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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Man würde uns mißverstehn, wenn man aus dieser Wendung den
Accent auch nur der leisesten Mißachtung oder geringerer Schätzung heraus¬
lesen wollte. Schäffle ist in der That ein scharfer und feiner Kopf; und wenn
er sich heute, statt auf Volkwirthschaft, auf Astronomie, oder Sanscrit oder
Geburtshülfe würfe -- wir meinen auf theoretische Schriftstellers!, nicht auf
praktische Ausübung -- so würde er schöne Erfolge erzielen. Freilich ist er
kein specifisch volkswirthschaftlicher Geist; und wenn man seine Bücher liest,
so kann man sich des Eindrucks nicht entschlagen, daß jedes andere Object
eben so gut, wie die Nationalökonomie, Gegenstand seiner dialektischen Ope¬
rationen hätte werden können. Diese Eigenthümlichkeit theilt er jedoch mit
Andern; und wenn man dieselbe gründlich beseitigen wollte, müßte man zu
Maßregeln greifen, welche heut zu Tage nicht mehr ausführbar sind, weil sie
auf Zucht- und Innungswesen Hinauelaufen, das freilich in Oestreich noch
besteht, -- wenigstens auf dem Papier. Diese Maßregeln würden meines Er-
achtens einfach darin bestehen, daß man Jedem, welcher in Zukunft Volkswirth-
schaftlich schriftstellern oder sonstwie lehren will, ein Triennium vorschreibt,
wie folgt:

1) ein Jahr auf einem Ritter- oder Bauerngut, 2) zwei Jahre in einer
Weltstadt, wie Paris. London oder Berlin, und zwar auf der Börse, näm¬
lich: s. ein Jahr auf der Fondsbörse, und b. ein Jahr auf der Producten-
börse, in angestrengter praktischer Beschäftigung zuzubringen. Das ist frei¬
lich eine etwas harte Schule und weniger amüsant, als das müßige Spiel
freier und für die Folgen nicht verantwortlicher Tübinger Stifts-Dialektik.
Allein es ist lehrreicher. Was indessen Herr Schäffle in dieser Richtung ver¬
säumt haben sollte, das kann er nun glücklicher Weise nachholen in seiner
Stellung als Handelsminister, in welcher er ebenfalls nicht auf Rosen ge¬
bettet ist und Gelegenheit genug hat zu Experimenten "in anima piu et
non piu."

In Folge seiner volkswirtschaftlichen Schriftstellern wurde er Professor
der Nationalökonomie an der Königl. Württembergischen Landesuniversttät
Tübingen. Allein da er einmal vom Gifte der Politik genascht hatte, ver¬
mochte er derselben nicht ganz zu entsagen. Gleich seinem Chef, dem dama¬
ligen Cultusminister Golther (letzterer ist berühmt dadurch, daß er den Pro¬
fessor Pauli wegen "preußischer" Gesinnung maßregelte, blieb er eifriger
Stammgast derjenigen Zeitungen, welche er früher als Journalist mit seinen
Beiträgen und Correspondenzen beglückte. Den Zeitungen gereichte dies zum
Vortheil; denn die Correspondenzen waren gut. Dem Professor war es von
Nachtheil. Denn seine gelehrten Herren Collegen, welche sich nur des schwe¬
ren Geschützes von dicken Büchern und Collegienheften bedienten, behandelten
ihn von oben herunter als einen journalistischen "Franctireur," wie man heut


Man würde uns mißverstehn, wenn man aus dieser Wendung den
Accent auch nur der leisesten Mißachtung oder geringerer Schätzung heraus¬
lesen wollte. Schäffle ist in der That ein scharfer und feiner Kopf; und wenn
er sich heute, statt auf Volkwirthschaft, auf Astronomie, oder Sanscrit oder
Geburtshülfe würfe — wir meinen auf theoretische Schriftstellers!, nicht auf
praktische Ausübung — so würde er schöne Erfolge erzielen. Freilich ist er
kein specifisch volkswirthschaftlicher Geist; und wenn man seine Bücher liest,
so kann man sich des Eindrucks nicht entschlagen, daß jedes andere Object
eben so gut, wie die Nationalökonomie, Gegenstand seiner dialektischen Ope¬
rationen hätte werden können. Diese Eigenthümlichkeit theilt er jedoch mit
Andern; und wenn man dieselbe gründlich beseitigen wollte, müßte man zu
Maßregeln greifen, welche heut zu Tage nicht mehr ausführbar sind, weil sie
auf Zucht- und Innungswesen Hinauelaufen, das freilich in Oestreich noch
besteht, — wenigstens auf dem Papier. Diese Maßregeln würden meines Er-
achtens einfach darin bestehen, daß man Jedem, welcher in Zukunft Volkswirth-
schaftlich schriftstellern oder sonstwie lehren will, ein Triennium vorschreibt,
wie folgt:

1) ein Jahr auf einem Ritter- oder Bauerngut, 2) zwei Jahre in einer
Weltstadt, wie Paris. London oder Berlin, und zwar auf der Börse, näm¬
lich: s. ein Jahr auf der Fondsbörse, und b. ein Jahr auf der Producten-
börse, in angestrengter praktischer Beschäftigung zuzubringen. Das ist frei¬
lich eine etwas harte Schule und weniger amüsant, als das müßige Spiel
freier und für die Folgen nicht verantwortlicher Tübinger Stifts-Dialektik.
Allein es ist lehrreicher. Was indessen Herr Schäffle in dieser Richtung ver¬
säumt haben sollte, das kann er nun glücklicher Weise nachholen in seiner
Stellung als Handelsminister, in welcher er ebenfalls nicht auf Rosen ge¬
bettet ist und Gelegenheit genug hat zu Experimenten „in anima piu et
non piu."

