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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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war die Veränderung, welche die Commune in Paris bewirkt hatte. Keine
Spur mehr von dem hurenhaften Paris des zweiten Kaiserreichs! Nicht
mehr war Paris das Stelldichein britischer Gutsbesitzer, irischer Ausreißer,
amerikanischer Sclavenhalter und Shoddy-Fabrikanten, ehemaliger Besitzer
von Leibeignen aus Rußland und walachischer Bojaren. Keine Leichname
mehr in der Morgue, keine nächtlichen Einbrüche, kaum noch ein Raubanfall.
In der That, zum ersten Mal seit den Februartagen von 1848 waren die
Straßen von Paris sicher und das ohne irgend welche Polizei. "Wir hören,"
so sagte ein Mitglied der Commune, "nicht mehr von Mord, Diebstahl und
Angriffen auf Personen, es scheint wahrhaftig, als hätte die Polizei alle ihre
conservativen Freunde mit nach Versailles geschleppt." Die Cocotten hatten
die Spur ihrer Gönner, der ausgekniffenen Stützen der Familie, der Religion
und vor Allem des Eigenthums, wiedergefunden. An ihrer Stelle zeigten sich
wieder die wahren Frauen von Paris auf der Oberfläche, heroisch, nobel,
hingebend wie die Frauen des Alterthums. Arbeitendes, denkendes, kämpfen-
des, blutendes Paris, in deinem Brüten über einer neuen Gesellschaft fast
uneingedenk der Kannibalen vor deinen Thoren, strahlend in der Begeisterung
über deine weltgeschichtliche Jnitative!"

Gegen den Schluß hin wird die Adresse zu einem zornigen Plaidoyer
gegen die Grausamkeit der Sieger und für die harmlose Unschuld der Com¬
mune gegenüber den wider sie vorgebrachten Anklagen. Wir stehen mit
dem Verfasser vor dem Ende der Tragödie.

"Am 22. Mai sagte Thiers zu seiner Bauernvertretung in Versailles:
"Der Sieg der Ordnung, Gerechtigkeit und Civilisation ist endlich gewonnen."
So war es. Die Civilisation und Gerechtigkeit der Bourgeois-Ordnung
strahlt in ihrem bezaubernden Lichte, sobald einmal die Sclaven und Plackesel
dieser Ordnung sich gegen ihre Herren auflehnen. Dann treten diese Civili¬
sation und Gerechtigkeit als unverhüllte Wildheit und gesetzlose Rache auf.
Jede neue Krisis in dem Classenkampf zwischen denen, welche arbeiten, und
denen, welche sich das Ergebniß der Arbeit aneignen, zeigt diese Thatsache
in grellerem Lichte. Selbst die Grausamkeiten der Bourgeois im Juni 1848
verschwinden vor der unauslöschlichen Schmach von 1871. Der sich selbst
opfernde Heroismus, mit welchem die Bevölkerung von Paris -- Männer,
Weiber und Kinder -- acht Tage lang nach dem Einrücken der Versailler
focht, spiegelt ebensosehr die Größe ihrer Sache wieder, als die höllischen Tha¬
ten der Soldateska den innersten angeborenen Geist jener Civilisation wieder¬
spiegelten, deren gemiethete Vertheidiger sie sind. Eine glorreiche Civilisation '
fürwahr, deren großes Problem darin besteht, wie man sich der Leichenhaufen
entledige, nachdem die Schlacht vorüber! Um eine Parallele für das Versah-


war die Veränderung, welche die Commune in Paris bewirkt hatte. Keine
Spur mehr von dem hurenhaften Paris des zweiten Kaiserreichs! Nicht
mehr war Paris das Stelldichein britischer Gutsbesitzer, irischer Ausreißer,
amerikanischer Sclavenhalter und Shoddy-Fabrikanten, ehemaliger Besitzer
von Leibeignen aus Rußland und walachischer Bojaren. Keine Leichname
mehr in der Morgue, keine nächtlichen Einbrüche, kaum noch ein Raubanfall.
In der That, zum ersten Mal seit den Februartagen von 1848 waren die
Straßen von Paris sicher und das ohne irgend welche Polizei. „Wir hören,"
so sagte ein Mitglied der Commune, „nicht mehr von Mord, Diebstahl und
Angriffen auf Personen, es scheint wahrhaftig, als hätte die Polizei alle ihre
conservativen Freunde mit nach Versailles geschleppt." Die Cocotten hatten
die Spur ihrer Gönner, der ausgekniffenen Stützen der Familie, der Religion
und vor Allem des Eigenthums, wiedergefunden. An ihrer Stelle zeigten sich
wieder die wahren Frauen von Paris auf der Oberfläche, heroisch, nobel,
hingebend wie die Frauen des Alterthums. Arbeitendes, denkendes, kämpfen-
des, blutendes Paris, in deinem Brüten über einer neuen Gesellschaft fast
uneingedenk der Kannibalen vor deinen Thoren, strahlend in der Begeisterung
über deine weltgeschichtliche Jnitative!"

Gegen den Schluß hin wird die Adresse zu einem zornigen Plaidoyer
gegen die Grausamkeit der Sieger und für die harmlose Unschuld der Com¬
mune gegenüber den wider sie vorgebrachten Anklagen. Wir stehen mit
dem Verfasser vor dem Ende der Tragödie.

„Am 22. Mai sagte Thiers zu seiner Bauernvertretung in Versailles:
„Der Sieg der Ordnung, Gerechtigkeit und Civilisation ist endlich gewonnen."
So war es. Die Civilisation und Gerechtigkeit der Bourgeois-Ordnung
strahlt in ihrem bezaubernden Lichte, sobald einmal die Sclaven und Plackesel
dieser Ordnung sich gegen ihre Herren auflehnen. Dann treten diese Civili¬
sation und Gerechtigkeit als unverhüllte Wildheit und gesetzlose Rache auf.
Jede neue Krisis in dem Classenkampf zwischen denen, welche arbeiten, und
denen, welche sich das Ergebniß der Arbeit aneignen, zeigt diese Thatsache
in grellerem Lichte. Selbst die Grausamkeiten der Bourgeois im Juni 1848
verschwinden vor der unauslöschlichen Schmach von 1871. Der sich selbst
opfernde Heroismus, mit welchem die Bevölkerung von Paris — Männer,
Weiber und Kinder — acht Tage lang nach dem Einrücken der Versailler
focht, spiegelt ebensosehr die Größe ihrer Sache wieder, als die höllischen Tha¬
ten der Soldateska den innersten angeborenen Geist jener Civilisation wieder¬
spiegelten, deren gemiethete Vertheidiger sie sind. Eine glorreiche Civilisation '
fürwahr, deren großes Problem darin besteht, wie man sich der Leichenhaufen
entledige, nachdem die Schlacht vorüber! Um eine Parallele für das Versah-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/143>, abgerufen am 24.07.2024.