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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Stromaufwärts, stromabwärts eilt sie verängstigt
In rathlosem Nasen und kann nicht entrinnen;
Dann zurück ohne Rettung wird sie gerissen
Und zappelt nun im Sande in der sengenden Sonne." --

Es genüge an dem einen Beispiele; aus jedem Gesänge ließen sie sich
leicht verzehnfachen. Besondere Glanzparthien sind die Scenen, wo Volker
seine Fidel aus dem mit Luchsfell bezogenen Lädchen nimmt und stimmt und
endlich geigt, daß "goldrein girren die vier Geschwister, die Saiten;" -- so¬
dann die Scene von den badenden Königinnen, so schön, so unverhüllt und
so keusch wie die Venus von Milo, dann die mannigfachen, beinahe in zu
großer Fülle sich drängenden Naturbilder im dreiundzwanzigsten Gesänge auf
der Jagd, wo Sigfried erschlagen wird. Keine Sommer-Landschaft, die wir
etwa zur Winterszeit im Gemäldesalon bewundern, vermag uns mit solcher
Kraft auf einmal den belaubten Wald und die sommerliche Lust vor die
Seele zu zaubern, wie jener dreiundzwanzigste Gesang. Daß übrigens der
Dichter hier von der Licenz, ja von dem Gesetz der epischen Breite den aus¬
gedehntesten Gebrauch macht, wer wollte es- ihm verargen an der Stelle, wo
er seinen Helden verliert? -- Mehr über Jordans Dichterkraft in der Detail¬
schilderung zu sagen, ist nicht nöthig; hier wird Jeder leicht im Stande sein,
dem Dichter zu folgen und ihn zu bewundern.

Zum Schlüsse nur noch ein Wort über den alten Stabvers, den Jordan
zuerst wieder für die deutsche Sprache in Geltung bringt. Es hängt diese
Wiedererweckung des dem modernen Ohr anfangs fremd klingenden, urdeut¬
schen Verses zusammen mit Jordans idealem Glauben an das Schöne, dessen
Alles besiegende Macht die Vorurtheile des conventionell Unrichtigen schon
beseitigen werde. Er bedürfte dieses Glaubens in vollem Maße, um einen
Vers zu wählen, dessen Bedeutung auf dem Gleichklang der Anfangsbuch¬
staben der Wörter beruht, wofür einem durch Prosaromane ohnehin formell
abgestumpften Publicum der Sinn verloren gegangen ist. Nur Reimverse
sind den Meisten überhaupt noch Verse. Der Rhythmus ist bei Jordan
ohnehin auch ein sehr freier; vier betonte Hebungen in einer Zeile, daneben
bald mehr bald weniger Senkungen, -- das sind für den an jambisch schar¬
fen Trab gewöhnten Leser gar keine Verse mehr. Gerade aber für das Epos er¬
scheinen uns diese als die rechten Verse. Der Epiker ist Erzähler; er muß
viel erzählen mit einer gewissen Geschwätzigkeit. Kunstvolle Versformen,
welche schon in die Lyrik hinübergreifen würden, wären da nicht am Platze;
nicht nur würden sie den Rhapsoden hemmen, sondern auch dem Zuhörer
das Verständniß erschweren. Ganz einfach wie am Rosenkranz Kügelchen
auf Kügelchen durch die Finger gleitet, so müssen die Perlen der Sage, des
Märchens vorübergleiten; der Lyriker faßt etwa einmal eine zum kunstvollen


Stromaufwärts, stromabwärts eilt sie verängstigt
In rathlosem Nasen und kann nicht entrinnen;
Dann zurück ohne Rettung wird sie gerissen
Und zappelt nun im Sande in der sengenden Sonne." —

Es genüge an dem einen Beispiele; aus jedem Gesänge ließen sie sich
leicht verzehnfachen. Besondere Glanzparthien sind die Scenen, wo Volker
seine Fidel aus dem mit Luchsfell bezogenen Lädchen nimmt und stimmt und
endlich geigt, daß „goldrein girren die vier Geschwister, die Saiten;" — so¬
dann die Scene von den badenden Königinnen, so schön, so unverhüllt und
so keusch wie die Venus von Milo, dann die mannigfachen, beinahe in zu
großer Fülle sich drängenden Naturbilder im dreiundzwanzigsten Gesänge auf
der Jagd, wo Sigfried erschlagen wird. Keine Sommer-Landschaft, die wir
etwa zur Winterszeit im Gemäldesalon bewundern, vermag uns mit solcher
Kraft auf einmal den belaubten Wald und die sommerliche Lust vor die
Seele zu zaubern, wie jener dreiundzwanzigste Gesang. Daß übrigens der
Dichter hier von der Licenz, ja von dem Gesetz der epischen Breite den aus¬
gedehntesten Gebrauch macht, wer wollte es- ihm verargen an der Stelle, wo
er seinen Helden verliert? — Mehr über Jordans Dichterkraft in der Detail¬
schilderung zu sagen, ist nicht nöthig; hier wird Jeder leicht im Stande sein,
dem Dichter zu folgen und ihn zu bewundern.

Zum Schlüsse nur noch ein Wort über den alten Stabvers, den Jordan
zuerst wieder für die deutsche Sprache in Geltung bringt. Es hängt diese
Wiedererweckung des dem modernen Ohr anfangs fremd klingenden, urdeut¬
schen Verses zusammen mit Jordans idealem Glauben an das Schöne, dessen
Alles besiegende Macht die Vorurtheile des conventionell Unrichtigen schon
beseitigen werde. Er bedürfte dieses Glaubens in vollem Maße, um einen
Vers zu wählen, dessen Bedeutung auf dem Gleichklang der Anfangsbuch¬
staben der Wörter beruht, wofür einem durch Prosaromane ohnehin formell
abgestumpften Publicum der Sinn verloren gegangen ist. Nur Reimverse
sind den Meisten überhaupt noch Verse. Der Rhythmus ist bei Jordan
ohnehin auch ein sehr freier; vier betonte Hebungen in einer Zeile, daneben
bald mehr bald weniger Senkungen, — das sind für den an jambisch schar¬
fen Trab gewöhnten Leser gar keine Verse mehr. Gerade aber für das Epos er¬
scheinen uns diese als die rechten Verse. Der Epiker ist Erzähler; er muß
viel erzählen mit einer gewissen Geschwätzigkeit. Kunstvolle Versformen,
welche schon in die Lyrik hinübergreifen würden, wären da nicht am Platze;
nicht nur würden sie den Rhapsoden hemmen, sondern auch dem Zuhörer
das Verständniß erschweren. Ganz einfach wie am Rosenkranz Kügelchen
auf Kügelchen durch die Finger gleitet, so müssen die Perlen der Sage, des
Märchens vorübergleiten; der Lyriker faßt etwa einmal eine zum kunstvollen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/187>, abgerufen am 24.07.2024.