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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Jordan niemals zu dem Meister der lebensvollsten Plastik machen können,
als welcher er in seinen Nibelungen dasteht. Dazu gehört noch etwas Ande¬
res; nicht ein ästhetisches Geheimmittel, sondern einfach, daß man, wie Goethe
sagt, der "Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit" empfangen habe,
daß man also mit klaren Augen die Welt recht anschaue so, wie sie wirklich
ist, nicht wie der Prinz Ornaro (im Triumph der Empfindsamkeit) eine
selbst gemachte Welt mit künstlichem Wald, Laternen-Mondschein, Leierkasten-
Vogelgesang u. s. w. mit sich herumtrage. Es ist eine Fabel, daß Homer
blind gewesen. In seinem Auge hat sich die Welt gespiegelt wie in keinem
andern. Wiedergabe des Lebens, des glanzvollen Geschehens, -- darin besteht
ja zumal die epische Poesie. Aber der gelehrte Dichter gelangt hierzu nicht,
weil er zu selten zur lebendigen, kräftigen Anschauung gelangt. Jordan hat
die Natur in ihren tiefsten Tiefen belauscht; der erste Lohn, den sie dem
Lauscher gewährt, ist die Erkenntniß, wie nichts in ihr unbedeutend, Alles
poetisch ist. So verfügt Jordan über ein ungeheures Reich als souveräner
Herrscher, während Andere nur die berühmtesten aber auch gewöhnlichsten
Bruchstücke dieses Reiches kennen. Man lese, da hier Beispiele am Platze
sind, Jordans Schilderung vom Fang der Forelle im zweiten Gesang.


"--da kam eine Hummel,
Rettung suchend und zornig summend,
In eiligster Angst aus ihrem Erdloch,
Am Hintertheil hochgelb, wächserne Höschen
An ihren Füßen. Die fing sich Volant
Und spießte sie behutsam auf den spitzen Haken.
Dann hob er mit dem Handgelenk die Haselruthe
Zu leichtem Schwunge. -- Langsam schwebend
Kam der Köder über dem Kopfe
Der flinken Forelle zur Fläche des Rheins.
Die Beute erblickend, ein lebendiger Blitzstrahl,
Kommt sie geschossen. Da sieht sie ein Scheusal
Stehn am Gestade. Sie will sich verstecken
Vor dem schrecklichen Zweibein unten im Zwielicht, --
Da fühlt sie sich schaudernd von etwas scharfen
Schmerzlich gestochen. Sie denkt, der Stachel
Der dicken Biene durchbohre ihre Backe,
Doch kann sie nicht sinken. Umsonst versucht sie
Die Spießente Speise herauszuspcien,
Es zieht, es zerrt sie ein unsichtbarer Zügel
Immer nach oben. Mit offnem Maule
Hebt sie's in die Höhe, hinauf in die Hitze;
Dörrend in's Gedärm wie feurige Dämpfe
Würgt sie ein Luftschwall und lahmt ihr Leben.

Jordan niemals zu dem Meister der lebensvollsten Plastik machen können,
als welcher er in seinen Nibelungen dasteht. Dazu gehört noch etwas Ande¬
res; nicht ein ästhetisches Geheimmittel, sondern einfach, daß man, wie Goethe
sagt, der „Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit" empfangen habe,
daß man also mit klaren Augen die Welt recht anschaue so, wie sie wirklich
ist, nicht wie der Prinz Ornaro (im Triumph der Empfindsamkeit) eine
selbst gemachte Welt mit künstlichem Wald, Laternen-Mondschein, Leierkasten-
Vogelgesang u. s. w. mit sich herumtrage. Es ist eine Fabel, daß Homer
blind gewesen. In seinem Auge hat sich die Welt gespiegelt wie in keinem
andern. Wiedergabe des Lebens, des glanzvollen Geschehens, — darin besteht
ja zumal die epische Poesie. Aber der gelehrte Dichter gelangt hierzu nicht,
weil er zu selten zur lebendigen, kräftigen Anschauung gelangt. Jordan hat
die Natur in ihren tiefsten Tiefen belauscht; der erste Lohn, den sie dem
Lauscher gewährt, ist die Erkenntniß, wie nichts in ihr unbedeutend, Alles
poetisch ist. So verfügt Jordan über ein ungeheures Reich als souveräner
Herrscher, während Andere nur die berühmtesten aber auch gewöhnlichsten
Bruchstücke dieses Reiches kennen. Man lese, da hier Beispiele am Platze
sind, Jordans Schilderung vom Fang der Forelle im zweiten Gesang.


