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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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zu Tage sagen würde, oder als Einen, der sich unberechtigter Maßen in die
gelehrte Zunft drängt.

Herr Schaffte war Freihändler und Großdeutscher, -- zwei Dinge, welche
sich damals sehr schwer mit einander vertrugen. Es war damals nämlich die
Periode der westeuropäischen Handelsverträge, welche die Tarife in freihänd¬
lerischen Sinne reformirten und die Differenzialzölle durch das gleiche Recht
aller begünstigten Nationen ersetzten. Gegen die Tarifreform durfte Herr
Schäffle, der sich stets zu freihändlerischen Grundsätzen bekannt hatte, nichts
erinnern. Anders war es mit Beseitigung der Differenzialzölle. Als "Gro߬
deutscher" mußte er verlangen, daß Frankreich hinter Oestreich zurückstehe,
während die wirklichen Freihändler mit allen ihren Nachbarn auf dem gleichen
Fuße freien Verkehrs stehen wollten, mit Oestreich so gut wie mit Frankreich,
-- eine Ansicht, welche siegreich blieb, zu Gunsten von Deutschland sowohl,
wie von Oestreich.

In October 1862 discutirte in München der deutsche Handelstag die
Frage des Handelsvertrages zwischen dem Zollvereine und Frankreich. Auch
Professor Schäffle erschien daselbst als Vertreter einer schwäbischen Handels¬
kammer: Er konnte mit Faust von sich sagen:

"Zwei Seelen fühl' ich, ach, in meiner BrustI"

Als Freihändler war er für, als Großdeutscher gegen den Vertrag. Er
deducirte, Oestreich habe aus dem Vertrage vom Februar 1853 ein verbrieftes
Recht auf den Eintritt in den Zollverein erworben, was bekanntlich nicht
wahr ist und heutzutage auch kein Mensch mehr behauptet. Dabei ritt ihn
denn auch noch ein wenig die kathedrale Eitelkeit des neugebackenen Uni¬
versitätsprofessors. Er begann seine Rede mit den Worten: "Ich als Ver¬
treter der Wissenschaft" u. f. w.

Herr Otto Michaelis, damals Redacteur des volkswirtschaftlichen Theiles
der Berliner Nationalzeitung, jetzt vortragender Rath im deutschen Neichs-
kanzleramte, entgegnete darauf, wenn Herr Schäffle gesagt hätte: "Ich als
einer der Vertreter der zünftigen Universitäts-Gelahrtheit", so habe man
sich's zur Noth gefallen lassen können; an der Wissenschaft dagegen hätten
auch wir Andern, wie Adam Smith, Prince-Smith und Consorten, einigen
Antheil, dieweil dieselbe sich keineswegs im Erbbestande der kleinstaatlichen
Winkeluniversitäten befinde.

Damals, auf dem Handelstag in München, unterlag Herr Schäffle mit
seiner "Wissenschaft". Allein deshalb gab er die Politik nicht auf.
Im Gegentheil, er ließ sich in die zweite Kammer seines engeren Vaterlandes
wählen. Kaum aber hatte er eine Zeitlang darin gesessen, so wurde er auch
schon dieser, den Andern so "süßen Gewohnheit des Daseins und Wirkens"
überdrüssig. Er trat plötzlich aus und motivirte dies damit, daß die Stellung


zu Tage sagen würde, oder als Einen, der sich unberechtigter Maßen in die
gelehrte Zunft drängt.

Herr Schaffte war Freihändler und Großdeutscher, — zwei Dinge, welche
sich damals sehr schwer mit einander vertrugen. Es war damals nämlich die
Periode der westeuropäischen Handelsverträge, welche die Tarife in freihänd¬
lerischen Sinne reformirten und die Differenzialzölle durch das gleiche Recht
aller begünstigten Nationen ersetzten. Gegen die Tarifreform durfte Herr
Schäffle, der sich stets zu freihändlerischen Grundsätzen bekannt hatte, nichts
erinnern. Anders war es mit Beseitigung der Differenzialzölle. Als „Gro߬
deutscher" mußte er verlangen, daß Frankreich hinter Oestreich zurückstehe,
während die wirklichen Freihändler mit allen ihren Nachbarn auf dem gleichen
Fuße freien Verkehrs stehen wollten, mit Oestreich so gut wie mit Frankreich,
— eine Ansicht, welche siegreich blieb, zu Gunsten von Deutschland sowohl,
wie von Oestreich.

In October 1862 discutirte in München der deutsche Handelstag die
Frage des Handelsvertrages zwischen dem Zollvereine und Frankreich. Auch
Professor Schäffle erschien daselbst als Vertreter einer schwäbischen Handels¬
kammer: Er konnte mit Faust von sich sagen:

„Zwei Seelen fühl' ich, ach, in meiner BrustI"

Als Freihändler war er für, als Großdeutscher gegen den Vertrag. Er
deducirte, Oestreich habe aus dem Vertrage vom Februar 1853 ein verbrieftes
Recht auf den Eintritt in den Zollverein erworben, was bekanntlich nicht
wahr ist und heutzutage auch kein Mensch mehr behauptet. Dabei ritt ihn
denn auch noch ein wenig die kathedrale Eitelkeit des neugebackenen Uni¬
versitätsprofessors. Er begann seine Rede mit den Worten: „Ich als Ver¬
treter der Wissenschaft" u. f. w.

