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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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eines stehenden Heeres, einer Polizei, einer Bureaukratie, einer Geistlichkeit
und eines Richterstandes -- Organen, die nach dem Plane einer systematischen
und hierarchischen Arbeitstheilung gestaltet sind -- hat ihren Ursprung in
den Tagen der absoluten Monarchie, welche der heranwachsenden Gesellschaft
der Mittelelasse als mächtige Waffe in ihren Kämpfen gegen den Feudalismus
diente. Dennoch blieb ihre Entwickelung verdeckt von allerhand mittelalter¬
lichen Unrath, Bdelsprivilegien, Localrechten, städtischen und Zunftmonopolen
und Provinzialverfasfungen. Der Niesenbesen der französischen Revolution
des achtzehnten Jahrhunderts fegte alle diese Reliquien vergangener Zeiten
hinweg, und säuberte damit zugleich den gesellschaftlichen Boden von seinen
letzten Hindernissen für die Aufrichtung des modernen Staatsgebäudes, welches
unter dem ersten Kaiserreich erstand, das seinerseits nur das Ergebniß der
Coalitionskriege des alten halb feudalen Europa gegen das moderne Frank¬
reich war. Während der folgenden Regiments wurde die Negierung, unter die
parlamentarische Aufsicht, d. h. unter die unmittelbare Controle der besitzen¬
den Classen gestellt, nicht bloß das Mistbeet ungeheurer Staatsschulden und
erdrückender Steuern, wurde sie mit ihren unwiderstehlichen Verlockungen von
Stellen, Geldspenden und Gönnerschaft nicht nur der streitige Knochen zwi¬
schen den nebenbuhlerischen Factionen und Abenteurern der herrschenden Classen,
sondern ihr politischer Charakter wechselte zugleich mit den wirthschaftlichen
Veränderungen der Gesellschaft. In demselben Maße, in dem der Fortschritt
der modernen Industrie den Classen-Antagonismus zwischen Capital und
Arbeit entwickelte, erweiterte und intensiver machte, nahm die Staatsgewalt
mehr und mehr den Charakter der nationalen Geroalt des Capitals über die
Arbeit, einer öffentlichen Macht, organisirt zu socialer Knechtung, einer Ma¬
schine für den Classendespotismus an. Nach jeder Revolution, die eine fort¬
geschrittene Phase im Classenkampf bezeichnet, tritt der rein repressive Charak¬
ter der Staatsmacht deutlicher und immer deutlicher heraus. Die Revolution
von 1830, welche die Uebertragung der Regierung von den Landbesitzern auf
die Kapitalisten zum Ergebniß hatte, übertrug sie von den entfernteren auf
die unmittelbaren Gegner der Arbeiter. Die Bourgeois-Republikaner, welche
im Namen der Februarrevolution die Staatsgewalt übernahmen, benutzten
sie für das Juni-Gemetzel, um die arbeitende Classe zu überzeugen, daß so¬
ciale Republik die Republik bedeute, welche ihre sociale Untertänigkeit fest¬
stelle, und um dem royalistischen Haufen der spießbürgerlichen und bäuerlichen
Classe darzuthun, daß sie getrost die Sorgen und Gehalte der Regierung den
Republikanern der Bourgeoisie überlassen könnten. Indeß mußten die Repu¬
blikaner der Bourgeoisie nach ihrer einzigen Großthat vom Juni aus der er¬
sten in die letzte Reihe der "Ordnungspartei zurücktreten" -- einer Combina¬
tion aller sich um den Vorrang streitenden Fractionen und Factionen der be-


eines stehenden Heeres, einer Polizei, einer Bureaukratie, einer Geistlichkeit
und eines Richterstandes — Organen, die nach dem Plane einer systematischen
und hierarchischen Arbeitstheilung gestaltet sind — hat ihren Ursprung in
den Tagen der absoluten Monarchie, welche der heranwachsenden Gesellschaft
der Mittelelasse als mächtige Waffe in ihren Kämpfen gegen den Feudalismus
diente. Dennoch blieb ihre Entwickelung verdeckt von allerhand mittelalter¬
lichen Unrath, Bdelsprivilegien, Localrechten, städtischen und Zunftmonopolen
und Provinzialverfasfungen. Der Niesenbesen der französischen Revolution
des achtzehnten Jahrhunderts fegte alle diese Reliquien vergangener Zeiten
hinweg, und säuberte damit zugleich den gesellschaftlichen Boden von seinen
letzten Hindernissen für die Aufrichtung des modernen Staatsgebäudes, welches
unter dem ersten Kaiserreich erstand, das seinerseits nur das Ergebniß der
Coalitionskriege des alten halb feudalen Europa gegen das moderne Frank¬
reich war. Während der folgenden Regiments wurde die Negierung, unter die
parlamentarische Aufsicht, d. h. unter die unmittelbare Controle der besitzen¬
den Classen gestellt, nicht bloß das Mistbeet ungeheurer Staatsschulden und
erdrückender Steuern, wurde sie mit ihren unwiderstehlichen Verlockungen von
Stellen, Geldspenden und Gönnerschaft nicht nur der streitige Knochen zwi¬
schen den nebenbuhlerischen Factionen und Abenteurern der herrschenden Classen,
sondern ihr politischer Charakter wechselte zugleich mit den wirthschaftlichen
