde ausgedrückt -- eine kühne Stirne dazu,
dem Volke diejenigen als unfreisinnig zu denunciren, welche sich dem Herein¬
brechen dieses Uebels -- ungebeugt von dem vorübergehenden Kriegstaumel
und dem Machtschwindel mitten in der gebildetsten Periode der Geschichte
-- entgegenwerfen?

Ich frage, ob Jemand glauben kann, daß man durch einige Aenderungen
diesen Militärabsolutismus der Nordbundsverfassung annehmbar gestalten und
dann den Eintritt vollziehen könne? Der Nordbund ist Militärstaat im
ganzen Wesen; man ändert ihn nicht, wenn man ihn nur an der Oberhaut
ritzt. Eher stimmt Christus mit Belial, als daß sich auf diesen
eisernen Stamm von Militärabsolutismus das Reis des Ver¬
fassungsstaates und "Vollparlaments" pflanzen ließe. Alle


eines Abgeordneten mit derjenigen eines Lehrers an der Hochschule und „Ver¬
treters der Wissenschaft" absolut unvereinbar sei, — eine Ansicht über
deren Nichtigkeit wir nicht streiten, sondern von der wir nur constatiren
wollen, daß Herr Schaffte, bei einiger Mühewaltung, sie vielleicht eben so
gut bereits vor der Wahl hätte gewinnen können, als nachher. Jedenfalls
wich dieselbe sehr schnell wieder einer anderen entgegengesetzten Ueberzeugung.
Bei den Zollparlamentswahlen von 1868 trat Herr Schaffte wieder als Can-
didat auf. Es ist jetzt, da er östreichischer Minister ist, vielleicht von einigem
Interesse, sich seines damaligen Programms zu erinnern. In demselben heißt
es, nachdem Herr Schaffte die militärischen und finanziellen Vorschriften der
damaligen Bundes- und jetzigen Reichs-Verfassung Deutschlands — beiläufig
gesagt, weder richtig noch vollständig — erponirt hatte, dann wörtlich
wie folgt:

— „Dies ist der Inhalt.

Und nun frage ich, Albert Eberhard Friedrich Schaffte, Doctor der
Weltweisheit und Professor der Staatswissenschaften in Tübingen, ich frage:
Ist es noch ein Bundesstaat und nicht vielmehr das reinste, die bundesge-
nössischen Völker und Regierungen zu Heloten herabsetzende, aussaugendste
Vasallenverhältniß, das man mit dem Eintritt in den norddeutschen Bund
ansinnt? Ich antworte: lieber einfache Mediatisirung und Eintritt in das
preußische Abgeordnetenhaus, als solchen Eintritt. Ich will keines von
beiden.

Ich frage: steht nicht in dieser Verfassung, vom Scheitel bis zur Zehe
gewappnet, alle Volksfreiheit mit eiserner Hand zerdrückend, jeden
parlamentarischen Einfluß auf die Militärwirthschaft ausschließend — der
reine nackte Militärabsolutismus vor uns? Ist das etwa ein „Vollparla¬
ment," welches solchen Militärabsolutismus einfach zu bedienen, dem Volk
seine wahre Lage, als Feigenblatt den Militärstaat zu verhüllen hätte?

Und gehört nicht — gelinde ausgedrückt — eine kühne Stirne dazu,
dem Volke diejenigen als unfreisinnig zu denunciren, welche sich dem Herein¬
brechen dieses Uebels — ungebeugt von dem vorübergehenden Kriegstaumel
und dem Machtschwindel mitten in der gebildetsten Periode der Geschichte
— entgegenwerfen?

Ich frage, ob Jemand glauben kann, daß man durch einige Aenderungen
diesen Militärabsolutismus der Nordbundsverfassung annehmbar gestalten und
dann den Eintritt vollziehen könne? Der Nordbund ist Militärstaat im
ganzen Wesen; man ändert ihn nicht, wenn man ihn nur an der Oberhaut
ritzt. Eher stimmt Christus mit Belial, als daß sich auf diesen
eisernen Stamm von Militärabsolutismus das Reis des Ver¬
fassungsstaates und „Vollparlaments" pflanzen ließe. Alle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/200>, abgerufen am 24.07.2024.