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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Wirklichkeit war. Die Lehre, für welche die Blousenmänner damals die
Waffen ergriffen, verschwand nicht aus der Welt, mit der rothen Fahne, ihrem
Symbol. Ihre Anhänger verzichteten nur für den Augenblick darauf, sich in
die active Politik zu mischen, gaben aber ihre Ansprüche und Hoffnungen
keineswegs verloren. Der Communismus als mehr oder minder ausgebildete
Theorie zog sich seitdem aus der Oeffentlichkeit zurück, und die auf gewalt¬
same Veränderung des Besitzstandes gerichteten Gelüste des Arbeiterproletariats
wurden fortan wieder im Dunkel geheimer Verbindungen gepredigt und
gehegt.

Am 8. Mai 1869 schrieb ein Eingeweihter in der "Egalite": "Was wir
mit Freuden begrüßen, ist das Wiederaufleben des Socialismus in Frank¬
reich, der ebenso voll Glauben an seine Zukunft wie 1848, aber wissenschaft¬
licher und erfahrungsreicher als damals ist. Da sehen wir sie wieder, diese
verhaßten Ideen, für die man so viele Republikaner erschossen und in die
Verbannung geschleppt hat! Just nach einer Generation, nach zwanzig Jahren
kehren sie wieder mit derselben Zähigkeit, um den erschrockenen Leuten
der Ordnung vor Augen zu treten, dieser lügenhaften Ordnung, welche nur
durch den Weihwedel eines gemietheten Priesters geheiligt und durch den
Säbel des volksverhaßten Soldaten aufrecht erhalten wird."

Die Negierung Napoleons des Dritten wußte jene gefährlichen Elemente
theils durch ihre wachsame und energische Polizei zu beschränken, theils durch
eine eigenthümliche, vielfach nur scheinbare Fürsorge für das Proletariat zu
versöhnen. Sie hat durch Entwickelung der materiellen Interessen des Landes
die Arbeiterbevölkerung Frankreichs im Allgemeinen in eine bessere Lage ver¬
setzt. Sie hat aber auch durch ihre großen Bauunternehmungen in Paris
Hunderttausende von Arbeitern nach der Hauptstadt gezogen, in denen, nach¬
dem diese Bauten vollendet waren, die Lehren der kommunistischen und socia¬
listischen Propheten in demselben Maße wieder einen empfänglichen Boden
fanden, in welchem der Verdienst zu stocken und die Noth sich fühlbar zu
wachen begann.

Dazu kam aber noch eine andere Seite des Kaisertums. Dasselbe war
von der Partei der Ordnung als Heilmittel und Präservativ gegen das in
Rede stehende Uebel angenommen und eine Zeitlang unterstützt worden. Aber
es scheint, es wird wenigstens von zahlreichen Stimmen in Frankreich behauptet,
daß dieses selbe Kaiserthum, wenn es auch gelegentlich gegen die geheimen
Gesellschaften einschritt, dieselben nach politischen Grundsätzen, die man aller¬
dings nie eingestand, im Allgemeinen gewähren ließ, da ihre Bestrebungen sich
auch gegen die verschiedenen Nuancen des Liberalismus kehrten und dieselben
schwachem. Noch gewisser aber ist, daß der napoleonische Absolutismus durch
seine ganze Natur das Forlwuchern und Wiedererstarken der Parteien, aus


Wirklichkeit war. Die Lehre, für welche die Blousenmänner damals die
Waffen ergriffen, verschwand nicht aus der Welt, mit der rothen Fahne, ihrem
Symbol. Ihre Anhänger verzichteten nur für den Augenblick darauf, sich in
die active Politik zu mischen, gaben aber ihre Ansprüche und Hoffnungen
keineswegs verloren. Der Communismus als mehr oder minder ausgebildete
Theorie zog sich seitdem aus der Oeffentlichkeit zurück, und die auf gewalt¬
same Veränderung des Besitzstandes gerichteten Gelüste des Arbeiterproletariats
wurden fortan wieder im Dunkel geheimer Verbindungen gepredigt und
gehegt.

Am 8. Mai 1869 schrieb ein Eingeweihter in der „Egalite": „Was wir
mit Freuden begrüßen, ist das Wiederaufleben des Socialismus in Frank¬
reich, der ebenso voll Glauben an seine Zukunft wie 1848, aber wissenschaft¬
licher und erfahrungsreicher als damals ist. Da sehen wir sie wieder, diese
verhaßten Ideen, für die man so viele Republikaner erschossen und in die
Verbannung geschleppt hat! Just nach einer Generation, nach zwanzig Jahren
kehren sie wieder mit derselben Zähigkeit, um den erschrockenen Leuten
der Ordnung vor Augen zu treten, dieser lügenhaften Ordnung, welche nur
durch den Weihwedel eines gemietheten Priesters geheiligt und durch den
Säbel des volksverhaßten Soldaten aufrecht erhalten wird."

Die Negierung Napoleons des Dritten wußte jene gefährlichen Elemente
theils durch ihre wachsame und energische Polizei zu beschränken, theils durch
eine eigenthümliche, vielfach nur scheinbare Fürsorge für das Proletariat zu
versöhnen. Sie hat durch Entwickelung der materiellen Interessen des Landes
die Arbeiterbevölkerung Frankreichs im Allgemeinen in eine bessere Lage ver¬
setzt. Sie hat aber auch durch ihre großen Bauunternehmungen in Paris
Hunderttausende von Arbeitern nach der Hauptstadt gezogen, in denen, nach¬
dem diese Bauten vollendet waren, die Lehren der kommunistischen und socia¬
listischen Propheten in demselben Maße wieder einen empfänglichen Boden
fanden, in welchem der Verdienst zu stocken und die Noth sich fühlbar zu
wachen begann.

Dazu kam aber noch eine andere Seite des Kaisertums. Dasselbe war
von der Partei der Ordnung als Heilmittel und Präservativ gegen das in
Rede stehende Uebel angenommen und eine Zeitlang unterstützt worden. Aber
es scheint, es wird wenigstens von zahlreichen Stimmen in Frankreich behauptet,
daß dieses selbe Kaiserthum, wenn es auch gelegentlich gegen die geheimen
Gesellschaften einschritt, dieselben nach politischen Grundsätzen, die man aller¬
dings nie eingestand, im Allgemeinen gewähren ließ, da ihre Bestrebungen sich
auch gegen die verschiedenen Nuancen des Liberalismus kehrten und dieselben
schwachem. Noch gewisser aber ist, daß der napoleonische Absolutismus durch
seine ganze Natur das Forlwuchern und Wiedererstarken der Parteien, aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/111>, abgerufen am 24.07.2024.