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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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bieget. Er wollte sich zur Sache nur einige Worte erlauben, aber auch diese
wurden von der Versammlung nur mit großer Unruhe angehört. Der Red¬
ner meinte zunächst, ohne diese Ansicht näher zu begründen, durch den er¬
freulichen vorjährigen Landtagsbeschluß sei die Sache so weit gefördert, daß
es sich eigentlich nur noch um den Repartitionsmodus handle. Unter Ge¬
lächter der Anwesenden bat er darauf, die Landtagsversammlung möge sich
auf denselben Standpunkt stellen, welchen die "Staaten beider Hemisphären"
(sie!) eingenommen hätten, von denen ausnahmslos das Ganze aus Staats¬
mitteln bewilligt worden sei. Ihm secundirte sofort der Landrath von Rieben-
Palenbeck mit der Aufforderung, die Regierung durch Ablehnung des Ver¬
trags nicht in Verlegenheit zu bringen und die geforderten Summen zu be¬
willigen. In Rücksicht auf die animirte Stimmung.der Versammlung empfahl
Bürgermeister schlaaf-Waren dagegen die Aussetzung der Beschlußfassung.
Wiederum nimmt aber Herr von Rieden das Wort, und meint, sowie die
Sache läge, dürfe man nicht aus Mißwollen gegen die Seestädte, welche
allerdings bei dem Steuer-Abkommen Vorzüge erlangt hätten, die Vorlage
ablehnen. Es handle sich um den Landesherrn und die Regierung. Darauf
erwiderte indessen der Bürgermeister Dr. Beselin nicht ganz grundlos, "Rostock
habe immer den Sack zugehalten, wenn es sich um Andre handle, jetzt solle
man auch den Sack zuhalten," während sein College Dr. Hall sich für sofor¬
tige Berathung und Bewilligung aussprach. Andrerseits wünschte der Land¬
rath Graf von Bernstorff Aussetzung der Abstimmung, weil er Verwerfung
der Vorlage fürchtete. Als dagegen sich aber viele Stimmen erheben, und
sofortige Berathung verlangen, geht der Landrath von Rieden sogar so weit,
die Bewilligung ohne Abstimmung zu beanspruchen. Anscheinend sei die Ma¬
jorität doch für die Regierungsvorlage, und da würde sich das gerade bei
dieser Sache sehr schön machen. Es liege im Wegfall der Votirung ein
großes Vertrauensvotum für den Landesherrn, das ihm in der gegen¬
wärtigen Zeit gewiß doppelt werth sein werde. Es erhebt sich gegen diese
Aeußerungen aber mehrseitiger Widerspruch, und da man sich nicht einigen
kann, schreitet man zur Abstimmung, und entscheidet mit 28 gegen 17 Stim¬
men für volle Bewilligung der von der Negierung mit Belgien vereinbarten
Ablösungssumme.

Damit war also eine fast 8 Jahre lang schwebende Controverse beendet.
Der letzte Act derselben gewährt in der That ein drastisches Argument gegen
die Lebensfähigkeit der Mecklenburgischen Verfassung. Mit einer Majorität
von 11 Stimmen, und bei einer so geringen Anzahl von Votanten (45) wird
durch 28 Stimmen, die sich meistens durch Loyalitätsrücksichten gegen den
Landesherrn und die Regierung leiten lassen, dem Lande eine ganz erhebliche
Neubelastung auferlegt. Anstatt der Negierung anheimzugeben, sich über


bieget. Er wollte sich zur Sache nur einige Worte erlauben, aber auch diese
wurden von der Versammlung nur mit großer Unruhe angehört. Der Red¬
ner meinte zunächst, ohne diese Ansicht näher zu begründen, durch den er¬
freulichen vorjährigen Landtagsbeschluß sei die Sache so weit gefördert, daß
es sich eigentlich nur noch um den Repartitionsmodus handle. Unter Ge¬
lächter der Anwesenden bat er darauf, die Landtagsversammlung möge sich
auf denselben Standpunkt stellen, welchen die „Staaten beider Hemisphären"
(sie!) eingenommen hätten, von denen ausnahmslos das Ganze aus Staats¬
mitteln bewilligt worden sei. Ihm secundirte sofort der Landrath von Rieben-
Palenbeck mit der Aufforderung, die Regierung durch Ablehnung des Ver¬
trags nicht in Verlegenheit zu bringen und die geforderten Summen zu be¬
willigen. In Rücksicht auf die animirte Stimmung.der Versammlung empfahl
Bürgermeister schlaaf-Waren dagegen die Aussetzung der Beschlußfassung.
Wiederum nimmt aber Herr von Rieden das Wort, und meint, sowie die
Sache läge, dürfe man nicht aus Mißwollen gegen die Seestädte, welche
allerdings bei dem Steuer-Abkommen Vorzüge erlangt hätten, die Vorlage
ablehnen. Es handle sich um den Landesherrn und die Regierung. Darauf
erwiderte indessen der Bürgermeister Dr. Beselin nicht ganz grundlos, „Rostock
habe immer den Sack zugehalten, wenn es sich um Andre handle, jetzt solle
man auch den Sack zuhalten," während sein College Dr. Hall sich für sofor¬
tige Berathung und Bewilligung aussprach. Andrerseits wünschte der Land¬
rath Graf von Bernstorff Aussetzung der Abstimmung, weil er Verwerfung
der Vorlage fürchtete. Als dagegen sich aber viele Stimmen erheben, und
sofortige Berathung verlangen, geht der Landrath von Rieden sogar so weit,
die Bewilligung ohne Abstimmung zu beanspruchen. Anscheinend sei die Ma¬
jorität doch für die Regierungsvorlage, und da würde sich das gerade bei
dieser Sache sehr schön machen. Es liege im Wegfall der Votirung ein
großes Vertrauensvotum für den Landesherrn, das ihm in der gegen¬
wärtigen Zeit gewiß doppelt werth sein werde. Es erhebt sich gegen diese
Aeußerungen aber mehrseitiger Widerspruch, und da man sich nicht einigen
kann, schreitet man zur Abstimmung, und entscheidet mit 28 gegen 17 Stim¬
men für volle Bewilligung der von der Negierung mit Belgien vereinbarten
Ablösungssumme.

Damit war also eine fast 8 Jahre lang schwebende Controverse beendet.
Der letzte Act derselben gewährt in der That ein drastisches Argument gegen
die Lebensfähigkeit der Mecklenburgischen Verfassung. Mit einer Majorität
von 11 Stimmen, und bei einer so geringen Anzahl von Votanten (45) wird
durch 28 Stimmen, die sich meistens durch Loyalitätsrücksichten gegen den
Landesherrn und die Regierung leiten lassen, dem Lande eine ganz erhebliche
Neubelastung auferlegt. Anstatt der Negierung anheimzugeben, sich über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/162>, abgerufen am 24.07.2024.