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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Er schlich sich leise aus dem Gartet:, merkte sich Ort und Stelle sowie die
Umgebung und eilte nach Hause.

Nach der Heimkehr befahl er dem Kammerdiener, bei Zeiten am nächsten
Morgen sich zu erkundigen, wer der seltsame Fremde sei, und was man über
ihn sagte. Darauf leerte der Graf eine halbe Flasche Cognac mit einem
Zug und legte sich zur Ruhe.

Am nächsten Vormittag früh erhielt der Graf Nachricht von seinem Kam¬
merdiener. Das Haus, so meldete dieser, würde von einem englischen Lord
bewohnt, der einen indischen Diener hätte, welchen er selbst aus diesem Lande
mitgebracht. Der Lord wäre diesem Diener sehr gewogen, theils weil er ihm
das Leben gerettet, indem er den Angriff eines aufrührerischen Stammes vor¬
ausgesehen und vor demselben gewarnt hätte, so daß der Lord zeitig genug
Nachricht bekommen, um, statt ermordet zu werden, den Sieg zu behalten,
theils weil der Jndier sich nicht wie die meisten englischen Diener betraute
und viel Zeit in den Wirthshäusern und Spielhöhlen zubrächte. Der Jndier
bleibe stets zu Hause, und sein einziges Vergnügen bestände darin, daß er
seine freie Zeit dazu benutzte, sich in den Schmuck und die Tracht seiner
Väter zu kleiden und sich mit einigen goldglänzenden Buchstaben und einer
Figur zu beschäftigen, die in seinem Zimmer aufgestellt seien. Aber was das
zu bedeuten hätte, wüßte niemand. Die allgemeine Ansicht ginge dahin, daß
er halbverrückt wäre.

Das war Alles, was der Diener wußte. Aber für Bismarck war es
genug. "Desto besser", dachte er, "daß man ihn für verrückt ansieht, das ist
er gewiß nicht." Der Graf wollte nämlich sich nicht von der einmal gefaßten
Idee in Betreff der geheimnißvollen Kraft trennen, die ihn zu einem großen
weltberühmten Manne machen sollte.

Als der Abend kam, legte Bismarck Lakaienkleider an, ging nach dem
geheimnißvollen Hause, klopfte an die Thür des Zimmers, wo der Jndier
wohnte, und wurde noch langem Warten eingelassen. Er gab sich für den
Diener eines sehr reichen Herrn aus, der von diesem den Auftrag erhalten,
ihm den Apparat abzukaufen, zu dem er schon längst Lust gehabt hätte.

Der alte Diener geberdete sich wie ein Rasender, er gesticulirte mit Armen
und Beinen und konnte lange Zeit nicht sprechen. Endlich ging er hin zu
der Figur, drückte auf eine verborgene Feder und zog aus einer Oeffnung ein
mit seltsamen Zeichen bedecktes Pergament. Dieß übergab er Bismarck, indem
er auf englisch sagte: "Lies das!"

Bismarck sah verwundert auf dieses Stück Pergament und antwortete
rasch in derselben Sprache: "Haben Sie die Gefälligkeit, mir das zu übersetzen.
Welche Sprache ist es?"

"Das ist meine Muttersprache," erwiederte der Jndier, indem er das


Grenzboten II. 187L 24

Er schlich sich leise aus dem Gartet:, merkte sich Ort und Stelle sowie die
Umgebung und eilte nach Hause.

Nach der Heimkehr befahl er dem Kammerdiener, bei Zeiten am nächsten
Morgen sich zu erkundigen, wer der seltsame Fremde sei, und was man über
ihn sagte. Darauf leerte der Graf eine halbe Flasche Cognac mit einem
Zug und legte sich zur Ruhe.

Am nächsten Vormittag früh erhielt der Graf Nachricht von seinem Kam¬
merdiener. Das Haus, so meldete dieser, würde von einem englischen Lord
bewohnt, der einen indischen Diener hätte, welchen er selbst aus diesem Lande
mitgebracht. Der Lord wäre diesem Diener sehr gewogen, theils weil er ihm
das Leben gerettet, indem er den Angriff eines aufrührerischen Stammes vor¬
ausgesehen und vor demselben gewarnt hätte, so daß der Lord zeitig genug
Nachricht bekommen, um, statt ermordet zu werden, den Sieg zu behalten,
theils weil der Jndier sich nicht wie die meisten englischen Diener betraute
und viel Zeit in den Wirthshäusern und Spielhöhlen zubrächte. Der Jndier
bleibe stets zu Hause, und sein einziges Vergnügen bestände darin, daß er
seine freie Zeit dazu benutzte, sich in den Schmuck und die Tracht seiner
Väter zu kleiden und sich mit einigen goldglänzenden Buchstaben und einer
Figur zu beschäftigen, die in seinem Zimmer aufgestellt seien. Aber was das
zu bedeuten hätte, wüßte niemand. Die allgemeine Ansicht ginge dahin, daß
er halbverrückt wäre.

