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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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war, als ob dieselbe selbstverständlich erfolgen müsse und werde. Die Ver¬
werfung der dem Landtage gemachten Regierungsvorlage hätte naturgemäß
erfolgen müssen wegen der ganzen Willkür und Rechtlosigkeit des belgischen
Ablösungsplans, und des stipulirten Repartitionsmodus, insbesondere aber
wegen der Monstrosität, daß Mecklenburg fast doppelt so viel leisten sollte,
als Hamburg, Schweden und Rußland, ja, daß die von Mecklenburg gefor¬
derte Ablösungssumme den von Frankreich und Preußen gezählten Beiträgen
fast gleichkam, während dieselbe die Quote Hannovers, Oestreichs und Ita¬
liens beinahe um das Dreifache überstieg. Die auf Mecklenburg fallende
Quote war übrigens ganz willkürlich und grundlos von den in den Jahren
1837--62 in der Scheide aus- und eingelaufenen Mecklenburger Schiffen be¬
rechnet, so daß Mecklenburg unter allen Staaten an siebenter Stelle betheiligt
war und ihm auf jede Tonne seiner Schiffe eine Belastung von 7 Francs
auferlegt wurde, während die obigen Staaten nur mit einer solchen von 2,
3, resp. 4 per Tonneau beschwert waren. Sowohl die rechtliche Beurtheilung
der Controverse als die Jnteressenfrage hätte demnach zu einer Ablehnung der
Regierungsvorlage führen müssen. Die letztere ging nämlich dahin, den vol¬
len von Belgien in der Convention vom 18. März 1870 geforderten Betrag
aus allgemeinen Landesmitteln zu bewilligen. In den Seestädten war die
Stimmung freilich deßhalb für Annahme dieser Proposition, weil dieselbe den
Zoll definitiv ablöste und den Seestädten kein Präcipuum von der Ablösungs¬
summe zumuthete. Gleichwohl lehnte die Landtagsversammlung, der noch
kurz vorher die Rostocker Zeitung das Gegentheil zu poliren dringend ange-
rathen hatte, in ihrer zu Malchin am 15. December v.J. gehaltenen Sitzung
die Regierungsvorlage ab, und beschränkte sich darauf, die Hälfte der Ab¬
lösung aus Landesmitteln zu bewilligen, wenn die Seestädte die andere Hälfte
übernehmen wollten. Mit diesem Beschlusse war aber weder den Interessen
der Letzteren noch den Interessen der Negierung gedient, und wäre wohl über¬
haupt bei Verwerfung der Vorlage richtiger gewesen, gar Nichts zu bewilli¬
gen. Bei dieser Sachlage bedürfte es eines zweiten sehr entschiedenen Mini-
sterialrescriptes vom 18. December v. I. um die ständische Zustimmung zu
der fraglichen Proposition in der folgenden Sitzung des Landtages vom 19.
December 1870 zu erlangen. Das Gegentheil ist indessen geschehen und die
Landtagsverhandlungen über die Scheldezollablösungsfrage liefern aus das
Evidenteste, den Nachweis, daß unsere Feudalzustände sich überlebt haben. und
die Einführung einer constitutionellen Verfassung nothwendig ist.

Eine nähere Betrachtung der einschlagenden Malchiner Vorgänge soll
diese Behauptung begründen. Zunächst fällt auf, daß die Landtagsversamm¬
lung offenbar mit Unlust und Mißmuth, resp, mit einer gewissen Ironie an
die Berathung des Scheldezolls ging. Bei den Comitöwahlen wollte Nie-


war, als ob dieselbe selbstverständlich erfolgen müsse und werde. Die Ver¬
werfung der dem Landtage gemachten Regierungsvorlage hätte naturgemäß
erfolgen müssen wegen der ganzen Willkür und Rechtlosigkeit des belgischen
Ablösungsplans, und des stipulirten Repartitionsmodus, insbesondere aber
wegen der Monstrosität, daß Mecklenburg fast doppelt so viel leisten sollte,
als Hamburg, Schweden und Rußland, ja, daß die von Mecklenburg gefor¬
derte Ablösungssumme den von Frankreich und Preußen gezählten Beiträgen
fast gleichkam, während dieselbe die Quote Hannovers, Oestreichs und Ita¬
liens beinahe um das Dreifache überstieg. Die auf Mecklenburg fallende
Quote war übrigens ganz willkürlich und grundlos von den in den Jahren
1837—62 in der Scheide aus- und eingelaufenen Mecklenburger Schiffen be¬
rechnet, so daß Mecklenburg unter allen Staaten an siebenter Stelle betheiligt
war und ihm auf jede Tonne seiner Schiffe eine Belastung von 7 Francs
auferlegt wurde, während die obigen Staaten nur mit einer solchen von 2,
3, resp. 4 per Tonneau beschwert waren. Sowohl die rechtliche Beurtheilung
der Controverse als die Jnteressenfrage hätte demnach zu einer Ablehnung der
Regierungsvorlage führen müssen. Die letztere ging nämlich dahin, den vol¬
len von Belgien in der Convention vom 18. März 1870 geforderten Betrag
aus allgemeinen Landesmitteln zu bewilligen. In den Seestädten war die
Stimmung freilich deßhalb für Annahme dieser Proposition, weil dieselbe den
Zoll definitiv ablöste und den Seestädten kein Präcipuum von der Ablösungs¬
summe zumuthete. Gleichwohl lehnte die Landtagsversammlung, der noch
kurz vorher die Rostocker Zeitung das Gegentheil zu poliren dringend ange-
rathen hatte, in ihrer zu Malchin am 15. December v.J. gehaltenen Sitzung
die Regierungsvorlage ab, und beschränkte sich darauf, die Hälfte der Ab¬
lösung aus Landesmitteln zu bewilligen, wenn die Seestädte die andere Hälfte
übernehmen wollten. Mit diesem Beschlusse war aber weder den Interessen
der Letzteren noch den Interessen der Negierung gedient, und wäre wohl über¬
haupt bei Verwerfung der Vorlage richtiger gewesen, gar Nichts zu bewilli¬
gen. Bei dieser Sachlage bedürfte es eines zweiten sehr entschiedenen Mini-
sterialrescriptes vom 18. December v. I. um die ständische Zustimmung zu
der fraglichen Proposition in der folgenden Sitzung des Landtages vom 19.
December 1870 zu erlangen. Das Gegentheil ist indessen geschehen und die
Landtagsverhandlungen über die Scheldezollablösungsfrage liefern aus das
Evidenteste, den Nachweis, daß unsere Feudalzustände sich überlebt haben. und
die Einführung einer constitutionellen Verfassung nothwendig ist.

Eine nähere Betrachtung der einschlagenden Malchiner Vorgänge soll
diese Behauptung begründen. Zunächst fällt auf, daß die Landtagsversamm¬
lung offenbar mit Unlust und Mißmuth, resp, mit einer gewissen Ironie an
die Berathung des Scheldezolls ging. Bei den Comitöwahlen wollte Nie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/158>, abgerufen am 24.07.2024.