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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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dessen verachten wir auch den letztern nicht. Erweisen wir ihm vielmehr die
Ehre, mit ihm zu beginnen. Sprechen wir also von Herrn Schaffte.

Herr Schaffte ist von Geburt Württemberger und vereinigt in sich alle
Tugenden und alle Fehler dieses deutschen Stammes, welcher klug und eigen¬
sinnig, zäh und speculirend, sehr poetisch und etwas egoistisch zugleich ist, und
das Alles in potenzirtestem Maße. Schaffte ist erzogen in der bekannten
Brutanstalt für protestantische Theologen, in dem "Tübinger Stifte," von
welchem der württembergische Bolkswitz sagt: "Stiftler -- sind Diftler (Klei¬
nigkeitskrämer) -- zuweilen auch Giftler" Menschen voll kleinlicher Tücken).
Wir wollen nicht untersuchen, in wieweit dieses geflügelte Wort Recht hat,
und etwa Anwendung auf Herrn Schäffle erleidet. Was den letztern betrifft,
so kann man nur constatiren:


"Gott hat es nicht haben wollen,
Daß er Pastor hat werden sollen,"

sondern hat ihn in Gemeinschaft mit einigen nicht sehr deutsch klingenden
Namen, welche auf -- "reck" und auf -- "cent" endigen, zum cisleithani-
schen Minister in Oestreich gemacht. Das Durchgangsstadium vom Theologen
zum Minister war der Volkswirth; und der Beginn der neuen Bahn war
der Reichsverfassungskampf von 1849. Während nämlich Herr Schäffle sich
in dem Tübinger Stift zum Prediger des Wortes Gottes vorbereitete, brach
die Krisis der Reichsverfassung und der badische Aufstand aus, und der junge
Theologe verließ sein Stift, um sich an der badischen Reichspolitik zu bethei¬
ligen. Und die Politik ließ ihn nicht wieder los; für einen strebsamen Geist
hat sie ohne Zweifel auch größere Reize. Nach Württemberg zurückgekehrt --
Böswillige sagen mit Horaz "von thus reliew Mrmula," -- nach diesem
Württemberg, von welchem Schäffle später sagte, daß es, im Gegensatze zu
Preußen, "durch Pflege aller ächtmenschlichen Culturinteresssn und deren reiche
Entwicklung glücklich wurde und ganz Deutschland vor aller Welt schmücken half,"
-- wurde er Mitarbeiter und dann Hilfsredacteur des "Schwäbischen Mercur."
Zur Belehrung für nichtschwäbische Leser muß hier bemerkt werden, daß
während man sonst Mercur --^-) sagt, der richtige Schwabe der Lesart
Mircur (--den Vorzug giebt, und daß besagter Mercur im Schwaben¬
lande mindestens dieselbe Stellung einnimmt, wie die "Allgemeine Zeitung"
in Bayern. Wir wissen in der That nicht, ob es Mercur war, der Gott
der ehrsamen Kauffahrtei, -- oder der Umstand, daß damals die Volkswirth¬
schaft in Deutschland begann, in weitere Kreise zu dringen, wo sie, wie
man das so nennt, "populär" oder "modisch" wurde, -- kurz Schäffle
warf sich auf die "Volkswirthschaft," und erzielte hier alle die Erfolge, welche
dem Fleiße und der dialektischen Schule eines Tübinger "Stiftlers" zur Ver¬
fügung stehn.


dessen verachten wir auch den letztern nicht. Erweisen wir ihm vielmehr die
Ehre, mit ihm zu beginnen. Sprechen wir also von Herrn Schaffte.

Herr Schaffte ist von Geburt Württemberger und vereinigt in sich alle
Tugenden und alle Fehler dieses deutschen Stammes, welcher klug und eigen¬
sinnig, zäh und speculirend, sehr poetisch und etwas egoistisch zugleich ist, und
das Alles in potenzirtestem Maße. Schaffte ist erzogen in der bekannten
Brutanstalt für protestantische Theologen, in dem „Tübinger Stifte," von
welchem der württembergische Bolkswitz sagt: „Stiftler — sind Diftler (Klei¬
nigkeitskrämer) — zuweilen auch Giftler" Menschen voll kleinlicher Tücken).
Wir wollen nicht untersuchen, in wieweit dieses geflügelte Wort Recht hat,
und etwa Anwendung auf Herrn Schäffle erleidet. Was den letztern betrifft,
so kann man nur constatiren:


„Gott hat es nicht haben wollen,
Daß er Pastor hat werden sollen,"

sondern hat ihn in Gemeinschaft mit einigen nicht sehr deutsch klingenden
Namen, welche auf — „reck" und auf — „cent" endigen, zum cisleithani-
schen Minister in Oestreich gemacht. Das Durchgangsstadium vom Theologen
zum Minister war der Volkswirth; und der Beginn der neuen Bahn war
der Reichsverfassungskampf von 1849. Während nämlich Herr Schäffle sich
in dem Tübinger Stift zum Prediger des Wortes Gottes vorbereitete, brach
die Krisis der Reichsverfassung und der badische Aufstand aus, und der junge
Theologe verließ sein Stift, um sich an der badischen Reichspolitik zu bethei¬
ligen. Und die Politik ließ ihn nicht wieder los; für einen strebsamen Geist
hat sie ohne Zweifel auch größere Reize. Nach Württemberg zurückgekehrt —
Böswillige sagen mit Horaz „von thus reliew Mrmula," — nach diesem
Württemberg, von welchem Schäffle später sagte, daß es, im Gegensatze zu
Preußen, „durch Pflege aller ächtmenschlichen Culturinteresssn und deren reiche
Entwicklung glücklich wurde und ganz Deutschland vor aller Welt schmücken half,"
— wurde er Mitarbeiter und dann Hilfsredacteur des „Schwäbischen Mercur."
Zur Belehrung für nichtschwäbische Leser muß hier bemerkt werden, daß
während man sonst Mercur —^-) sagt, der richtige Schwabe der Lesart
Mircur (—den Vorzug giebt, und daß besagter Mercur im Schwaben¬
lande mindestens dieselbe Stellung einnimmt, wie die „Allgemeine Zeitung"
in Bayern. Wir wissen in der That nicht, ob es Mercur war, der Gott
der ehrsamen Kauffahrtei, — oder der Umstand, daß damals die Volkswirth¬
schaft in Deutschland begann, in weitere Kreise zu dringen, wo sie, wie
man das so nennt, „populär" oder „modisch" wurde, — kurz Schäffle
warf sich auf die „Volkswirthschaft," und erzielte hier alle die Erfolge, welche
dem Fleiße und der dialektischen Schule eines Tübinger „Stiftlers" zur Ver¬
fügung stehn.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/197>, abgerufen am 24.07.2024.