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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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denen die Commune hervorging, indirect begünstigte. Wiederholt wurden
Männer zu Lehrämtern zugelassen, welche sich ganz offen zu materialistischen
Ueberzeugungen bekannt hatten, und so trug die Regierung bei, das religiöse
Gefühl im Volke zu schwächen, ohne welches Ergebung in das dem Einzelnen
beschiedene Loos unbegreiflich und unmöglich wird. Der Luxus und der Cultus
der materiellen Genüsse, der mit dem Kaiserreich den Gipfel des Ungeheuer¬
lichen erreichte, die Deal-Monde-Gesellschaft, welche es erzeugte und nährte,
untergruben in immer weiteren Kreisen alle Sitte und allen Halt unter den
besitzenden Classen, und die durch Schwindel im riesigsten Maßstab colossal
reich gewordenen Günstlinge dieses Regimes mußten naturgemäß den Neid derer
erwecken und zum heißen Haß steigern, welche mit allem ehrlichen Schweiß
kaum das tägliche Brot für sich und die Ihrigen erwarben. Vor allem aber
mußte auf die Berderbniß des Volkes die Frivolität der Presse von Paris
wirken, welcher unter dem Kaiserreich gestattet war, alles Heilige und Er¬
habene mit ihren Sarcasmen zu überschütten, die Tugend, die menschliche
Würde, die Religion, die guten Sitten, das Dasein Gottes und die Unsterb¬
lichkeit der Seele täglich aufs Neue lächerlich zu machen und in den Staub
zu ziehen, wenn sie sich nur in Acht nahm, Cäsar und seine Politik anzu¬
greifen.

Endlich mag noch der Mißgriff erwähnt werden, der 1864 mit der Auf¬
hebung der gesetzlichen Bestimmungen begangen wurde, welche bis dahin gegen
die Coalitionen bestanden hatten. Gewiß läßt sich für die Maßregel man¬
cherlei sagen, und wir sind weit entfernt davon, die Coalitionsfreiheit im All¬
gemeinen anzuklagen. Aber es läßt sich doch die Frage aufwerfen, ob das
Gesetz von 1864 nicht den Arbeitern die Erlaubniß gegeben hat, wirkliche po¬
litische Körperschaften zu bilden, die sich zu dem Zwecke, Lohnerhöhungen zu
erzwingen, zusammenthaten. Es läßt sich ferner fragen, ob jenes Gesetz nicht
die Strikes begünstigt hat, die in den letzten Jahren des Kaiserreiches so häu¬
fig und mit so erschreckender Gewaltsamkeit auftraten. Und es wird schlie߬
lich erlaubt sein, anzudeuten, daß diese Arbeitseinstellungen, hinter denen einige
Male hochstehende Persönlichkeiten, Räthe und Freunde des Kaisers, gestanden
haben und die Dirigenten gewesen sein sollen, die Schule gewesen sind, wo die
Arbeiter im Umsturz der Gesellschaft die Verbesserung ihrer Zustände sehen
lernten, die sie von der ausdauernden Thätigkeit des Einzelnen nicht er¬
warten konnten.

Wir kommen jetzt zu der wichtigsten der geheimen oder sagen wir, der in
ihrem innersten Programm und in ihren obersten Leitern bis auf die letzte
Zeit geheim gebliebenen Gesellschaften, in denen der Communismus sich fort¬
pflanzte und sich zu neuem Losbrechen bei der ersten Erfolg versprechenden Ge¬
legenheit vorbereitete. Als die revolutionäre Gährung des Jahres 1848 auf den


denen die Commune hervorging, indirect begünstigte. Wiederholt wurden
Männer zu Lehrämtern zugelassen, welche sich ganz offen zu materialistischen
Ueberzeugungen bekannt hatten, und so trug die Regierung bei, das religiöse
Gefühl im Volke zu schwächen, ohne welches Ergebung in das dem Einzelnen
beschiedene Loos unbegreiflich und unmöglich wird. Der Luxus und der Cultus
der materiellen Genüsse, der mit dem Kaiserreich den Gipfel des Ungeheuer¬
lichen erreichte, die Deal-Monde-Gesellschaft, welche es erzeugte und nährte,
untergruben in immer weiteren Kreisen alle Sitte und allen Halt unter den
besitzenden Classen, und die durch Schwindel im riesigsten Maßstab colossal
reich gewordenen Günstlinge dieses Regimes mußten naturgemäß den Neid derer
erwecken und zum heißen Haß steigern, welche mit allem ehrlichen Schweiß
kaum das tägliche Brot für sich und die Ihrigen erwarben. Vor allem aber
mußte auf die Berderbniß des Volkes die Frivolität der Presse von Paris
wirken, welcher unter dem Kaiserreich gestattet war, alles Heilige und Er¬
habene mit ihren Sarcasmen zu überschütten, die Tugend, die menschliche
Würde, die Religion, die guten Sitten, das Dasein Gottes und die Unsterb¬
lichkeit der Seele täglich aufs Neue lächerlich zu machen und in den Staub
zu ziehen, wenn sie sich nur in Acht nahm, Cäsar und seine Politik anzu¬
greifen.

Endlich mag noch der Mißgriff erwähnt werden, der 1864 mit der Auf¬
hebung der gesetzlichen Bestimmungen begangen wurde, welche bis dahin gegen
die Coalitionen bestanden hatten. Gewiß läßt sich für die Maßregel man¬
cherlei sagen, und wir sind weit entfernt davon, die Coalitionsfreiheit im All¬
gemeinen anzuklagen. Aber es läßt sich doch die Frage aufwerfen, ob das
Gesetz von 1864 nicht den Arbeitern die Erlaubniß gegeben hat, wirkliche po¬
litische Körperschaften zu bilden, die sich zu dem Zwecke, Lohnerhöhungen zu
erzwingen, zusammenthaten. Es läßt sich ferner fragen, ob jenes Gesetz nicht
die Strikes begünstigt hat, die in den letzten Jahren des Kaiserreiches so häu¬
fig und mit so erschreckender Gewaltsamkeit auftraten. Und es wird schlie߬
lich erlaubt sein, anzudeuten, daß diese Arbeitseinstellungen, hinter denen einige
Male hochstehende Persönlichkeiten, Räthe und Freunde des Kaisers, gestanden
haben und die Dirigenten gewesen sein sollen, die Schule gewesen sind, wo die
Arbeiter im Umsturz der Gesellschaft die Verbesserung ihrer Zustände sehen
lernten, die sie von der ausdauernden Thätigkeit des Einzelnen nicht er¬
warten konnten.

Wir kommen jetzt zu der wichtigsten der geheimen oder sagen wir, der in
ihrem innersten Programm und in ihren obersten Leitern bis auf die letzte
Zeit geheim gebliebenen Gesellschaften, in denen der Communismus sich fort¬
pflanzte und sich zu neuem Losbrechen bei der ersten Erfolg versprechenden Ge¬
legenheit vorbereitete. Als die revolutionäre Gährung des Jahres 1848 auf den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/112>, abgerufen am 24.07.2024.