In Folge seiner volkswirtschaftlichen Schriftstellern wurde er Professor
der Nationalökonomie an der Königl. Württembergischen Landesuniversttät
Tübingen. Allein da er einmal vom Gifte der Politik genascht hatte, ver¬
mochte er derselben nicht ganz zu entsagen. Gleich seinem Chef, dem dama¬
ligen Cultusminister Golther (letzterer ist berühmt dadurch, daß er den Pro¬
fessor Pauli wegen „preußischer" Gesinnung maßregelte, blieb er eifriger
Stammgast derjenigen Zeitungen, welche er früher als Journalist mit seinen
Beiträgen und Correspondenzen beglückte. Den Zeitungen gereichte dies zum
Vortheil; denn die Correspondenzen waren gut. Dem Professor war es von
Nachtheil. Denn seine gelehrten Herren Collegen, welche sich nur des schwe¬
ren Geschützes von dicken Büchern und Collegienheften bedienten, behandelten
ihn von oben herunter als einen journalistischen „Franctireur," wie man heut


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[0198] Man würde uns mißverstehn, wenn man aus dieser Wendung den Accent auch nur der leisesten Mißachtung oder geringerer Schätzung heraus¬ lesen wollte. Schäffle ist in der That ein scharfer und feiner Kopf; und wenn er sich heute, statt auf Volkwirthschaft, auf Astronomie, oder Sanscrit oder Geburtshülfe würfe — wir meinen auf theoretische Schriftstellers!, nicht auf praktische Ausübung — so würde er schöne Erfolge erzielen. Freilich ist er kein specifisch volkswirthschaftlicher Geist; und wenn man seine Bücher liest, so kann man sich des Eindrucks nicht entschlagen, daß jedes andere Object eben so gut, wie die Nationalökonomie, Gegenstand seiner dialektischen Ope¬ rationen hätte werden können. Diese Eigenthümlichkeit theilt er jedoch mit Andern; und wenn man dieselbe gründlich beseitigen wollte, müßte man zu Maßregeln greifen, welche heut zu Tage nicht mehr ausführbar sind, weil sie auf Zucht- und Innungswesen Hinauelaufen, das freilich in Oestreich noch besteht, — wenigstens auf dem Papier. Diese Maßregeln würden meines Er- achtens einfach darin bestehen, daß man Jedem, welcher in Zukunft Volkswirth- schaftlich schriftstellern oder sonstwie lehren will, ein Triennium vorschreibt, wie folgt: 1) ein Jahr auf einem Ritter- oder Bauerngut, 2) zwei Jahre in einer Weltstadt, wie Paris. London oder Berlin, und zwar auf der Börse, näm¬ lich: s. ein Jahr auf der Fondsbörse, und b. ein Jahr auf der Producten- börse, in angestrengter praktischer Beschäftigung zuzubringen. Das ist frei¬ lich eine etwas harte Schule und weniger amüsant, als das müßige Spiel freier und für die Folgen nicht verantwortlicher Tübinger Stifts-Dialektik. Allein es ist lehrreicher. Was indessen Herr Schäffle in dieser Richtung ver¬ säumt haben sollte, das kann er nun glücklicher Weise nachholen in seiner Stellung als Handelsminister, in welcher er ebenfalls nicht auf Rosen ge¬ bettet ist und Gelegenheit genug hat zu Experimenten „in anima piu et non piu." In Folge seiner volkswirtschaftlichen Schriftstellern wurde er Professor der Nationalökonomie an der Königl. Württembergischen Landesuniversttät Tübingen. Allein da er einmal vom Gifte der Politik genascht hatte, ver¬ mochte er derselben nicht ganz zu entsagen. Gleich seinem Chef, dem dama¬ ligen Cultusminister Golther (letzterer ist berühmt dadurch, daß er den Pro¬ fessor Pauli wegen „preußischer" Gesinnung maßregelte, blieb er eifriger Stammgast derjenigen Zeitungen, welche er früher als Journalist mit seinen Beiträgen und Correspondenzen beglückte. Den Zeitungen gereichte dies zum Vortheil; denn die Correspondenzen waren gut. Dem Professor war es von Nachtheil. Denn seine gelehrten Herren Collegen, welche sich nur des schwe¬ ren Geschützes von dicken Büchern und Collegienheften bedienten, behandelten ihn von oben herunter als einen journalistischen „Franctireur," wie man heut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/198>, abgerufen am 24.07.2024.