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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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wissenschaftlichen Werken, die wir über ihn gelesen haben, nicht so durch und durch
besanne und verständlich wie Jordans König Günther; von Chriemhilden gar
nicht zu reden, der im mittelalterlichen Gedichte Engel und Teufel in seltsamer
Bereinigung das Herz zu bewohnen scheinen. Bei Jordan ist sie klar und
sicher aufgefaßt. Ihre Liebe zu Sigfried, durchaus nicht idealistisch, ist gleich¬
wohl stark und groß wie die elementaren Naturgewalten, nicht obgleich, son¬
dern weil sie stark sinnlich und nichts anderes ist als die prächtig entfaltete
Blüthe eines gesunden Egoismus. Diese Sorte Frauenliebe ist auch gewiß
die beste, weit beglückender für den Mann, ersprießlicher für die Kinder und
segensreicher für das Menschengeschlecht, als jene vielgerühmte, die nur Hin¬
gebung und Aufopferung sein will, und, je anspruchsloser sie sich stellt, desto
unerträglicher quält mit naturwidriger Ansprüchen. Chriemhilde gehört also
nicht zu den sogenannten weiblichen Engeln. Dazu ist sie viel zu gesund, zu
naturwüchsig. Aber mit diesem Zug der natürlichen Selbstliebe ist auch ihr
Stolz, ihre Eifersucht und mancher andere Dorn gegeben, ohne den die Rose
nicht denkbar. Daraus geht dann der Streit der Königinnen hervor, nicht
vor dem Portal eines Gotteshauses, nein! wie in der Edda im Bade; -- eine
der herrlichsten Scenen des ganzen Gedichtes. Endlich begreifen wir bei dieser
Chriemhilde die ganze Gluth unendlichen Hasses gegen Sigfrieds Mörder; bei
der mittelalterlichen Chriemhilde, welche unzählige Seelenmessen zu lesen befiehlt
und wohlthätige Stiftungen zur Ehre des todten Gatten anordnet, ist der
unchristliche Haß ein Ungeheures, etwas Widerliches; sie erinnert an eine der
häßlichsten Gestalten des Habsburgischen Hauses, an die Wittwe des ermor¬
deten Kaiser Albrecht, die als Betschwester und als Bluträcherin gleich un¬
ersättlich war. --

Möge das Gesagte genügen, um Jordans Verdienst um die Wiederher¬
stellung des alten Epos zu bemessen.

Noch größer erscheint uns nun Jordan als schaffender Künstler im
wohlberechneten Aufbau seines Gedichtes. Der ordnende Geist ist es, welcher
in ein Kunstwerk jene Einheit bringt, ohne welche dasselbe unmöglich ist.
Jordan, der aus congenialer Kraft und Erfahrung heraus das Kunstgesetz
Homers wie vor ihm noch Keiner zu finden und zu erläutern gewußt hat,
ist selbst vollendeter Meister über das, was man die dichterische Mache, die
Trotze? nennen mag. Es ist ein verbreiteter Irrthum bei Epikern, und
manche Aesthetik schützt diesen Irrthum, als genüge für das Epos das lose
historische Band. Aber so entstehen wohl Chroniken in Versen, doch kein
wahres Epos. Wie ein glückliches Klima am Baume Blatt, Blüthe und
Frucht gleichzeitig bietet, so wird auch das Epos uns sofort Alles geben;
das "ins<Zig,s in res" des alten Horaz bleibt ein ewig wahres, doch vielver¬
gessenes Wort. Die altdeutschen Epiker haben namentlich auch, weil ihnen


wissenschaftlichen Werken, die wir über ihn gelesen haben, nicht so durch und durch
besanne und verständlich wie Jordans König Günther; von Chriemhilden gar
nicht zu reden, der im mittelalterlichen Gedichte Engel und Teufel in seltsamer
Bereinigung das Herz zu bewohnen scheinen. Bei Jordan ist sie klar und
sicher aufgefaßt. Ihre Liebe zu Sigfried, durchaus nicht idealistisch, ist gleich¬
wohl stark und groß wie die elementaren Naturgewalten, nicht obgleich, son¬
dern weil sie stark sinnlich und nichts anderes ist als die prächtig entfaltete
Blüthe eines gesunden Egoismus. Diese Sorte Frauenliebe ist auch gewiß
die beste, weit beglückender für den Mann, ersprießlicher für die Kinder und
segensreicher für das Menschengeschlecht, als jene vielgerühmte, die nur Hin¬
gebung und Aufopferung sein will, und, je anspruchsloser sie sich stellt, desto
unerträglicher quält mit naturwidriger Ansprüchen. Chriemhilde gehört also
nicht zu den sogenannten weiblichen Engeln. Dazu ist sie viel zu gesund, zu
naturwüchsig. Aber mit diesem Zug der natürlichen Selbstliebe ist auch ihr
Stolz, ihre Eifersucht und mancher andere Dorn gegeben, ohne den die Rose
nicht denkbar. Daraus geht dann der Streit der Königinnen hervor, nicht
vor dem Portal eines Gotteshauses, nein! wie in der Edda im Bade; — eine
der herrlichsten Scenen des ganzen Gedichtes. Endlich begreifen wir bei dieser
Chriemhilde die ganze Gluth unendlichen Hasses gegen Sigfrieds Mörder; bei
der mittelalterlichen Chriemhilde, welche unzählige Seelenmessen zu lesen befiehlt
und wohlthätige Stiftungen zur Ehre des todten Gatten anordnet, ist der
unchristliche Haß ein Ungeheures, etwas Widerliches; sie erinnert an eine der
häßlichsten Gestalten des Habsburgischen Hauses, an die Wittwe des ermor¬
deten Kaiser Albrecht, die als Betschwester und als Bluträcherin gleich un¬
ersättlich war. —

Möge das Gesagte genügen, um Jordans Verdienst um die Wiederher¬
stellung des alten Epos zu bemessen.

