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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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mand gerne unter die "Scheldesänger," wie der Landtagswitz sich ausdrückte,
kommen, vielleicht in dem Bewußtsein, daß eine freie Meinungsäußerung
und Entscheidung auf Seiten der Landstände in dieser Angelegenheit überhaupt
von vornherein ausgeschlossen erschien. Ferner verdienen sowohl die Spaltun¬
gen in dem Comite selbst, als die stürmische Bewegung in den entscheidenden
Sitzungen als charakteristische Merkmale der eigenthümlichen Situation, in
welcher sich diesmal die "getreuen Stände" der Regierung gegenüber befanden,
volle Beachtung. Aus der Comitvberathung gingen nämlich nicht weniger
als drei verschiedene Voden hervor. Nur ein einziges Mitglied des Comitö,
der Syndicus Meyer-Rostock, beantragte eine Annahme der Regierungsvor¬
lage, also Bewilligung der geforderten Zahlung von 28,000 Francs während
eines vierzigjährigen Zeitraums aus .allgemeinen Landesmitteln. Offenbar
nicht aus Loyalität oder Concession gegen die Regierung, sondern als Ver¬
treter der Interessen der Mecklenburgischen Seestädte. War er der Ansicht,
daß auch durch Vermittelung des Reichstags, oder durch Intervention von
Kaiser und Reich keine wesentliche Abminderung der belgischen Forderung zu
erreichen sei, und hielt er andrerseits eine Ablösung des Scheldezolls zu Gun¬
sten der Mecklenburger Rhederei für durchaus wünschenswerth, so war es für
ihn natürlich durch seine Stellung als Rostocker Deputirter geboten, die Re¬
gierungsvorlage zu empfehlen, welche eine Prägravation der Seestädte, denen
sie kein Präcipuum auflegen zu können glaubte, vermied.

Ein anderer Theil des Comiti schlug dagegen vor, nur 14,000 Francs
x. Ä. auf 40 Jahre aus Landesmitteln zu bewilligen in der Hoffnung, daß
Belgien die andere Hälfte seiner Forderung fallen lassen werde. Mit Recht
hielten die Vertreter dieser Ansicht die von Mecklenburg verlangte Ablösungs¬
summe, namentlich unter Berücksichtigung der Zeitverhältnisse und des belgi¬
schen Verhaltens sowohl während des Schwedens der Verhandlungen als im
Verlaufe des deutsch-französischen Krieges, für zu hoch, und lehnten andrer¬
seits auch eine Belastung der ohnehin schon genug beschädigten Seestädte ab.
Man kann nur bedauern, daß diese Anschauung nicht gesiegt hat, da alsdann
wenigstens noch ein letzter Versuch gemacht wäre, durch Anrufung der Hülfe
des Reichstages, welcher unserem Lande, das wahrlich in den letzten Jahren
dem deutschen Gesammtwohle zahlreiche Opfer gebracht hat, in dieser Ange¬
legenheit voraussichtlich gerne seinen Beistand gewährt hätte, die belgischen
Uebergriffe auf ein bescheideneres Maß als bisher zurückzuführen.

Dagegen beantragte die Majorität, do Hälfte der Ablösungssumme den
Seestädten zur Aufbringung aus eigenen Mitteln zuzuschieben mit der Be-
fugniß. Capital und Zinsen nach und nach von den Mecklenburgischen Schelde-
schiffen wieder wahrzunehmen. Offenbar eine ganz verfehlte Proposition. Durch


mand gerne unter die „Scheldesänger," wie der Landtagswitz sich ausdrückte,
kommen, vielleicht in dem Bewußtsein, daß eine freie Meinungsäußerung
und Entscheidung auf Seiten der Landstände in dieser Angelegenheit überhaupt
von vornherein ausgeschlossen erschien. Ferner verdienen sowohl die Spaltun¬
gen in dem Comite selbst, als die stürmische Bewegung in den entscheidenden
Sitzungen als charakteristische Merkmale der eigenthümlichen Situation, in
welcher sich diesmal die „getreuen Stände" der Regierung gegenüber befanden,
volle Beachtung. Aus der Comitvberathung gingen nämlich nicht weniger
als drei verschiedene Voden hervor. Nur ein einziges Mitglied des Comitö,
der Syndicus Meyer-Rostock, beantragte eine Annahme der Regierungsvor¬
lage, also Bewilligung der geforderten Zahlung von 28,000 Francs während
eines vierzigjährigen Zeitraums aus .allgemeinen Landesmitteln. Offenbar
nicht aus Loyalität oder Concession gegen die Regierung, sondern als Ver¬
treter der Interessen der Mecklenburgischen Seestädte. War er der Ansicht,
daß auch durch Vermittelung des Reichstags, oder durch Intervention von
Kaiser und Reich keine wesentliche Abminderung der belgischen Forderung zu
erreichen sei, und hielt er andrerseits eine Ablösung des Scheldezolls zu Gun¬
sten der Mecklenburger Rhederei für durchaus wünschenswerth, so war es für
ihn natürlich durch seine Stellung als Rostocker Deputirter geboten, die Re¬
gierungsvorlage zu empfehlen, welche eine Prägravation der Seestädte, denen
sie kein Präcipuum auflegen zu können glaubte, vermied.

Ein anderer Theil des Comiti schlug dagegen vor, nur 14,000 Francs
x. Ä. auf 40 Jahre aus Landesmitteln zu bewilligen in der Hoffnung, daß
Belgien die andere Hälfte seiner Forderung fallen lassen werde. Mit Recht
hielten die Vertreter dieser Ansicht die von Mecklenburg verlangte Ablösungs¬
summe, namentlich unter Berücksichtigung der Zeitverhältnisse und des belgi¬
schen Verhaltens sowohl während des Schwedens der Verhandlungen als im
Verlaufe des deutsch-französischen Krieges, für zu hoch, und lehnten andrer¬
seits auch eine Belastung der ohnehin schon genug beschädigten Seestädte ab.
Man kann nur bedauern, daß diese Anschauung nicht gesiegt hat, da alsdann
wenigstens noch ein letzter Versuch gemacht wäre, durch Anrufung der Hülfe
des Reichstages, welcher unserem Lande, das wahrlich in den letzten Jahren
dem deutschen Gesammtwohle zahlreiche Opfer gebracht hat, in dieser Ange¬
legenheit voraussichtlich gerne seinen Beistand gewährt hätte, die belgischen
Uebergriffe auf ein bescheideneres Maß als bisher zurückzuführen.

Dagegen beantragte die Majorität, do Hälfte der Ablösungssumme den
Seestädten zur Aufbringung aus eigenen Mitteln zuzuschieben mit der Be-
fugniß. Capital und Zinsen nach und nach von den Mecklenburgischen Schelde-
schiffen wieder wahrzunehmen. Offenbar eine ganz verfehlte Proposition. Durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/159>, abgerufen am 24.07.2024.