„--da kam eine Hummel,
Rettung suchend und zornig summend,
In eiligster Angst aus ihrem Erdloch,
Am Hintertheil hochgelb, wächserne Höschen
An ihren Füßen. Die fing sich Volant
Und spießte sie behutsam auf den spitzen Haken.
Dann hob er mit dem Handgelenk die Haselruthe
Zu leichtem Schwunge. — Langsam schwebend
Kam der Köder über dem Kopfe
Der flinken Forelle zur Fläche des Rheins.
Die Beute erblickend, ein lebendiger Blitzstrahl,
Kommt sie geschossen. Da sieht sie ein Scheusal
Stehn am Gestade. Sie will sich verstecken
Vor dem schrecklichen Zweibein unten im Zwielicht, —
Da fühlt sie sich schaudernd von etwas scharfen
Schmerzlich gestochen. Sie denkt, der Stachel
Der dicken Biene durchbohre ihre Backe,
Doch kann sie nicht sinken. Umsonst versucht sie
Die Spießente Speise herauszuspcien,
Es zieht, es zerrt sie ein unsichtbarer Zügel
Immer nach oben. Mit offnem Maule
Hebt sie's in die Höhe, hinauf in die Hitze;
Dörrend in's Gedärm wie feurige Dämpfe
Würgt sie ein Luftschwall und lahmt ihr Leben.

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[0186] Jordan niemals zu dem Meister der lebensvollsten Plastik machen können, als welcher er in seinen Nibelungen dasteht. Dazu gehört noch etwas Ande¬ res; nicht ein ästhetisches Geheimmittel, sondern einfach, daß man, wie Goethe sagt, der „Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit" empfangen habe, daß man also mit klaren Augen die Welt recht anschaue so, wie sie wirklich ist, nicht wie der Prinz Ornaro (im Triumph der Empfindsamkeit) eine selbst gemachte Welt mit künstlichem Wald, Laternen-Mondschein, Leierkasten- Vogelgesang u. s. w. mit sich herumtrage. Es ist eine Fabel, daß Homer blind gewesen. In seinem Auge hat sich die Welt gespiegelt wie in keinem andern. Wiedergabe des Lebens, des glanzvollen Geschehens, — darin besteht ja zumal die epische Poesie. Aber der gelehrte Dichter gelangt hierzu nicht, weil er zu selten zur lebendigen, kräftigen Anschauung gelangt. Jordan hat die Natur in ihren tiefsten Tiefen belauscht; der erste Lohn, den sie dem Lauscher gewährt, ist die Erkenntniß, wie nichts in ihr unbedeutend, Alles poetisch ist. So verfügt Jordan über ein ungeheures Reich als souveräner Herrscher, während Andere nur die berühmtesten aber auch gewöhnlichsten Bruchstücke dieses Reiches kennen. Man lese, da hier Beispiele am Platze sind, Jordans Schilderung vom Fang der Forelle im zweiten Gesang. „--da kam eine Hummel, Rettung suchend und zornig summend, In eiligster Angst aus ihrem Erdloch, Am Hintertheil hochgelb, wächserne Höschen An ihren Füßen. Die fing sich Volant Und spießte sie behutsam auf den spitzen Haken. Dann hob er mit dem Handgelenk die Haselruthe Zu leichtem Schwunge. — Langsam schwebend Kam der Köder über dem Kopfe Der flinken Forelle zur Fläche des Rheins. Die Beute erblickend, ein lebendiger Blitzstrahl, Kommt sie geschossen. Da sieht sie ein Scheusal Stehn am Gestade. Sie will sich verstecken Vor dem schrecklichen Zweibein unten im Zwielicht, — Da fühlt sie sich schaudernd von etwas scharfen Schmerzlich gestochen. Sie denkt, der Stachel Der dicken Biene durchbohre ihre Backe, Doch kann sie nicht sinken. Umsonst versucht sie Die Spießente Speise herauszuspcien, Es zieht, es zerrt sie ein unsichtbarer Zügel Immer nach oben. Mit offnem Maule Hebt sie's in die Höhe, hinauf in die Hitze; Dörrend in's Gedärm wie feurige Dämpfe Würgt sie ein Luftschwall und lahmt ihr Leben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/186>, abgerufen am 24.07.2024.