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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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König freute sich der Verlegenheit der Coalition, und war durchaus nicht
Willens, ihr in ihren Nöthen durch eine energische Initiative zu Hülfe zu
kommen; er rächte sich für die Angriffe auf seinen persönlichen Einfluß durch
ein ultra constitutionelles laissei- ultor, das die Parteihäupter in Verzweiflung
brachte. Endlich wurde das Eis durch einen republikanischen Aufstand, der
wie ein veus ex waelün.i, in die Verwirrung eingriff, gebrochen. Die Furcht
wirkte, was die gesunde Vernunft nicht vermocht hatte: unter Soult's Prä¬
sidium wurde ein Ministerium der beiden Centren und des tiers xarti aus
Politikern zweiten und dritten Ranges ernannt (12. Mai 1839), womit na¬
türlich die Krisis nicht entschieden, sondern die Entscheidung derselben nur
vertagt wurde; eine wirkliche Entscheidung konnte nur in der Bildung eines
Ministeriums Thiers oder Guizot gesehen werden: in dem Maße hatte sich
damals bereits die Rivalität der beiden bedeutenden Staatsmänner bestimmend
in den Vordergrund der Politik gedrängt.

Wie voraus zu sehen war, gelang dem Ministerium Soult nicht, in
der Kammer festen Boden zu gewinnen. In der das Ansehen des Königs
außerordentlich compromittirenden Dotationsangelegenheit des Herzogs von
Nemours im Stich gelassen, trat es zurück, um einem Ministerium Thiers
Platz zu machen (1. März bis October 1840). Auf die verhängnißvolle orien¬
talische Verwickelung, die mit Frankreichs völliger Niederlage endete, können
wir hier nicht ausführlich eingehen. Es genügt, zu bemerken, daß Thiers
während der Verhandlungen, die zu dem Vertrage der vier andern Gro߬
mächte und der Türkei vom Is. Juli führten. sich fortdauernd in Illusionen
gewiegt hatte, und daß sein Mangel an Voraussicht, seine Unkenntniß der
Verhältnisse, sein leichtfertiges Rechnen mit den unsichersten Factoren, Frank¬
reich in eine Lage brachten, aus der es sich nur durch einen unsinnigen Krieg,
oder einen das auf's Aeußerste gereizten Nationalgefühl tief verletzenden Rück¬
zug befreien konnte. Thiers suchte von seiner Niederlage die Augen Frankreichs
durch einen gewaltigen Kriegslärm, den er erhob, abzulenken, obwohl er sehr gut
wußte, daß der König nimmermehr in den Krieg gegen Europa willigen
würde. Durch seine Haltung in dieser Krisis schlug er dem Ansehen des
Königs eine schwere, unheilbare Wunde. Statt die Verantwortung für die
von ihm geschaffene Situation auf sich zu nehmen, und selbst den unvermeidlichen
diplomatischen Rückzug zu vollziehen und dadurch die Person Ludwig Philipp's zu
decken, trat er zurück, weil der König seine Einwilligung zu weiteren kriege¬
rischen Demonstrationen nicht geben wollte, zu einer Zeit, wo er selbst be¬
reits von der Unmöglichkeit, den Knoten mit dem Schwerte zu durchhauen,
überzeugt sein mußte. Er discreditirte die persönliche Politik des Königs
und gewann dadurch sür sich, indem er sich von dieser persönlichen Po¬
litik trennte, eine Popularität, die ihn zum furchtbaren Gegner des Mi-


König freute sich der Verlegenheit der Coalition, und war durchaus nicht
Willens, ihr in ihren Nöthen durch eine energische Initiative zu Hülfe zu
kommen; er rächte sich für die Angriffe auf seinen persönlichen Einfluß durch
ein ultra constitutionelles laissei- ultor, das die Parteihäupter in Verzweiflung
brachte. Endlich wurde das Eis durch einen republikanischen Aufstand, der
wie ein veus ex waelün.i, in die Verwirrung eingriff, gebrochen. Die Furcht
wirkte, was die gesunde Vernunft nicht vermocht hatte: unter Soult's Prä¬
sidium wurde ein Ministerium der beiden Centren und des tiers xarti aus
Politikern zweiten und dritten Ranges ernannt (12. Mai 1839), womit na¬
türlich die Krisis nicht entschieden, sondern die Entscheidung derselben nur
vertagt wurde; eine wirkliche Entscheidung konnte nur in der Bildung eines
Ministeriums Thiers oder Guizot gesehen werden: in dem Maße hatte sich
damals bereits die Rivalität der beiden bedeutenden Staatsmänner bestimmend
in den Vordergrund der Politik gedrängt.

