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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Document mit vieler Sorgfalt zurücknahm und zusammenrollte, "aber wenn
Du das nicht lesen kannst, wie ich eben noch glaubte, so werde ich Dir auch
den Inhalt davon nicht sagen."

Er machte eine Pause, als ob er sich etwas überlegte, und setzte sich
langsam nieder auf einen Haufen runde Kugeln oder Polsterkissen, die ihm
als eine Art Divan dienten.

Aber mit plötzlichem, fast fieberhaftem Sprung erhob er sich nach Verlauf
kurzer Zeit und äußerte Folgendes oder stieß es vielmehr aus:

"Meine Väter, von denen ich diesen unschätzbaren Apparat geerbt habe,
geboten mir bei Strafe ihres Fluchs und ihrer Götter Ungnade, mich nie¬
mals von ihm zu trennen, sondern ihn nach meinem Tode meinen Nach¬
kommen zu hinterlassen. Denn mit seiner Hülfe kann man die Zukunft lesen,
und es wird mit ihm einmal dahin kommen, daß er mit seinen Voraus¬
sagungen Bestürzung (Forbauselse) in allen Welttheilen erwecken wird. Das
sagt nicht blos mein Vater, sondern auch der Apparat selbst. Er ist der
einzige seiner Art in der ganzen weiten Welt. Nirgends giebt es Seines¬
gleichen.

Bismarck versuchte nun, den Jndier zu bewegen, daß er mit dem Appa¬
rate operire, was ihm auch gelang. Er sah, wie der Ring, der an dem
Faden hing, über den verschiedenen Buchstaben verweilte, welche der Jndier
schnell niederschrieb. Als diese zusammengesetzt wurden, las der Jndier deut¬
lich auf englisch: "Ja, ich werde einmal Bestürzung in allen Welttheilen er¬
wecken."

Bismarck bemühte sich nun weiter, den Jndier dahin zu bringen, daß er
ihm den Apparat gegen eine bedeutende Geldsumme abtrete; aber der alte
Diener war unbeugsam, ja er geriet!) zuletzt sogar in Zorn, sodaß der Graf
zu der Erkenntniß kam, auf diesem Wege werde er bei dem Jndier nichts
durchsetzen. Indeß war er doch froh über die Nachricht, die er erhalten; denn
er glaubte jetzt zu wissen, wie er den Apparat zu befragen und sich zugleich
die Antworten zu deuten hätte.

Am nächsten Tage wurde der Kammerdiener zu dem alten Jndier mit
einem noch glänzenderen Anerbieten gesandt, aber gleichermaßen abgewiesen.

Am Abend schlich sich Bismarck zum zweiten Mal durch den Garten
nach dem geheimnißvollen Hause, um den alten Diener abermals zu belau¬
schen. Er sah jetzt, daß sein letztes, glänzendes und verführerisches Anerbieten
den Alten nicht wenig erschüttert und aufgeregt hatte. Denn er lag auf den
Knien vor einer Art Altarbild und rief seine Väter und seine sowie deren
Götter an, in die große Sünde zu willigen, an die er dächte, nämlich den
Apparat für ein ganzes Vermögen zu verkaufen. Der Jndier war in Thrä¬
nen gebadet und sehr bewegt. Als er sich endlich erhob, ging er sofort auf


Document mit vieler Sorgfalt zurücknahm und zusammenrollte, „aber wenn
Du das nicht lesen kannst, wie ich eben noch glaubte, so werde ich Dir auch
den Inhalt davon nicht sagen."

Er machte eine Pause, als ob er sich etwas überlegte, und setzte sich
langsam nieder auf einen Haufen runde Kugeln oder Polsterkissen, die ihm
als eine Art Divan dienten.

Aber mit plötzlichem, fast fieberhaftem Sprung erhob er sich nach Verlauf
kurzer Zeit und äußerte Folgendes oder stieß es vielmehr aus:

„Meine Väter, von denen ich diesen unschätzbaren Apparat geerbt habe,
geboten mir bei Strafe ihres Fluchs und ihrer Götter Ungnade, mich nie¬
mals von ihm zu trennen, sondern ihn nach meinem Tode meinen Nach¬
kommen zu hinterlassen. Denn mit seiner Hülfe kann man die Zukunft lesen,
und es wird mit ihm einmal dahin kommen, daß er mit seinen Voraus¬
sagungen Bestürzung (Forbauselse) in allen Welttheilen erwecken wird. Das
sagt nicht blos mein Vater, sondern auch der Apparat selbst. Er ist der
einzige seiner Art in der ganzen weiten Welt. Nirgends giebt es Seines¬
gleichen.

Bismarck versuchte nun, den Jndier zu bewegen, daß er mit dem Appa¬
rate operire, was ihm auch gelang. Er sah, wie der Ring, der an dem
Faden hing, über den verschiedenen Buchstaben verweilte, welche der Jndier
schnell niederschrieb. Als diese zusammengesetzt wurden, las der Jndier deut¬
lich auf englisch: „Ja, ich werde einmal Bestürzung in allen Welttheilen er¬
wecken."

