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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Majorität und Minorität des Comite anfänglich ganze, resp, halbe Ableh¬
nung der Regierungsvorlage forderten. --

Im Uebrigen ist der Charakter der ersten und derjenige der zweiten
Session ein sehr verschiedener. In der ersten Debatte hob mit Recht der
Oberhauptmann von Oertzen-Lübbersdorf hervor, daß das deutsche Reich uns
gegen die belgischen Uebergriffe schützen müsst, und daß die feindselige Haltung
Belgiens gegen Deutschland während des Krieges nur ein Grund mehr für
die deutsche Reichsregierung und für Mecklenburg sei, auf Abminderung der
Belgischen Forderung zu bestehen. Sehr treffend bemerkte auch der Bürger¬
meister Hermes, daß auch andere Staaten den Scheldezoll. in längeren Jahren
abgelöst hätten, und daß Belgien nach Ablehnung des Vertrages das Ton¬
nengeld schwerlich erhöhen werde. Eventuell würden dagegen Kaiser und
Reich Sckutz gewähren. Auch wies er die Inconsequenz des Comites
nach, welches die Scheldezollablösung zwar nicht für eine Landessache er¬
kläre und dennoch aus Billigkeitsgründen die Hälfte der Ablösungssumme
aus Landesmitteln zu zahlen vorschlage. Denn entweder liege eine allge¬
meine Landessache vor, und alsdann hätte man die ganze Summe aus Lan¬
desmitteln bewilligen müssen, oder es liege keine Landesangelegenheit vor,
und dann dürfe das Land auch gar nicht zahlen. Einen vermittelnden
Standpunkt machte darauf der Referent geltend, indem er hervorhob, es liege
zwar eine Landessache vor, aber die Seestädte müßten in Folge ihres besonde¬
ren Interesses an derselben ein Präcipuum zahlen. Trotz der darin liegenden
Unbilligkeit, die ohnehin schon seit 8 Jahren schwer belasteten Seestädte durch
Ueberweisung eines bedeutenden Präcipuums noch mehr zu benachtheiligen,
erfolgte doch nach Ablehnung der Regierungsvorlage die Beschlußfassung in
diesem Sinne.

Noch unerquicklicher aber ist das Bild, welches die vier Tage später ge¬
haltene Landtagssession bietet, in der abermals die Scheldezollfrage aufs
Tapet kam.

In der Mittaassitzung am 19. December v. I. überreichten die Vice-
landmarschälle mecklenburgischen und wendischen Kreises ein Schwerin'sches
Rescript und ließen die Landtags-Commissarien mündlich dringend ersuchen,
die Bewilligung doch zu machen, und die Landesregierung nicht in die Lage
zu versetzen, den Vertrag nicht ratificiren zu können. Das Rescript selbst
forderte erneuerte Berathung. Die Seestädte würden sich weigern, die ihnen
angesonnenen Präcipua zu übernehmen. Auch in anderen Staaten seien die
Ablösungen aus allgemeinen Staatsmitteln gezahlt, wie denn auch im Lande
zu anderen, zunächst die Interessen anderer Gegenden und Städte angehenden
Unternehmungen die Kosten aus allgemeinen Landesmitteln gezahlt seien.

Die Debatte eröffnete alsdann der Rostocker Bürgermeister Dr. Crum-


Grcnzboten II. 1871. 20

Majorität und Minorität des Comite anfänglich ganze, resp, halbe Ableh¬
nung der Regierungsvorlage forderten. —

Im Uebrigen ist der Charakter der ersten und derjenige der zweiten
Session ein sehr verschiedener. In der ersten Debatte hob mit Recht der
Oberhauptmann von Oertzen-Lübbersdorf hervor, daß das deutsche Reich uns
gegen die belgischen Uebergriffe schützen müsst, und daß die feindselige Haltung
Belgiens gegen Deutschland während des Krieges nur ein Grund mehr für
die deutsche Reichsregierung und für Mecklenburg sei, auf Abminderung der
Belgischen Forderung zu bestehen. Sehr treffend bemerkte auch der Bürger¬
meister Hermes, daß auch andere Staaten den Scheldezoll. in längeren Jahren
abgelöst hätten, und daß Belgien nach Ablehnung des Vertrages das Ton¬
nengeld schwerlich erhöhen werde. Eventuell würden dagegen Kaiser und
Reich Sckutz gewähren. Auch wies er die Inconsequenz des Comites
nach, welches die Scheldezollablösung zwar nicht für eine Landessache er¬
kläre und dennoch aus Billigkeitsgründen die Hälfte der Ablösungssumme
aus Landesmitteln zu zahlen vorschlage. Denn entweder liege eine allge¬
meine Landessache vor, und alsdann hätte man die ganze Summe aus Lan¬
desmitteln bewilligen müssen, oder es liege keine Landesangelegenheit vor,
und dann dürfe das Land auch gar nicht zahlen. Einen vermittelnden
Standpunkt machte darauf der Referent geltend, indem er hervorhob, es liege
zwar eine Landessache vor, aber die Seestädte müßten in Folge ihres besonde¬
ren Interesses an derselben ein Präcipuum zahlen. Trotz der darin liegenden
Unbilligkeit, die ohnehin schon seit 8 Jahren schwer belasteten Seestädte durch
Ueberweisung eines bedeutenden Präcipuums noch mehr zu benachtheiligen,
erfolgte doch nach Ablehnung der Regierungsvorlage die Beschlußfassung in
diesem Sinne.