Veränderungen der Gesellschaft. In demselben Maße, in dem der Fortschritt
der modernen Industrie den Classen-Antagonismus zwischen Capital und
Arbeit entwickelte, erweiterte und intensiver machte, nahm die Staatsgewalt
mehr und mehr den Charakter der nationalen Geroalt des Capitals über die
Arbeit, einer öffentlichen Macht, organisirt zu socialer Knechtung, einer Ma¬
schine für den Classendespotismus an. Nach jeder Revolution, die eine fort¬
geschrittene Phase im Classenkampf bezeichnet, tritt der rein repressive Charak¬
ter der Staatsmacht deutlicher und immer deutlicher heraus. Die Revolution
von 1830, welche die Uebertragung der Regierung von den Landbesitzern auf
die Kapitalisten zum Ergebniß hatte, übertrug sie von den entfernteren auf
die unmittelbaren Gegner der Arbeiter. Die Bourgeois-Republikaner, welche
im Namen der Februarrevolution die Staatsgewalt übernahmen, benutzten
sie für das Juni-Gemetzel, um die arbeitende Classe zu überzeugen, daß so¬
ciale Republik die Republik bedeute, welche ihre sociale Untertänigkeit fest¬
stelle, und um dem royalistischen Haufen der spießbürgerlichen und bäuerlichen
Classe darzuthun, daß sie getrost die Sorgen und Gehalte der Regierung den
Republikanern der Bourgeoisie überlassen könnten. Indeß mußten die Repu¬
blikaner der Bourgeoisie nach ihrer einzigen Großthat vom Juni aus der er¬
sten in die letzte Reihe der „Ordnungspartei zurücktreten" — einer Combina¬
tion aller sich um den Vorrang streitenden Fractionen und Factionen der be-


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[0136] eines stehenden Heeres, einer Polizei, einer Bureaukratie, einer Geistlichkeit und eines Richterstandes — Organen, die nach dem Plane einer systematischen und hierarchischen Arbeitstheilung gestaltet sind — hat ihren Ursprung in den Tagen der absoluten Monarchie, welche der heranwachsenden Gesellschaft der Mittelelasse als mächtige Waffe in ihren Kämpfen gegen den Feudalismus diente. Dennoch blieb ihre Entwickelung verdeckt von allerhand mittelalter¬ lichen Unrath, Bdelsprivilegien, Localrechten, städtischen und Zunftmonopolen und Provinzialverfasfungen. Der Niesenbesen der französischen Revolution des achtzehnten Jahrhunderts fegte alle diese Reliquien vergangener Zeiten hinweg, und säuberte damit zugleich den gesellschaftlichen Boden von seinen letzten Hindernissen für die Aufrichtung des modernen Staatsgebäudes, welches unter dem ersten Kaiserreich erstand, das seinerseits nur das Ergebniß der Coalitionskriege des alten halb feudalen Europa gegen das moderne Frank¬ reich war. Während der folgenden Regiments wurde die Negierung, unter die parlamentarische Aufsicht, d. h. unter die unmittelbare Controle der besitzen¬ den Classen gestellt, nicht bloß das Mistbeet ungeheurer Staatsschulden und erdrückender Steuern, wurde sie mit ihren unwiderstehlichen Verlockungen von Stellen, Geldspenden und Gönnerschaft nicht nur der streitige Knochen zwi¬ schen den nebenbuhlerischen Factionen und Abenteurern der herrschenden Classen, sondern ihr politischer Charakter wechselte zugleich mit den wirthschaftlichen Veränderungen der Gesellschaft. In demselben Maße, in dem der Fortschritt der modernen Industrie den Classen-Antagonismus zwischen Capital und Arbeit entwickelte, erweiterte und intensiver machte, nahm die Staatsgewalt mehr und mehr den Charakter der nationalen Geroalt des Capitals über die Arbeit, einer öffentlichen Macht, organisirt zu socialer Knechtung, einer Ma¬ schine für den Classendespotismus an. Nach jeder Revolution, die eine fort¬ geschrittene Phase im Classenkampf bezeichnet, tritt der rein repressive Charak¬ ter der Staatsmacht deutlicher und immer deutlicher heraus. Die Revolution von 1830, welche die Uebertragung der Regierung von den Landbesitzern auf die Kapitalisten zum Ergebniß hatte, übertrug sie von den entfernteren auf die unmittelbaren Gegner der Arbeiter. Die Bourgeois-Republikaner, welche im Namen der Februarrevolution die Staatsgewalt übernahmen, benutzten sie für das Juni-Gemetzel, um die arbeitende Classe zu überzeugen, daß so¬ ciale Republik die Republik bedeute, welche ihre sociale Untertänigkeit fest¬ stelle, und um dem royalistischen Haufen der spießbürgerlichen und bäuerlichen Classe darzuthun, daß sie getrost die Sorgen und Gehalte der Regierung den Republikanern der Bourgeoisie überlassen könnten. Indeß mußten die Repu¬ blikaner der Bourgeoisie nach ihrer einzigen Großthat vom Juni aus der er¬ sten in die letzte Reihe der „Ordnungspartei zurücktreten" — einer Combina¬ tion aller sich um den Vorrang streitenden Fractionen und Factionen der be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/136>, abgerufen am 24.07.2024.