Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nisteriums machte, dem der König nach seinem Rücktritt die Zügel der Re¬
gierung anvertraute. Das Haupt dieses Ministeriums konnte aber der Lage
der Dinge nach nur Guizot sein, mochte auch, um die Schroffheit des Ueber¬
ganges zu der streng friedlichen und konservativen Politik einigermaßen zu
verhüllen. Soult vorläufig die Stelle des Ministerpräsidenten übernehmen.

Die 1836 beginnende Periode der Ministerkrisen kam mit der Berufung
des Ministeriums Soult-Guizot zum Abschluß. Die alte konservative Ma¬
jorität war von ihren anarchischen Anwandlungen geheilt und fand sich unter
der strengen und anspruchsvollen Leitung ihres alten Ministers von selbst
wieder zusammen. Der parlamentarische Horizont strahlte in rosigstem Lichte,
und selbst aufmerksame und keineswegs sanguinische Beobachter in Frankreich
und im Auslande neigten sich zu der Ansicht hin, daß die Julimonarchie ihre
kritische Periode glücklich überwunden und feste Wurzeln im Lande geschlagen
habe. Dies war ein großer Irrthum, der sich nur daraus erklärt, daß die
Beobachter ihr Urtheil ausschließlich aus den Eindrücken ableiteten, die sie
von dem officiellen Frankreich empfingen. Denn zwar das Parlament be¬
herrschte Guizot unbedingt, aber die Stimme des Parlaments war nicht mehr
die Stimme des Landes. Das Land fing an, der Parlamentsherrschaft über-
drüßig zu werden, und sich in seinen Wünschen in's Schrankenlose zu ver¬
lieren. Zwar die Zeit der Emeuten war vorüber, die Oberfläche des Landes
war ruhig und eben. "Aber das war die Ruhe vor dem Sturme; die der
Dynastie feindlichen Elemente sammelten sich zu einem vernichtenden Schlage.

Hier müssen wir nun einen Blick auf die in der Kammer numerisch nur
schwach vertretenen, aber um so thätigem äußersten Parteien werfen.

Die äußerste Rechte der Kammer nahmen die Legitimisten ein, die, zumal
nach der Demüthigung, die die ganze Partei durch die heimliche Vermäh¬
lung der Herzogin von Berry erfahren hatte, vereinzelt wenig gefährlich, doch
als natürliche Verbündete der Republikaner einen bedeutenden Einfluß aus¬
übten, indem sie ihre großen Geldmittel allen Gegnern der herrschenden Dy¬
nastie ohne Unterschied zur Verfügung stellten. Grundsätzliche Bedenken stell¬
ten sich ihrem Zusammenwirken mit den Republikanern um so weniger ent¬
gegen, da die Taktik der beiden Parteien viel weniger darauf ausging, theo¬
retisch ihre Principien zu entwickeln, als vielmehr darauf, den König durch
persönliche Angriffe in den Augen der Nation herabzusetzen. Und in diesen
Angriffen konnten Legitimisten und Radicale mit einander wetteifern, ohne
ihren politischen Principien das Mindeste zu vergeben. Das Element, in
dem die legitimistische wie die republikanische Presse sich am wohlsten fühlte
und am behaglichsten bewegte, war der Scandal: Lüge und Verleumdung
galten schon seit langer Zeit für erlaubte Waffen im politischen Parteikämpfe,
man führte einen Vernichtungskrieg, in dem von der viel gerühmten franzö-


Gvcnzbole" II. 1871. 22

nisteriums machte, dem der König nach seinem Rücktritt die Zügel der Re¬
gierung anvertraute. Das Haupt dieses Ministeriums konnte aber der Lage
der Dinge nach nur Guizot sein, mochte auch, um die Schroffheit des Ueber¬
ganges zu der streng friedlichen und konservativen Politik einigermaßen zu
verhüllen. Soult vorläufig die Stelle des Ministerpräsidenten übernehmen.

Die 1836 beginnende Periode der Ministerkrisen kam mit der Berufung
des Ministeriums Soult-Guizot zum Abschluß. Die alte konservative Ma¬
jorität war von ihren anarchischen Anwandlungen geheilt und fand sich unter
der strengen und anspruchsvollen Leitung ihres alten Ministers von selbst
wieder zusammen. Der parlamentarische Horizont strahlte in rosigstem Lichte,
und selbst aufmerksame und keineswegs sanguinische Beobachter in Frankreich
und im Auslande neigten sich zu der Ansicht hin, daß die Julimonarchie ihre
kritische Periode glücklich überwunden und feste Wurzeln im Lande geschlagen
habe. Dies war ein großer Irrthum, der sich nur daraus erklärt, daß die
Beobachter ihr Urtheil ausschließlich aus den Eindrücken ableiteten, die sie
von dem officiellen Frankreich empfingen. Denn zwar das Parlament be¬
herrschte Guizot unbedingt, aber die Stimme des Parlaments war nicht mehr
die Stimme des Landes. Das Land fing an, der Parlamentsherrschaft über-
drüßig zu werden, und sich in seinen Wünschen in's Schrankenlose zu ver¬
lieren. Zwar die Zeit der Emeuten war vorüber, die Oberfläche des Landes
war ruhig und eben. "Aber das war die Ruhe vor dem Sturme; die der
Dynastie feindlichen Elemente sammelten sich zu einem vernichtenden Schlage.

