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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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durchaus unbegreiflichen Etwas beschäftigte. Daß es ein Verbrecher, ein Falsch¬
münzer oder etwas Aehnliches sein sollte, sah der Graf als ganz unwahr¬
scheinlich an, da die betreffende Person ihr soeben bezeichnetes Geschäft doch
gewiß nicht unverhüllt betrieben, und da sie dann doch nicht, wie hier der
Fall war, die Rouleaux oben gelassen haben würde.

Der Graf ging sogleich mit leisem Schritt in den Garten hinein, um sich
die Person näher zu betrachten. Es war ein Mann von ungefähr fünfzig
Jahren mit langen rabenschwarzen Haaren, dunkeln, blitzenden Augen, dunkel¬
brauner Gesichtsfarbe und gekleidet in eine phantastische, halb morgenländische
Tracht. Er war damit beschäftigt, Buchstaben oder Zeichen zu lesen, welche
von Gold oder einem andern ähnlichen Metall verfertigt und aus einer silber¬
artigem Platte angebracht waren. Das Ganze stand auf einem kleinen merk¬
würdig plumpen Schreibtisch mit ausgeschnitzten Figuren, welche wunderlichen
Thier- oder Götterbildern glichen. Ueber diesen Buchstaben schwebte ein Ring,
der an einer grünen Schnur hing, die ihrerseits um das oberste Glied des
Daumens und Zeigefingers einer Figur geschlungen war, welche aussah, als
ob sie von rothem Leder oder Saffian gemacht wäre. Die Figur trug zum
Theil Kleidungsstücke, die von Katzenfell zu sein schienen.

Bismarck starrte zuerst erstaunt auf diese Scene, er konnte nicht fassen,
weshalb der Mann mit so großer Aufmerksamkeit die Schwingungen des
Ringes betrachtete und immer hastig die Buchstaben aufschrieb, über denen er
anhielt. Als gebildeter Mann hatte er natürlich vom Odometer sprechen
gehört, einem Apparat, der, je nach der Beschaffenheit des Metalls, welches
man unter ihm anbringt, kürzere oder längere Schwingungen vornimmt; da¬
gegen hatte er nichts davon gehört, daß man unter sothanem Apparat er¬
klärende Dinge, z. B. wie hier der Fall war, Buchstaben, anbringen könnte.

Bismarcks Einbildungskraft gerieth sofort in eine sehr lebhafte Bewegung.
Er war von Natur zum Aberglauben geneigt, und die verschiedensten Ge¬
danken bestürmten sein Gehirn. Sein Kopf brannte in Fieberhitze; denn er
konnte sich nicht täuschen, wenn er annahm, daß der Mann in der phantasti¬
schen Tracht an den Apparat Fragen richtete, die dieser mit Schwingungen
des Ringes über den Buchstaben beantwortete, welche unter demselben ange¬
bracht waren. Im Geiste sah er sich bereits als Eigenthümer des Apparats
vor ihm sitzen und eine Frage über die Zukunft an ihn richten. Das war
ein sehr behaglicher Gedanke für den Grafen. Aber wie sollte er sich dieses
Apparats bemächtigen, wie das Geheimniß erfahren, wem er gehörte und
wer- die räthselhafte, phantastisch gekleidete Person war, welche die Geschicke
der Zukunft las? Alles das gab ihm noch zu denken.

Dem Grafen bebten die Knie, sein ganzer Körper brannte wie von Fieber.


durchaus unbegreiflichen Etwas beschäftigte. Daß es ein Verbrecher, ein Falsch¬
münzer oder etwas Aehnliches sein sollte, sah der Graf als ganz unwahr¬
scheinlich an, da die betreffende Person ihr soeben bezeichnetes Geschäft doch
gewiß nicht unverhüllt betrieben, und da sie dann doch nicht, wie hier der
Fall war, die Rouleaux oben gelassen haben würde.

Der Graf ging sogleich mit leisem Schritt in den Garten hinein, um sich
die Person näher zu betrachten. Es war ein Mann von ungefähr fünfzig
Jahren mit langen rabenschwarzen Haaren, dunkeln, blitzenden Augen, dunkel¬
brauner Gesichtsfarbe und gekleidet in eine phantastische, halb morgenländische
Tracht. Er war damit beschäftigt, Buchstaben oder Zeichen zu lesen, welche
von Gold oder einem andern ähnlichen Metall verfertigt und aus einer silber¬
artigem Platte angebracht waren. Das Ganze stand auf einem kleinen merk¬
würdig plumpen Schreibtisch mit ausgeschnitzten Figuren, welche wunderlichen
Thier- oder Götterbildern glichen. Ueber diesen Buchstaben schwebte ein Ring,
der an einer grünen Schnur hing, die ihrerseits um das oberste Glied des
Daumens und Zeigefingers einer Figur geschlungen war, welche aussah, als
ob sie von rothem Leder oder Saffian gemacht wäre. Die Figur trug zum
Theil Kleidungsstücke, die von Katzenfell zu sein schienen.