Das war Alles, was der Diener wußte. Aber für Bismarck war es
genug. „Desto besser", dachte er, „daß man ihn für verrückt ansieht, das ist
er gewiß nicht." Der Graf wollte nämlich sich nicht von der einmal gefaßten
Idee in Betreff der geheimnißvollen Kraft trennen, die ihn zu einem großen
weltberühmten Manne machen sollte.

Als der Abend kam, legte Bismarck Lakaienkleider an, ging nach dem
geheimnißvollen Hause, klopfte an die Thür des Zimmers, wo der Jndier
wohnte, und wurde noch langem Warten eingelassen. Er gab sich für den
Diener eines sehr reichen Herrn aus, der von diesem den Auftrag erhalten,
ihm den Apparat abzukaufen, zu dem er schon längst Lust gehabt hätte.

Der alte Diener geberdete sich wie ein Rasender, er gesticulirte mit Armen
und Beinen und konnte lange Zeit nicht sprechen. Endlich ging er hin zu
der Figur, drückte auf eine verborgene Feder und zog aus einer Oeffnung ein
mit seltsamen Zeichen bedecktes Pergament. Dieß übergab er Bismarck, indem
er auf englisch sagte: „Lies das!"

Bismarck sah verwundert auf dieses Stück Pergament und antwortete
rasch in derselben Sprache: „Haben Sie die Gefälligkeit, mir das zu übersetzen.
Welche Sprache ist es?»

„Das ist meine Muttersprache," erwiederte der Jndier, indem er das


Grenzboten II. 187L 24
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[0193] Er schlich sich leise aus dem Gartet:, merkte sich Ort und Stelle sowie die Umgebung und eilte nach Hause. Nach der Heimkehr befahl er dem Kammerdiener, bei Zeiten am nächsten Morgen sich zu erkundigen, wer der seltsame Fremde sei, und was man über ihn sagte. Darauf leerte der Graf eine halbe Flasche Cognac mit einem Zug und legte sich zur Ruhe. Am nächsten Vormittag früh erhielt der Graf Nachricht von seinem Kam¬ merdiener. Das Haus, so meldete dieser, würde von einem englischen Lord bewohnt, der einen indischen Diener hätte, welchen er selbst aus diesem Lande mitgebracht. Der Lord wäre diesem Diener sehr gewogen, theils weil er ihm das Leben gerettet, indem er den Angriff eines aufrührerischen Stammes vor¬ ausgesehen und vor demselben gewarnt hätte, so daß der Lord zeitig genug Nachricht bekommen, um, statt ermordet zu werden, den Sieg zu behalten, theils weil der Jndier sich nicht wie die meisten englischen Diener betraute und viel Zeit in den Wirthshäusern und Spielhöhlen zubrächte. Der Jndier bleibe stets zu Hause, und sein einziges Vergnügen bestände darin, daß er seine freie Zeit dazu benutzte, sich in den Schmuck und die Tracht seiner Väter zu kleiden und sich mit einigen goldglänzenden Buchstaben und einer Figur zu beschäftigen, die in seinem Zimmer aufgestellt seien. Aber was das zu bedeuten hätte, wüßte niemand. Die allgemeine Ansicht ginge dahin, daß er halbverrückt wäre. Das war Alles, was der Diener wußte. Aber für Bismarck war es genug. „Desto besser", dachte er, „daß man ihn für verrückt ansieht, das ist er gewiß nicht." Der Graf wollte nämlich sich nicht von der einmal gefaßten Idee in Betreff der geheimnißvollen Kraft trennen, die ihn zu einem großen weltberühmten Manne machen sollte. Als der Abend kam, legte Bismarck Lakaienkleider an, ging nach dem geheimnißvollen Hause, klopfte an die Thür des Zimmers, wo der Jndier wohnte, und wurde noch langem Warten eingelassen. Er gab sich für den Diener eines sehr reichen Herrn aus, der von diesem den Auftrag erhalten, ihm den Apparat abzukaufen, zu dem er schon längst Lust gehabt hätte. Der alte Diener geberdete sich wie ein Rasender, er gesticulirte mit Armen und Beinen und konnte lange Zeit nicht sprechen. Endlich ging er hin zu der Figur, drückte auf eine verborgene Feder und zog aus einer Oeffnung ein mit seltsamen Zeichen bedecktes Pergament. Dieß übergab er Bismarck, indem er auf englisch sagte: „Lies das!" Bismarck sah verwundert auf dieses Stück Pergament und antwortete rasch in derselben Sprache: „Haben Sie die Gefälligkeit, mir das zu übersetzen. Welche Sprache ist es?» „Das ist meine Muttersprache," erwiederte der Jndier, indem er das Grenzboten II. 187L 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/193>, abgerufen am 24.07.2024.