Hier müssen wir nun einen Blick auf die in der Kammer numerisch nur
schwach vertretenen, aber um so thätigem äußersten Parteien werfen.

Die äußerste Rechte der Kammer nahmen die Legitimisten ein, die, zumal
nach der Demüthigung, die die ganze Partei durch die heimliche Vermäh¬
lung der Herzogin von Berry erfahren hatte, vereinzelt wenig gefährlich, doch
als natürliche Verbündete der Republikaner einen bedeutenden Einfluß aus¬
übten, indem sie ihre großen Geldmittel allen Gegnern der herrschenden Dy¬
nastie ohne Unterschied zur Verfügung stellten. Grundsätzliche Bedenken stell¬
ten sich ihrem Zusammenwirken mit den Republikanern um so weniger ent¬
gegen, da die Taktik der beiden Parteien viel weniger darauf ausging, theo¬
retisch ihre Principien zu entwickeln, als vielmehr darauf, den König durch
persönliche Angriffe in den Augen der Nation herabzusetzen. Und in diesen
Angriffen konnten Legitimisten und Radicale mit einander wetteifern, ohne
ihren politischen Principien das Mindeste zu vergeben. Das Element, in
dem die legitimistische wie die republikanische Presse sich am wohlsten fühlte
und am behaglichsten bewegte, war der Scandal: Lüge und Verleumdung
galten schon seit langer Zeit für erlaubte Waffen im politischen Parteikämpfe,
man führte einen Vernichtungskrieg, in dem von der viel gerühmten franzö-