Bismarck starrte zuerst erstaunt auf diese Scene, er konnte nicht fassen,
weshalb der Mann mit so großer Aufmerksamkeit die Schwingungen des
Ringes betrachtete und immer hastig die Buchstaben aufschrieb, über denen er
anhielt. Als gebildeter Mann hatte er natürlich vom Odometer sprechen
gehört, einem Apparat, der, je nach der Beschaffenheit des Metalls, welches
man unter ihm anbringt, kürzere oder längere Schwingungen vornimmt; da¬
gegen hatte er nichts davon gehört, daß man unter sothanem Apparat er¬
klärende Dinge, z. B. wie hier der Fall war, Buchstaben, anbringen könnte.

Bismarcks Einbildungskraft gerieth sofort in eine sehr lebhafte Bewegung.
Er war von Natur zum Aberglauben geneigt, und die verschiedensten Ge¬
danken bestürmten sein Gehirn. Sein Kopf brannte in Fieberhitze; denn er
konnte sich nicht täuschen, wenn er annahm, daß der Mann in der phantasti¬
schen Tracht an den Apparat Fragen richtete, die dieser mit Schwingungen
des Ringes über den Buchstaben beantwortete, welche unter demselben ange¬
bracht waren. Im Geiste sah er sich bereits als Eigenthümer des Apparats
vor ihm sitzen und eine Frage über die Zukunft an ihn richten. Das war
ein sehr behaglicher Gedanke für den Grafen. Aber wie sollte er sich dieses
Apparats bemächtigen, wie das Geheimniß erfahren, wem er gehörte und
wer- die räthselhafte, phantastisch gekleidete Person war, welche die Geschicke
der Zukunft las? Alles das gab ihm noch zu denken.

Dem Grafen bebten die Knie, sein ganzer Körper brannte wie von Fieber.


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[0192] durchaus unbegreiflichen Etwas beschäftigte. Daß es ein Verbrecher, ein Falsch¬ münzer oder etwas Aehnliches sein sollte, sah der Graf als ganz unwahr¬ scheinlich an, da die betreffende Person ihr soeben bezeichnetes Geschäft doch gewiß nicht unverhüllt betrieben, und da sie dann doch nicht, wie hier der Fall war, die Rouleaux oben gelassen haben würde. Der Graf ging sogleich mit leisem Schritt in den Garten hinein, um sich die Person näher zu betrachten. Es war ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren mit langen rabenschwarzen Haaren, dunkeln, blitzenden Augen, dunkel¬ brauner Gesichtsfarbe und gekleidet in eine phantastische, halb morgenländische Tracht. Er war damit beschäftigt, Buchstaben oder Zeichen zu lesen, welche von Gold oder einem andern ähnlichen Metall verfertigt und aus einer silber¬ artigem Platte angebracht waren. Das Ganze stand auf einem kleinen merk¬ würdig plumpen Schreibtisch mit ausgeschnitzten Figuren, welche wunderlichen Thier- oder Götterbildern glichen. Ueber diesen Buchstaben schwebte ein Ring, der an einer grünen Schnur hing, die ihrerseits um das oberste Glied des Daumens und Zeigefingers einer Figur geschlungen war, welche aussah, als ob sie von rothem Leder oder Saffian gemacht wäre. Die Figur trug zum Theil Kleidungsstücke, die von Katzenfell zu sein schienen. Bismarck starrte zuerst erstaunt auf diese Scene, er konnte nicht fassen, weshalb der Mann mit so großer Aufmerksamkeit die Schwingungen des Ringes betrachtete und immer hastig die Buchstaben aufschrieb, über denen er anhielt. Als gebildeter Mann hatte er natürlich vom Odometer sprechen gehört, einem Apparat, der, je nach der Beschaffenheit des Metalls, welches man unter ihm anbringt, kürzere oder längere Schwingungen vornimmt; da¬ gegen hatte er nichts davon gehört, daß man unter sothanem Apparat er¬ klärende Dinge, z. B. wie hier der Fall war, Buchstaben, anbringen könnte. Bismarcks Einbildungskraft gerieth sofort in eine sehr lebhafte Bewegung. Er war von Natur zum Aberglauben geneigt, und die verschiedensten Ge¬ danken bestürmten sein Gehirn. Sein Kopf brannte in Fieberhitze; denn er konnte sich nicht täuschen, wenn er annahm, daß der Mann in der phantasti¬ schen Tracht an den Apparat Fragen richtete, die dieser mit Schwingungen des Ringes über den Buchstaben beantwortete, welche unter demselben ange¬ bracht waren. Im Geiste sah er sich bereits als Eigenthümer des Apparats vor ihm sitzen und eine Frage über die Zukunft an ihn richten. Das war ein sehr behaglicher Gedanke für den Grafen. Aber wie sollte er sich dieses Apparats bemächtigen, wie das Geheimniß erfahren, wem er gehörte und wer- die räthselhafte, phantastisch gekleidete Person war, welche die Geschicke der Zukunft las? Alles das gab ihm noch zu denken. Dem Grafen bebten die Knie, sein ganzer Körper brannte wie von Fieber.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/192>, abgerufen am 24.07.2024.