Noch größer erscheint uns nun Jordan als schaffender Künstler im
wohlberechneten Aufbau seines Gedichtes. Der ordnende Geist ist es, welcher
in ein Kunstwerk jene Einheit bringt, ohne welche dasselbe unmöglich ist.
Jordan, der aus congenialer Kraft und Erfahrung heraus das Kunstgesetz
Homers wie vor ihm noch Keiner zu finden und zu erläutern gewußt hat,
ist selbst vollendeter Meister über das, was man die dichterische Mache, die
Trotze? nennen mag. Es ist ein verbreiteter Irrthum bei Epikern, und
manche Aesthetik schützt diesen Irrthum, als genüge für das Epos das lose
historische Band. Aber so entstehen wohl Chroniken in Versen, doch kein
wahres Epos. Wie ein glückliches Klima am Baume Blatt, Blüthe und
Frucht gleichzeitig bietet, so wird auch das Epos uns sofort Alles geben;
das „ins<Zig,s in res" des alten Horaz bleibt ein ewig wahres, doch vielver¬
gessenes Wort. Die altdeutschen Epiker haben namentlich auch, weil ihnen


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[0182] wissenschaftlichen Werken, die wir über ihn gelesen haben, nicht so durch und durch besanne und verständlich wie Jordans König Günther; von Chriemhilden gar nicht zu reden, der im mittelalterlichen Gedichte Engel und Teufel in seltsamer Bereinigung das Herz zu bewohnen scheinen. Bei Jordan ist sie klar und sicher aufgefaßt. Ihre Liebe zu Sigfried, durchaus nicht idealistisch, ist gleich¬ wohl stark und groß wie die elementaren Naturgewalten, nicht obgleich, son¬ dern weil sie stark sinnlich und nichts anderes ist als die prächtig entfaltete Blüthe eines gesunden Egoismus. Diese Sorte Frauenliebe ist auch gewiß die beste, weit beglückender für den Mann, ersprießlicher für die Kinder und segensreicher für das Menschengeschlecht, als jene vielgerühmte, die nur Hin¬ gebung und Aufopferung sein will, und, je anspruchsloser sie sich stellt, desto unerträglicher quält mit naturwidriger Ansprüchen. Chriemhilde gehört also nicht zu den sogenannten weiblichen Engeln. Dazu ist sie viel zu gesund, zu naturwüchsig. Aber mit diesem Zug der natürlichen Selbstliebe ist auch ihr Stolz, ihre Eifersucht und mancher andere Dorn gegeben, ohne den die Rose nicht denkbar. Daraus geht dann der Streit der Königinnen hervor, nicht vor dem Portal eines Gotteshauses, nein! wie in der Edda im Bade; — eine der herrlichsten Scenen des ganzen Gedichtes. Endlich begreifen wir bei dieser Chriemhilde die ganze Gluth unendlichen Hasses gegen Sigfrieds Mörder; bei der mittelalterlichen Chriemhilde, welche unzählige Seelenmessen zu lesen befiehlt und wohlthätige Stiftungen zur Ehre des todten Gatten anordnet, ist der unchristliche Haß ein Ungeheures, etwas Widerliches; sie erinnert an eine der häßlichsten Gestalten des Habsburgischen Hauses, an die Wittwe des ermor¬ deten Kaiser Albrecht, die als Betschwester und als Bluträcherin gleich un¬ ersättlich war. — Möge das Gesagte genügen, um Jordans Verdienst um die Wiederher¬ stellung des alten Epos zu bemessen. Noch größer erscheint uns nun Jordan als schaffender Künstler im wohlberechneten Aufbau seines Gedichtes. Der ordnende Geist ist es, welcher in ein Kunstwerk jene Einheit bringt, ohne welche dasselbe unmöglich ist. Jordan, der aus congenialer Kraft und Erfahrung heraus das Kunstgesetz Homers wie vor ihm noch Keiner zu finden und zu erläutern gewußt hat, ist selbst vollendeter Meister über das, was man die dichterische Mache, die Trotze? nennen mag. Es ist ein verbreiteter Irrthum bei Epikern, und manche Aesthetik schützt diesen Irrthum, als genüge für das Epos das lose historische Band. Aber so entstehen wohl Chroniken in Versen, doch kein wahres Epos. Wie ein glückliches Klima am Baume Blatt, Blüthe und Frucht gleichzeitig bietet, so wird auch das Epos uns sofort Alles geben; das „ins<Zig,s in res" des alten Horaz bleibt ein ewig wahres, doch vielver¬ gessenes Wort. Die altdeutschen Epiker haben namentlich auch, weil ihnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/182>, abgerufen am 24.07.2024.