Bismarck bemühte sich nun weiter, den Jndier dahin zu bringen, daß er
ihm den Apparat gegen eine bedeutende Geldsumme abtrete; aber der alte
Diener war unbeugsam, ja er geriet!) zuletzt sogar in Zorn, sodaß der Graf
zu der Erkenntniß kam, auf diesem Wege werde er bei dem Jndier nichts
durchsetzen. Indeß war er doch froh über die Nachricht, die er erhalten; denn
er glaubte jetzt zu wissen, wie er den Apparat zu befragen und sich zugleich
die Antworten zu deuten hätte.

Am nächsten Tage wurde der Kammerdiener zu dem alten Jndier mit
einem noch glänzenderen Anerbieten gesandt, aber gleichermaßen abgewiesen.

Am Abend schlich sich Bismarck zum zweiten Mal durch den Garten
nach dem geheimnißvollen Hause, um den alten Diener abermals zu belau¬
schen. Er sah jetzt, daß sein letztes, glänzendes und verführerisches Anerbieten
den Alten nicht wenig erschüttert und aufgeregt hatte. Denn er lag auf den
Knien vor einer Art Altarbild und rief seine Väter und seine sowie deren
Götter an, in die große Sünde zu willigen, an die er dächte, nämlich den
Apparat für ein ganzes Vermögen zu verkaufen. Der Jndier war in Thrä¬
nen gebadet und sehr bewegt. Als er sich endlich erhob, ging er sofort auf


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[0194] Document mit vieler Sorgfalt zurücknahm und zusammenrollte, „aber wenn Du das nicht lesen kannst, wie ich eben noch glaubte, so werde ich Dir auch den Inhalt davon nicht sagen." Er machte eine Pause, als ob er sich etwas überlegte, und setzte sich langsam nieder auf einen Haufen runde Kugeln oder Polsterkissen, die ihm als eine Art Divan dienten. Aber mit plötzlichem, fast fieberhaftem Sprung erhob er sich nach Verlauf kurzer Zeit und äußerte Folgendes oder stieß es vielmehr aus: „Meine Väter, von denen ich diesen unschätzbaren Apparat geerbt habe, geboten mir bei Strafe ihres Fluchs und ihrer Götter Ungnade, mich nie¬ mals von ihm zu trennen, sondern ihn nach meinem Tode meinen Nach¬ kommen zu hinterlassen. Denn mit seiner Hülfe kann man die Zukunft lesen, und es wird mit ihm einmal dahin kommen, daß er mit seinen Voraus¬ sagungen Bestürzung (Forbauselse) in allen Welttheilen erwecken wird. Das sagt nicht blos mein Vater, sondern auch der Apparat selbst. Er ist der einzige seiner Art in der ganzen weiten Welt. Nirgends giebt es Seines¬ gleichen. Bismarck versuchte nun, den Jndier zu bewegen, daß er mit dem Appa¬ rate operire, was ihm auch gelang. Er sah, wie der Ring, der an dem Faden hing, über den verschiedenen Buchstaben verweilte, welche der Jndier schnell niederschrieb. Als diese zusammengesetzt wurden, las der Jndier deut¬ lich auf englisch: „Ja, ich werde einmal Bestürzung in allen Welttheilen er¬ wecken." Bismarck bemühte sich nun weiter, den Jndier dahin zu bringen, daß er ihm den Apparat gegen eine bedeutende Geldsumme abtrete; aber der alte Diener war unbeugsam, ja er geriet!) zuletzt sogar in Zorn, sodaß der Graf zu der Erkenntniß kam, auf diesem Wege werde er bei dem Jndier nichts durchsetzen. Indeß war er doch froh über die Nachricht, die er erhalten; denn er glaubte jetzt zu wissen, wie er den Apparat zu befragen und sich zugleich die Antworten zu deuten hätte. Am nächsten Tage wurde der Kammerdiener zu dem alten Jndier mit einem noch glänzenderen Anerbieten gesandt, aber gleichermaßen abgewiesen. Am Abend schlich sich Bismarck zum zweiten Mal durch den Garten nach dem geheimnißvollen Hause, um den alten Diener abermals zu belau¬ schen. Er sah jetzt, daß sein letztes, glänzendes und verführerisches Anerbieten den Alten nicht wenig erschüttert und aufgeregt hatte. Denn er lag auf den Knien vor einer Art Altarbild und rief seine Väter und seine sowie deren Götter an, in die große Sünde zu willigen, an die er dächte, nämlich den Apparat für ein ganzes Vermögen zu verkaufen. Der Jndier war in Thrä¬ nen gebadet und sehr bewegt. Als er sich endlich erhob, ging er sofort auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/194>, abgerufen am 24.07.2024.