Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.der Verkehr nach der Scheide bereits in ziemlich lebhafter Weise begonnen. der Verkehr nach der Scheide bereits in ziemlich lebhafter Weise begonnen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126433"/> <p xml:id="ID_451" prev="#ID_450" next="#ID_452"> der Verkehr nach der Scheide bereits in ziemlich lebhafter Weise begonnen.<lb/> Denn es waren seit dem 11. März d. I. schon bis zum 8. April aus Wismar 8<lb/> und aus Warnemünde 12 Schiffe, sowie aus Swinemünde zwei Rostocker<lb/> Briggs und aus Helsingfors zwei mecklenburgische Fahrzeuge nach Schelde-<lb/> häfen ausgelaufen, von denen bis zum 8. April d. I. schon 16 Schiffe in<lb/> Antwerpen, Genf und Löwen glücklich angekommen sind. Es erscheint indessen<lb/> sehr fraglich, ob diese Frequenz von Dauer sein wird, da die jetzigen zahl¬<lb/> reichen Befrachtungen mecklenburgischer Schiffe nach der Scheide in abnormen<lb/> Zeitverhältnissen, nämlich in dem gegenwärtigen Kornmangel Frankreichs und<lb/> der dort zu erwartenden Mißernte, ihren Grund haben. Aller Wahrschein¬<lb/> lichkeit nach wird daher in Bälde der Verkehr unserer Schiffe in Scheldehäfen<lb/> wieder fallen, und den Durchschnitt der letzten acht Jahre nicht wesentlich<lb/> übersteigen. Das Gegentheil wäre freilich wünschenswert!), weil dem Lande<lb/> durch den Scheldezoll-Ablösungsvertrag in den von uns übernommenen vierzig<lb/> Jahreszahlungen von je 28000 Francs oder 7470 Thalern eine ganz unver-<lb/> hältnißmcißige schwere Belastung auferlegt ist, die den specifisch mecklenburgi¬<lb/> schen Rhedereiverhältnissen, nach welchen unsere Schiffe, die bisher auch zum<lb/> großen Theile im Miteigenthume Auswärtiger standen, nur Frachtfahrer für<lb/> fremde Rechnung sind, gar nicht, oder doch nur in sehr ungenügender Weise,<lb/> Rechnung getragen wird. Die Geschichte der siebenjährigen Verhandlungen<lb/> zwischen Belgien und Mecklenburg ist nur ein neuer Beleg für die Haltlosig¬<lb/> keit der vor 1866 bestehenden deutschen Kleinstaaterei, und zeigt, wie scho¬<lb/> nungslos ein einzelnes deutsches Land, welches keine Repressalien ergreifen,<lb/> und seinem guten Recht kein nachdrückliches Gewicht verschaffen konnte, unter<lb/> belgischen Prätentionen und Willkürmaßregeln zu leiden gehabt hat. Dazu<lb/> kam, daß die Interessen Mecklenburgs einzig und allein durch Maßnahmen<lb/> des Schweriner Ministeriums, und nicht auch durch Kundgebungen der be¬<lb/> theiligten Seestädte Belgien gegenüber vertreten wurden. Die Mecklenbur¬<lb/> gische Negierung ihrerseits war zwar offenbar vom besten Willen erfüllt, dem<lb/> Landeswohl zu dienen, und hat auch vom Jahre 1863 — 70 den belgischen<lb/> Intriguen, namentlich in einer Note des Ministerpräsidenten von Oertzen<lb/> vom 16. Octover 1867, mit Geschick und Sachkenntniß Opposition gemacht.<lb/> Gleichwohl war ein Fehler, daß sie in völlig einseitiger Weise die Convention<lb/> vom 18. März 1870 abschloß, durch welche Mecklenburg sich verpflichtete, an<lb/> Belgien die enorme Summe von 1,120000 Francs, also noch 83680 Francs<lb/> mehr als der im Jahre 1863 geforderte Betrag des Ablösungsvertrags von<lb/> 1,036,320 Francs276,332 Thlr. verlangt hatte, freilich in 40 Jahres¬<lb/> raten und ohne Verzinsung der Restschuld zu zahlen. Ferner ist für die hie¬<lb/> sigen Verhältnisse sehr bezeichnend, daß in der genannten Convention zwar<lb/> die ständische Genehmigung vorbehalten, aber doch in einer Weise reservirt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0157]
der Verkehr nach der Scheide bereits in ziemlich lebhafter Weise begonnen.