Noch unerquicklicher aber ist das Bild, welches die vier Tage später ge¬
haltene Landtagssession bietet, in der abermals die Scheldezollfrage aufs
Tapet kam.

In der Mittaassitzung am 19. December v. I. überreichten die Vice-
landmarschälle mecklenburgischen und wendischen Kreises ein Schwerin'sches
Rescript und ließen die Landtags-Commissarien mündlich dringend ersuchen,
die Bewilligung doch zu machen, und die Landesregierung nicht in die Lage
zu versetzen, den Vertrag nicht ratificiren zu können. Das Rescript selbst
forderte erneuerte Berathung. Die Seestädte würden sich weigern, die ihnen
angesonnenen Präcipua zu übernehmen. Auch in anderen Staaten seien die
Ablösungen aus allgemeinen Staatsmitteln gezahlt, wie denn auch im Lande
zu anderen, zunächst die Interessen anderer Gegenden und Städte angehenden
Unternehmungen die Kosten aus allgemeinen Landesmitteln gezahlt seien.

Die Debatte eröffnete alsdann der Rostocker Bürgermeister Dr. Crum-


Grcnzboten II. 1871. 20
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[0161] Majorität und Minorität des Comite anfänglich ganze, resp, halbe Ableh¬ nung der Regierungsvorlage forderten. — Im Uebrigen ist der Charakter der ersten und derjenige der zweiten Session ein sehr verschiedener. In der ersten Debatte hob mit Recht der Oberhauptmann von Oertzen-Lübbersdorf hervor, daß das deutsche Reich uns gegen die belgischen Uebergriffe schützen müsst, und daß die feindselige Haltung Belgiens gegen Deutschland während des Krieges nur ein Grund mehr für die deutsche Reichsregierung und für Mecklenburg sei, auf Abminderung der Belgischen Forderung zu bestehen. Sehr treffend bemerkte auch der Bürger¬ meister Hermes, daß auch andere Staaten den Scheldezoll. in längeren Jahren abgelöst hätten, und daß Belgien nach Ablehnung des Vertrages das Ton¬ nengeld schwerlich erhöhen werde. Eventuell würden dagegen Kaiser und Reich Sckutz gewähren. Auch wies er die Inconsequenz des Comites nach, welches die Scheldezollablösung zwar nicht für eine Landessache er¬ kläre und dennoch aus Billigkeitsgründen die Hälfte der Ablösungssumme aus Landesmitteln zu zahlen vorschlage. Denn entweder liege eine allge¬ meine Landessache vor, und alsdann hätte man die ganze Summe aus Lan¬ desmitteln bewilligen müssen, oder es liege keine Landesangelegenheit vor, und dann dürfe das Land auch gar nicht zahlen. Einen vermittelnden Standpunkt machte darauf der Referent geltend, indem er hervorhob, es liege zwar eine Landessache vor, aber die Seestädte müßten in Folge ihres besonde¬ ren Interesses an derselben ein Präcipuum zahlen. Trotz der darin liegenden Unbilligkeit, die ohnehin schon seit 8 Jahren schwer belasteten Seestädte durch Ueberweisung eines bedeutenden Präcipuums noch mehr zu benachtheiligen, erfolgte doch nach Ablehnung der Regierungsvorlage die Beschlußfassung in diesem Sinne. Noch unerquicklicher aber ist das Bild, welches die vier Tage später ge¬ haltene Landtagssession bietet, in der abermals die Scheldezollfrage aufs Tapet kam. In der Mittaassitzung am 19. December v. I. überreichten die Vice- landmarschälle mecklenburgischen und wendischen Kreises ein Schwerin'sches Rescript und ließen die Landtags-Commissarien mündlich dringend ersuchen, die Bewilligung doch zu machen, und die Landesregierung nicht in die Lage zu versetzen, den Vertrag nicht ratificiren zu können. Das Rescript selbst forderte erneuerte Berathung. Die Seestädte würden sich weigern, die ihnen angesonnenen Präcipua zu übernehmen. Auch in anderen Staaten seien die Ablösungen aus allgemeinen Staatsmitteln gezahlt, wie denn auch im Lande zu anderen, zunächst die Interessen anderer Gegenden und Städte angehenden Unternehmungen die Kosten aus allgemeinen Landesmitteln gezahlt seien. Die Debatte eröffnete alsdann der Rostocker Bürgermeister Dr. Crum- Grcnzboten II. 1871. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/161>, abgerufen am 24.07.2024.