Herr Otto Michaelis, damals Redacteur des volkswirtschaftlichen Theiles
der Berliner Nationalzeitung, jetzt vortragender Rath im deutschen Neichs-
kanzleramte, entgegnete darauf, wenn Herr Schäffle gesagt hätte: „Ich als
einer der Vertreter der zünftigen Universitäts-Gelahrtheit", so habe man
sich's zur Noth gefallen lassen können; an der Wissenschaft dagegen hätten
auch wir Andern, wie Adam Smith, Prince-Smith und Consorten, einigen
Antheil, dieweil dieselbe sich keineswegs im Erbbestande der kleinstaatlichen
Winkeluniversitäten befinde.

Damals, auf dem Handelstag in München, unterlag Herr Schäffle mit
seiner „Wissenschaft". Allein deshalb gab er die Politik nicht auf.
Im Gegentheil, er ließ sich in die zweite Kammer seines engeren Vaterlandes
wählen. Kaum aber hatte er eine Zeitlang darin gesessen, so wurde er auch
schon dieser, den Andern so „süßen Gewohnheit des Daseins und Wirkens"
überdrüssig. Er trat plötzlich aus und motivirte dies damit, daß die Stellung


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[0199] zu Tage sagen würde, oder als Einen, der sich unberechtigter Maßen in die gelehrte Zunft drängt. Herr Schaffte war Freihändler und Großdeutscher, — zwei Dinge, welche sich damals sehr schwer mit einander vertrugen. Es war damals nämlich die Periode der westeuropäischen Handelsverträge, welche die Tarife in freihänd¬ lerischen Sinne reformirten und die Differenzialzölle durch das gleiche Recht aller begünstigten Nationen ersetzten. Gegen die Tarifreform durfte Herr Schäffle, der sich stets zu freihändlerischen Grundsätzen bekannt hatte, nichts erinnern. Anders war es mit Beseitigung der Differenzialzölle. Als „Gro߬ deutscher" mußte er verlangen, daß Frankreich hinter Oestreich zurückstehe, während die wirklichen Freihändler mit allen ihren Nachbarn auf dem gleichen Fuße freien Verkehrs stehen wollten, mit Oestreich so gut wie mit Frankreich, — eine Ansicht, welche siegreich blieb, zu Gunsten von Deutschland sowohl, wie von Oestreich. In October 1862 discutirte in München der deutsche Handelstag die Frage des Handelsvertrages zwischen dem Zollvereine und Frankreich. Auch Professor Schäffle erschien daselbst als Vertreter einer schwäbischen Handels¬ kammer: Er konnte mit Faust von sich sagen: „Zwei Seelen fühl' ich, ach, in meiner BrustI" Als Freihändler war er für, als Großdeutscher gegen den Vertrag. Er deducirte, Oestreich habe aus dem Vertrage vom Februar 1853 ein verbrieftes Recht auf den Eintritt in den Zollverein erworben, was bekanntlich nicht wahr ist und heutzutage auch kein Mensch mehr behauptet. Dabei ritt ihn denn auch noch ein wenig die kathedrale Eitelkeit des neugebackenen Uni¬ versitätsprofessors. Er begann seine Rede mit den Worten: „Ich als Ver¬ treter der Wissenschaft" u. f. w. Herr Otto Michaelis, damals Redacteur des volkswirtschaftlichen Theiles der Berliner Nationalzeitung, jetzt vortragender Rath im deutschen Neichs- kanzleramte, entgegnete darauf, wenn Herr Schäffle gesagt hätte: „Ich als einer der Vertreter der zünftigen Universitäts-Gelahrtheit", so habe man sich's zur Noth gefallen lassen können; an der Wissenschaft dagegen hätten auch wir Andern, wie Adam Smith, Prince-Smith und Consorten, einigen Antheil, dieweil dieselbe sich keineswegs im Erbbestande der kleinstaatlichen Winkeluniversitäten befinde. Damals, auf dem Handelstag in München, unterlag Herr Schäffle mit seiner „Wissenschaft". Allein deshalb gab er die Politik nicht auf. Im Gegentheil, er ließ sich in die zweite Kammer seines engeren Vaterlandes wählen. Kaum aber hatte er eine Zeitlang darin gesessen, so wurde er auch schon dieser, den Andern so „süßen Gewohnheit des Daseins und Wirkens" überdrüssig. Er trat plötzlich aus und motivirte dies damit, daß die Stellung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/199>, abgerufen am 24.07.2024.