Gvcnzbole» II. 1871. 22
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0177" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126453"/>
            <p xml:id="ID_508" prev="#ID_507"> nisteriums machte, dem der König nach seinem Rücktritt die Zügel der Re¬<lb/>
gierung anvertraute. Das Haupt dieses Ministeriums konnte aber der Lage<lb/>
der Dinge nach nur Guizot sein, mochte auch, um die Schroffheit des Ueber¬<lb/>
ganges zu der streng friedlichen und konservativen Politik einigermaßen zu<lb/>
verhüllen. Soult vorläufig die Stelle des Ministerpräsidenten übernehmen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_509"> Die 1836 beginnende Periode der Ministerkrisen kam mit der Berufung<lb/>
des Ministeriums Soult-Guizot zum Abschluß. Die alte konservative Ma¬<lb/>
jorität war von ihren anarchischen Anwandlungen geheilt und fand sich unter<lb/>
der strengen und anspruchsvollen Leitung ihres alten Ministers von selbst<lb/>
wieder zusammen. Der parlamentarische Horizont strahlte in rosigstem Lichte,<lb/>
und selbst aufmerksame und keineswegs sanguinische Beobachter in Frankreich<lb/>
und im Auslande neigten sich zu der Ansicht hin, daß die Julimonarchie ihre<lb/>
kritische Periode glücklich überwunden und feste Wurzeln im Lande geschlagen<lb/>
habe. Dies war ein großer Irrthum, der sich nur daraus erklärt, daß die<lb/>
Beobachter ihr Urtheil ausschließlich aus den Eindrücken ableiteten, die sie<lb/>
von dem officiellen Frankreich empfingen. Denn zwar das Parlament be¬<lb/>
herrschte Guizot unbedingt, aber die Stimme des Parlaments war nicht mehr<lb/>
die Stimme des Landes. Das Land fing an, der Parlamentsherrschaft über-<lb/>
drüßig zu werden, und sich in seinen Wünschen in's Schrankenlose zu ver¬<lb/>
lieren. Zwar die Zeit der Emeuten war vorüber, die Oberfläche des Landes<lb/>
war ruhig und eben. "Aber das war die Ruhe vor dem Sturme; die der<lb/>
Dynastie feindlichen Elemente sammelten sich zu einem vernichtenden Schlage.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_510"> Hier müssen wir nun einen Blick auf die in der Kammer numerisch nur<lb/>
schwach vertretenen, aber um so thätigem äußersten Parteien werfen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_511" next="#ID_512"> Die äußerste Rechte der Kammer nahmen die Legitimisten ein, die, zumal<lb/>
nach der Demüthigung, die die ganze Partei durch die heimliche Vermäh¬<lb/>
lung der Herzogin von Berry erfahren hatte, vereinzelt wenig gefährlich, doch<lb/>
als natürliche Verbündete der Republikaner einen bedeutenden Einfluß aus¬<lb/>
übten, indem sie ihre großen Geldmittel allen Gegnern der herrschenden Dy¬<lb/>
nastie ohne Unterschied zur Verfügung stellten. Grundsätzliche Bedenken stell¬<lb/>
ten sich ihrem Zusammenwirken mit den Republikanern um so weniger ent¬<lb/>
gegen, da die Taktik der beiden Parteien viel weniger darauf ausging, theo¬<lb/>
retisch ihre Principien zu entwickeln, als vielmehr darauf, den König durch<lb/>
persönliche Angriffe in den Augen der Nation herabzusetzen. Und in diesen<lb/>
Angriffen konnten Legitimisten und Radicale mit einander wetteifern, ohne<lb/>
ihren politischen Principien das Mindeste zu vergeben. Das Element, in<lb/>
dem die legitimistische wie die republikanische Presse sich am wohlsten fühlte<lb/>
und am behaglichsten bewegte, war der Scandal: Lüge und Verleumdung<lb/>
galten schon seit langer Zeit für erlaubte Waffen im politischen Parteikämpfe,<lb/>
man führte einen Vernichtungskrieg, in dem von der viel gerühmten franzö-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Gvcnzbole» II. 1871. 22</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0177] nisteriums machte, dem der König nach seinem Rücktritt die Zügel der Re¬ gierung anvertraute. Das Haupt dieses Ministeriums konnte aber der Lage der Dinge nach nur Guizot sein, mochte auch, um die Schroffheit des Ueber¬ ganges zu der streng friedlichen und konservativen Politik einigermaßen zu verhüllen. Soult vorläufig die Stelle des Ministerpräsidenten übernehmen. Die 1836 beginnende Periode der Ministerkrisen kam mit der Berufung des Ministeriums Soult-Guizot zum Abschluß. Die alte konservative Ma¬ jorität war von ihren anarchischen Anwandlungen geheilt und fand sich unter der strengen und anspruchsvollen Leitung ihres alten Ministers von selbst wieder zusammen. Der parlamentarische Horizont strahlte in rosigstem Lichte, und selbst aufmerksame und keineswegs sanguinische Beobachter in Frankreich und im Auslande neigten sich zu der Ansicht hin, daß die Julimonarchie ihre kritische Periode glücklich überwunden und feste Wurzeln im Lande geschlagen habe. Dies war ein großer Irrthum, der sich nur daraus erklärt, daß die Beobachter ihr Urtheil ausschließlich aus den Eindrücken ableiteten, die sie von dem officiellen Frankreich empfingen. Denn zwar das Parlament be¬ herrschte Guizot unbedingt, aber die Stimme des Parlaments war nicht mehr die Stimme des Landes. Das Land fing an, der Parlamentsherrschaft über- drüßig zu werden, und sich in seinen Wünschen in's Schrankenlose zu ver¬ lieren. Zwar die Zeit der Emeuten war vorüber, die Oberfläche des Landes war ruhig und eben. "Aber das war die Ruhe vor dem Sturme; die der Dynastie feindlichen Elemente sammelten sich zu einem vernichtenden Schlage. Hier müssen wir nun einen Blick auf die in der Kammer numerisch nur schwach vertretenen, aber um so thätigem äußersten Parteien werfen. Die äußerste Rechte der Kammer nahmen die Legitimisten ein, die, zumal nach der Demüthigung, die die ganze Partei durch die heimliche Vermäh¬ lung der Herzogin von Berry erfahren hatte, vereinzelt wenig gefährlich, doch als natürliche Verbündete der Republikaner einen bedeutenden Einfluß aus¬ übten, indem sie ihre großen Geldmittel allen Gegnern der herrschenden Dy¬ nastie ohne Unterschied zur Verfügung stellten. Grundsätzliche Bedenken stell¬ ten sich ihrem Zusammenwirken mit den Republikanern um so weniger ent¬ gegen, da die Taktik der beiden Parteien viel weniger darauf ausging, theo¬ retisch ihre Principien zu entwickeln, als vielmehr darauf, den König durch persönliche Angriffe in den Augen der Nation herabzusetzen. Und in diesen Angriffen konnten Legitimisten und Radicale mit einander wetteifern, ohne ihren politischen Principien das Mindeste zu vergeben. Das Element, in dem die legitimistische wie die republikanische Presse sich am wohlsten fühlte und am behaglichsten bewegte, war der Scandal: Lüge und Verleumdung galten schon seit langer Zeit für erlaubte Waffen im politischen Parteikämpfe, man führte einen Vernichtungskrieg, in dem von der viel gerühmten franzö- Gvcnzbole» II. 1871. 22

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/177
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/177>, abgerufen am 24.07.2024.