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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Geschmeide. Beinahe wäre also die Prosa am Platze, aber doch nicht ganz,
da eben doch der Inhalt über das Gewöhnliche hinausweist und eine über
die Prosarede hinausgehende Steigerung des Ausdrucks verlangt. Also etwas
über Prosa, aber nicht lyrische Kunstform! So haben die Araber ihre Ma-
kamen, die Griechen, deren Harmoniegefühl schon eine höhere Steigerung zu¬
läßt, d'en Hexameter, wir den Stabvers. Treffliches über denselben sagt Röpe
in seiner bereits angeführten Schrift über Jordans Nibelunge; er betont be¬
sonders, daß keine andere Sprache diesen auf dem Gleichklang der Consonan-
ten besonders ruhenden Vers habe, daß namentlich die romanischen Sprachen
denselben gar nicht haben können. Er macht aus den Werth der Konsonan¬
ten im Worte aufmerksam; sie sind das Knochengerüst mit der Hirnschaale;
die Vocale legen sich als Musculatur, als Weichtheile daran. So paßt denn
auch der Reim, aus vocalischem Gleichklang beruhend, zur weichen Lyrik vor¬
trefflich. Für das deutsche Ohr und den deutschen Genius muß ein besonde¬
rer Reiz darin liegen, die Verse gerade von denjenigen Worttheilen zusam¬
mengehalten zu hören, auf welchen der Begriff selbst ruht. Wer sich hierüber
des Genauern zu unterrichten wünscht, kann namentlich auch auf Jordan's
Schrift: "Der epische Vers der Germanen und sein Stabreim" verwiesen wer¬
den. -- Aber außer dem alten Verse hat Jordan auch den alten Skalden¬
brauch, als Sänger von Land zu Lande zu ziehen und sein Gedicht persönlich
vorzutragen, zur neuen Geltung gebracht. Auch als solchem haben wir ihm
zu Füßen gesessen und ihn herrlich erfunden in seinen Leistungen, groß im
Glauben an die Unverwüstlichkeit des Aechter und des Schönen. Welche
Vorurtheile mögen ihm anfangs entgegengestanden haben! Wie leicht ver¬
urtheilt man ein solches Unterfangen als ein unpassendes Aufdrängen der
Poesie, wie leicht stellt man den Dichter in eine Reihe mit jenen musikalischen
Virtuosen, die ja allerdings die Corsaren der modernen Gesellschaft, oft die
Schänder der heiligen Kunst heißen müssen. Doch Jordan hat es gewagt,
weil er wissen konnte, was er biete; er hat es gewagt, weil namentlich auch
der sittliche Ernst seiner Dichtung so läuternd auf die Hörer zu wirken pflegt,
daß Jordan gewissermassen neben seiner poetischen Sendung sich einer sittlich
religiösen bewußt sein darf, und es liegt allerdings in der Natur des Reli¬
gionsstifters, hervorzutreten ohne Scheu. Der Erfolg spricht für Jordan;
sein Zug durch Deutschland ist ein Triumphzug, der nicht so sehr in stürmi¬
schen Acclamationen, wie sie einst wohl einem Herwegh zu Theil geworden
sind, als in freudiger Zustimmung aller Guten der Nation sich kundgiebt.
Eine Fülle von Recensionen in allen möglichen Zeitungen ist Jordans rhapso¬
dischen Vorträgen gewidmet. Die bedeutendsten sind wohl die von Laube
in Wie<und die von Kreyssig in Danzig; unzählige andere reihen sich an
dieselben. Männer und Frauen werden bewegt wie noch nie von der Zan-


Geschmeide. Beinahe wäre also die Prosa am Platze, aber doch nicht ganz,
da eben doch der Inhalt über das Gewöhnliche hinausweist und eine über
die Prosarede hinausgehende Steigerung des Ausdrucks verlangt. Also etwas
über Prosa, aber nicht lyrische Kunstform! So haben die Araber ihre Ma-
kamen, die Griechen, deren Harmoniegefühl schon eine höhere Steigerung zu¬
läßt, d'en Hexameter, wir den Stabvers. Treffliches über denselben sagt Röpe
in seiner bereits angeführten Schrift über Jordans Nibelunge; er betont be¬
sonders, daß keine andere Sprache diesen auf dem Gleichklang der Consonan-
ten besonders ruhenden Vers habe, daß namentlich die romanischen Sprachen
denselben gar nicht haben können. Er macht aus den Werth der Konsonan¬
ten im Worte aufmerksam; sie sind das Knochengerüst mit der Hirnschaale;
die Vocale legen sich als Musculatur, als Weichtheile daran. So paßt denn
auch der Reim, aus vocalischem Gleichklang beruhend, zur weichen Lyrik vor¬
trefflich. Für das deutsche Ohr und den deutschen Genius muß ein besonde¬
rer Reiz darin liegen, die Verse gerade von denjenigen Worttheilen zusam¬
mengehalten zu hören, auf welchen der Begriff selbst ruht. Wer sich hierüber
des Genauern zu unterrichten wünscht, kann namentlich auch auf Jordan's
Schrift: „Der epische Vers der Germanen und sein Stabreim" verwiesen wer¬
den. — Aber außer dem alten Verse hat Jordan auch den alten Skalden¬
brauch, als Sänger von Land zu Lande zu ziehen und sein Gedicht persönlich
vorzutragen, zur neuen Geltung gebracht. Auch als solchem haben wir ihm
zu Füßen gesessen und ihn herrlich erfunden in seinen Leistungen, groß im
Glauben an die Unverwüstlichkeit des Aechter und des Schönen. Welche
Vorurtheile mögen ihm anfangs entgegengestanden haben! Wie leicht ver¬
urtheilt man ein solches Unterfangen als ein unpassendes Aufdrängen der
Poesie, wie leicht stellt man den Dichter in eine Reihe mit jenen musikalischen
Virtuosen, die ja allerdings die Corsaren der modernen Gesellschaft, oft die
Schänder der heiligen Kunst heißen müssen. Doch Jordan hat es gewagt,
weil er wissen konnte, was er biete; er hat es gewagt, weil namentlich auch
der sittliche Ernst seiner Dichtung so läuternd auf die Hörer zu wirken pflegt,
daß Jordan gewissermassen neben seiner poetischen Sendung sich einer sittlich
religiösen bewußt sein darf, und es liegt allerdings in der Natur des Reli¬
gionsstifters, hervorzutreten ohne Scheu. Der Erfolg spricht für Jordan;
sein Zug durch Deutschland ist ein Triumphzug, der nicht so sehr in stürmi¬
schen Acclamationen, wie sie einst wohl einem Herwegh zu Theil geworden
sind, als in freudiger Zustimmung aller Guten der Nation sich kundgiebt.
Eine Fülle von Recensionen in allen möglichen Zeitungen ist Jordans rhapso¬
dischen Vorträgen gewidmet. Die bedeutendsten sind wohl die von Laube
in Wie<und die von Kreyssig in Danzig; unzählige andere reihen sich an
dieselben. Männer und Frauen werden bewegt wie noch nie von der Zan-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/188>, abgerufen am 24.07.2024.