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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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derartige Versicherungen halte ich entweder für Schwindel, oder für Gedanken¬
losigkeit. Und unbegreiflich ist mir die Hoffnung derjenigen, welche glauben,
aus der eisernen Umarmung wieder leicht herauszukommen, wenn sie sich
vorher kopfüber in dieselbe gestürzt haben; wenn der Wechsel unterschrieben
ist, muß man zahlen; wenn die Milchkuh aus dem Stall ist, werden
sie Andere draußen melken. Den gewöhnlichsten Grundsätzen des kauf¬
männischen und geschäftlichen Lebens wäre es zuwider gehandelt, wollten wir
die werthvollen Güter verfassungsmäßiger Freiheit und eines leistungsfähigen,
wenig drückenden Staatshaushaltes ohne vollwerthige freiheitliche und na¬
tionale Gegenleistung, als schlechte Waare an die Krone Preußens wohlfeil
wegwerfen, nur um die Lasten und den Freiheitsmangel des preußischen Volkes
selbst verlängern zu helfen.

Andere Militärstaaten (Oestreich) mit ihren Steuern und Schulden geben
zu erkennen, was der Militärstaat kostet, was erst zu erwarten wäre, wenn
Preußen der Erbe auch der Kriege Oestreichs würde. Und doch ist schon
an den bestehenden Steuern über und über genug, um jeden Süddeutschen
die ungeheuren Gefahren erkennen zu lassen, welche dem Volkswohlstand
drohen, wenn der Süden, statt seinen vollen Beitritt zur Einheitsverfassung
im Interesse der nationalen Freiheit, des Nordens wie des Südens, zu ver¬
werthen, sich durch übereilten Eintritt in den Nordbund in den Abgrund
des Militärabsolutismus stürzen würde. Zu den Leistungen an Geld würden
noch höhere persönliche, aber unproductive Leistungen der Arbeitskraft in den
Kasernen und auf den Execierplätzen -- diese Arbeit dürfte sich doch wohl
1870 als nicht so ganz unproductiv und nichtsnutzig erwiesen haben --
kommen; die Zuschüsse des Familienvaters an die lange präsenten Söhne in
der Kaserne sind selbst eine kolossale Kopfsteuer. Eine stärkere Auswanderung*)
der jugendlichen männlichen Bevölkerung wird eintreten, was die Arbeitslöhne
vertheuern würde. Das schon jetzt im Lande tief gestörte Gleichgewicht der
heiratsfähigen Individuen beider Geschlechter würde mit der Folge tiefer
socialer und sittlicher Verkümmerung des weiblichen Geschlechtes"noch ungün¬
stiger verrückt werden. In Württemberg giebt es jetzt schon in Folge der
Auswanderung 12000 heirathsfähige Personen weiblichen Geschlechts mehr,
als männlichen Geschlechts.

Niemand täusche sich darüber: der verblümt oder unverblümt angesonnene
Eintritt in den Nordbund (in die Phrase: militärisch-diplomatische Führung
eingehüllt) fordert mehr Soldaten auf längere Zeit in die Kaserne, -- er
bringt neue Steuern sogar über das Maß der bisherigen preußischen Be-



") Bekanntlich ist, Mecklenburg ausgenommen, die Auswanderungslust nirgends in ganz
Deutschland stärker. als in Württemberg. In Preußen grassirt sie nur ausnahmsweise in
einzelnen Provinzen. Herr Schaffte ignorirt die Statistik. Das ist schlimm für einen Volks¬
wirt!).
Grenzboten II. 1871. 25

derartige Versicherungen halte ich entweder für Schwindel, oder für Gedanken¬
losigkeit. Und unbegreiflich ist mir die Hoffnung derjenigen, welche glauben,
aus der eisernen Umarmung wieder leicht herauszukommen, wenn sie sich
vorher kopfüber in dieselbe gestürzt haben; wenn der Wechsel unterschrieben
ist, muß man zahlen; wenn die Milchkuh aus dem Stall ist, werden
sie Andere draußen melken. Den gewöhnlichsten Grundsätzen des kauf¬
männischen und geschäftlichen Lebens wäre es zuwider gehandelt, wollten wir
die werthvollen Güter verfassungsmäßiger Freiheit und eines leistungsfähigen,
wenig drückenden Staatshaushaltes ohne vollwerthige freiheitliche und na¬
tionale Gegenleistung, als schlechte Waare an die Krone Preußens wohlfeil
wegwerfen, nur um die Lasten und den Freiheitsmangel des preußischen Volkes
selbst verlängern zu helfen.