Denn es waren seit dem 11. März d. I. schon bis zum 8. April aus Wismar 8
und aus Warnemünde 12 Schiffe, sowie aus Swinemünde zwei Rostocker
Briggs und aus Helsingfors zwei mecklenburgische Fahrzeuge nach Schelde-
häfen ausgelaufen, von denen bis zum 8. April d. I. schon 16 Schiffe in
Antwerpen, Genf und Löwen glücklich angekommen sind. Es erscheint indessen
sehr fraglich, ob diese Frequenz von Dauer sein wird, da die jetzigen zahl¬
reichen Befrachtungen mecklenburgischer Schiffe nach der Scheide in abnormen
Zeitverhältnissen, nämlich in dem gegenwärtigen Kornmangel Frankreichs und
der dort zu erwartenden Mißernte, ihren Grund haben. Aller Wahrschein¬
lichkeit nach wird daher in Bälde der Verkehr unserer Schiffe in Scheldehäfen
wieder fallen, und den Durchschnitt der letzten acht Jahre nicht wesentlich
übersteigen. Das Gegentheil wäre freilich wünschenswert!), weil dem Lande
durch den Scheldezoll-Ablösungsvertrag in den von uns übernommenen vierzig
Jahreszahlungen von je 28000 Francs oder 7470 Thalern eine ganz unver-
hältnißmcißige schwere Belastung auferlegt ist, die den specifisch mecklenburgi¬
schen Rhedereiverhältnissen, nach welchen unsere Schiffe, die bisher auch zum
großen Theile im Miteigenthume Auswärtiger standen, nur Frachtfahrer für
fremde Rechnung sind, gar nicht, oder doch nur in sehr ungenügender Weise,
Rechnung getragen wird. Die Geschichte der siebenjährigen Verhandlungen
zwischen Belgien und Mecklenburg ist nur ein neuer Beleg für die Haltlosig¬
keit der vor 1866 bestehenden deutschen Kleinstaaterei, und zeigt, wie scho¬
nungslos ein einzelnes deutsches Land, welches keine Repressalien ergreifen,
und seinem guten Recht kein nachdrückliches Gewicht verschaffen konnte, unter
belgischen Prätentionen und Willkürmaßregeln zu leiden gehabt hat. Dazu
kam, daß die Interessen Mecklenburgs einzig und allein durch Maßnahmen
des Schweriner Ministeriums, und nicht auch durch Kundgebungen der be¬
theiligten Seestädte Belgien gegenüber vertreten wurden. Die Mecklenbur¬
gische Negierung ihrerseits war zwar offenbar vom besten Willen erfüllt, dem
Landeswohl zu dienen, und hat auch vom Jahre 1863 — 70 den belgischen
Intriguen, namentlich in einer Note des Ministerpräsidenten von Oertzen
vom 16. Octover 1867, mit Geschick und Sachkenntniß Opposition gemacht.
Gleichwohl war ein Fehler, daß sie in völlig einseitiger Weise die Convention
vom 18. März 1870 abschloß, durch welche Mecklenburg sich verpflichtete, an
Belgien die enorme Summe von 1,120000 Francs, also noch 83680 Francs
mehr als der im Jahre 1863 geforderte Betrag des Ablösungsvertrags von
1,036,320 Francs276,332 Thlr. verlangt hatte, freilich in 40 Jahres¬
raten und ohne Verzinsung der Restschuld zu zahlen. Ferner ist für die hie¬
sigen Verhältnisse sehr bezeichnend, daß in der genannten Convention zwar
die ständische Genehmigung vorbehalten, aber doch in einer Weise reservirt
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