Wie voraus zu sehen war, gelang dem Ministerium Soult nicht, in
der Kammer festen Boden zu gewinnen. In der das Ansehen des Königs
außerordentlich compromittirenden Dotationsangelegenheit des Herzogs von
Nemours im Stich gelassen, trat es zurück, um einem Ministerium Thiers
Platz zu machen (1. März bis October 1840). Auf die verhängnißvolle orien¬
talische Verwickelung, die mit Frankreichs völliger Niederlage endete, können
wir hier nicht ausführlich eingehen. Es genügt, zu bemerken, daß Thiers
während der Verhandlungen, die zu dem Vertrage der vier andern Gro߬
mächte und der Türkei vom Is. Juli führten. sich fortdauernd in Illusionen
gewiegt hatte, und daß sein Mangel an Voraussicht, seine Unkenntniß der
Verhältnisse, sein leichtfertiges Rechnen mit den unsichersten Factoren, Frank¬
reich in eine Lage brachten, aus der es sich nur durch einen unsinnigen Krieg,
oder einen das auf's Aeußerste gereizten Nationalgefühl tief verletzenden Rück¬
zug befreien konnte. Thiers suchte von seiner Niederlage die Augen Frankreichs
durch einen gewaltigen Kriegslärm, den er erhob, abzulenken, obwohl er sehr gut
wußte, daß der König nimmermehr in den Krieg gegen Europa willigen
würde. Durch seine Haltung in dieser Krisis schlug er dem Ansehen des
Königs eine schwere, unheilbare Wunde. Statt die Verantwortung für die
von ihm geschaffene Situation auf sich zu nehmen, und selbst den unvermeidlichen
diplomatischen Rückzug zu vollziehen und dadurch die Person Ludwig Philipp's zu
decken, trat er zurück, weil der König seine Einwilligung zu weiteren kriege¬
rischen Demonstrationen nicht geben wollte, zu einer Zeit, wo er selbst be¬
reits von der Unmöglichkeit, den Knoten mit dem Schwerte zu durchhauen,
überzeugt sein mußte. Er discreditirte die persönliche Politik des Königs
und gewann dadurch sür sich, indem er sich von dieser persönlichen Po¬
litik trennte, eine Popularität, die ihn zum furchtbaren Gegner des Mi-


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[0176] König freute sich der Verlegenheit der Coalition, und war durchaus nicht Willens, ihr in ihren Nöthen durch eine energische Initiative zu Hülfe zu kommen; er rächte sich für die Angriffe auf seinen persönlichen Einfluß durch ein ultra constitutionelles laissei- ultor, das die Parteihäupter in Verzweiflung brachte. Endlich wurde das Eis durch einen republikanischen Aufstand, der wie ein veus ex waelün.i, in die Verwirrung eingriff, gebrochen. Die Furcht wirkte, was die gesunde Vernunft nicht vermocht hatte: unter Soult's Prä¬ sidium wurde ein Ministerium der beiden Centren und des tiers xarti aus Politikern zweiten und dritten Ranges ernannt (12. Mai 1839), womit na¬ türlich die Krisis nicht entschieden, sondern die Entscheidung derselben nur vertagt wurde; eine wirkliche Entscheidung konnte nur in der Bildung eines Ministeriums Thiers oder Guizot gesehen werden: in dem Maße hatte sich damals bereits die Rivalität der beiden bedeutenden Staatsmänner bestimmend in den Vordergrund der Politik gedrängt. Wie voraus zu sehen war, gelang dem Ministerium Soult nicht, in der Kammer festen Boden zu gewinnen. In der das Ansehen des Königs außerordentlich compromittirenden Dotationsangelegenheit des Herzogs von Nemours im Stich gelassen, trat es zurück, um einem Ministerium Thiers Platz zu machen (1. März bis October 1840). Auf die verhängnißvolle orien¬ talische Verwickelung, die mit Frankreichs völliger Niederlage endete, können wir hier nicht ausführlich eingehen. Es genügt, zu bemerken, daß Thiers während der Verhandlungen, die zu dem Vertrage der vier andern Gro߬ mächte und der Türkei vom Is. Juli führten. sich fortdauernd in Illusionen gewiegt hatte, und daß sein Mangel an Voraussicht, seine Unkenntniß der Verhältnisse, sein leichtfertiges Rechnen mit den unsichersten Factoren, Frank¬ reich in eine Lage brachten, aus der es sich nur durch einen unsinnigen Krieg, oder einen das auf's Aeußerste gereizten Nationalgefühl tief verletzenden Rück¬ zug befreien konnte. Thiers suchte von seiner Niederlage die Augen Frankreichs durch einen gewaltigen Kriegslärm, den er erhob, abzulenken, obwohl er sehr gut wußte, daß der König nimmermehr in den Krieg gegen Europa willigen würde. Durch seine Haltung in dieser Krisis schlug er dem Ansehen des Königs eine schwere, unheilbare Wunde. Statt die Verantwortung für die von ihm geschaffene Situation auf sich zu nehmen, und selbst den unvermeidlichen diplomatischen Rückzug zu vollziehen und dadurch die Person Ludwig Philipp's zu decken, trat er zurück, weil der König seine Einwilligung zu weiteren kriege¬ rischen Demonstrationen nicht geben wollte, zu einer Zeit, wo er selbst be¬ reits von der Unmöglichkeit, den Knoten mit dem Schwerte zu durchhauen, überzeugt sein mußte. Er discreditirte die persönliche Politik des Königs und gewann dadurch sür sich, indem er sich von dieser persönlichen Po¬ litik trennte, eine Popularität, die ihn zum furchtbaren Gegner des Mi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/176>, abgerufen am 24.07.2024.