Andere Militärstaaten (Oestreich) mit ihren Steuern und Schulden geben
zu erkennen, was der Militärstaat kostet, was erst zu erwarten wäre, wenn
Preußen der Erbe auch der Kriege Oestreichs würde. Und doch ist schon
an den bestehenden Steuern über und über genug, um jeden Süddeutschen
die ungeheuren Gefahren erkennen zu lassen, welche dem Volkswohlstand
drohen, wenn der Süden, statt seinen vollen Beitritt zur Einheitsverfassung
im Interesse der nationalen Freiheit, des Nordens wie des Südens, zu ver¬
werthen, sich durch übereilten Eintritt in den Nordbund in den Abgrund
des Militärabsolutismus stürzen würde. Zu den Leistungen an Geld würden
noch höhere persönliche, aber unproductive Leistungen der Arbeitskraft in den
Kasernen und auf den Execierplätzen — diese Arbeit dürfte sich doch wohl
1870 als nicht so ganz unproductiv und nichtsnutzig erwiesen haben —
kommen; die Zuschüsse des Familienvaters an die lange präsenten Söhne in
der Kaserne sind selbst eine kolossale Kopfsteuer. Eine stärkere Auswanderung*)
der jugendlichen männlichen Bevölkerung wird eintreten, was die Arbeitslöhne
vertheuern würde. Das schon jetzt im Lande tief gestörte Gleichgewicht der
heiratsfähigen Individuen beider Geschlechter würde mit der Folge tiefer
socialer und sittlicher Verkümmerung des weiblichen Geschlechtes»noch ungün¬
stiger verrückt werden. In Württemberg giebt es jetzt schon in Folge der
Auswanderung 12000 heirathsfähige Personen weiblichen Geschlechts mehr,
als männlichen Geschlechts.

Niemand täusche sich darüber: der verblümt oder unverblümt angesonnene
Eintritt in den Nordbund (in die Phrase: militärisch-diplomatische Führung
eingehüllt) fordert mehr Soldaten auf längere Zeit in die Kaserne, — er
bringt neue Steuern sogar über das Maß der bisherigen preußischen Be-



") Bekanntlich ist, Mecklenburg ausgenommen, die Auswanderungslust nirgends in ganz
Deutschland stärker. als in Württemberg. In Preußen grassirt sie nur ausnahmsweise in
einzelnen Provinzen. Herr Schaffte ignorirt die Statistik. Das ist schlimm für einen Volks¬
wirt!).
Grenzboten II. 1871. 25
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[0201] derartige Versicherungen halte ich entweder für Schwindel, oder für Gedanken¬ losigkeit. Und unbegreiflich ist mir die Hoffnung derjenigen, welche glauben, aus der eisernen Umarmung wieder leicht herauszukommen, wenn sie sich vorher kopfüber in dieselbe gestürzt haben; wenn der Wechsel unterschrieben ist, muß man zahlen; wenn die Milchkuh aus dem Stall ist, werden sie Andere draußen melken. Den gewöhnlichsten Grundsätzen des kauf¬ männischen und geschäftlichen Lebens wäre es zuwider gehandelt, wollten wir die werthvollen Güter verfassungsmäßiger Freiheit und eines leistungsfähigen, wenig drückenden Staatshaushaltes ohne vollwerthige freiheitliche und na¬ tionale Gegenleistung, als schlechte Waare an die Krone Preußens wohlfeil wegwerfen, nur um die Lasten und den Freiheitsmangel des preußischen Volkes selbst verlängern zu helfen. Andere Militärstaaten (Oestreich) mit ihren Steuern und Schulden geben zu erkennen, was der Militärstaat kostet, was erst zu erwarten wäre, wenn Preußen der Erbe auch der Kriege Oestreichs würde. Und doch ist schon an den bestehenden Steuern über und über genug, um jeden Süddeutschen die ungeheuren Gefahren erkennen zu lassen, welche dem Volkswohlstand drohen, wenn der Süden, statt seinen vollen Beitritt zur Einheitsverfassung im Interesse der nationalen Freiheit, des Nordens wie des Südens, zu ver¬ werthen, sich durch übereilten Eintritt in den Nordbund in den Abgrund des Militärabsolutismus stürzen würde. Zu den Leistungen an Geld würden noch höhere persönliche, aber unproductive Leistungen der Arbeitskraft in den Kasernen und auf den Execierplätzen — diese Arbeit dürfte sich doch wohl 1870 als nicht so ganz unproductiv und nichtsnutzig erwiesen haben — kommen; die Zuschüsse des Familienvaters an die lange präsenten Söhne in der Kaserne sind selbst eine kolossale Kopfsteuer. Eine stärkere Auswanderung*) der jugendlichen männlichen Bevölkerung wird eintreten, was die Arbeitslöhne vertheuern würde. Das schon jetzt im Lande tief gestörte Gleichgewicht der heiratsfähigen Individuen beider Geschlechter würde mit der Folge tiefer socialer und sittlicher Verkümmerung des weiblichen Geschlechtes»noch ungün¬ stiger verrückt werden. In Württemberg giebt es jetzt schon in Folge der Auswanderung 12000 heirathsfähige Personen weiblichen Geschlechts mehr, als männlichen Geschlechts. Niemand täusche sich darüber: der verblümt oder unverblümt angesonnene Eintritt in den Nordbund (in die Phrase: militärisch-diplomatische Führung eingehüllt) fordert mehr Soldaten auf längere Zeit in die Kaserne, — er bringt neue Steuern sogar über das Maß der bisherigen preußischen Be- ") Bekanntlich ist, Mecklenburg ausgenommen, die Auswanderungslust nirgends in ganz Deutschland stärker. als in Württemberg. In Preußen grassirt sie nur ausnahmsweise in einzelnen Provinzen. Herr Schaffte ignorirt die Statistik. Das ist schlimm für einen Volks¬ wirt!). Grenzboten II. 1871. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/201>, abgerufen am 24.07.2024.