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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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das System der Gütergemeinschaft erst für die durch Erziehung nach kommu¬
nistischen Grundregeln darauf vorbereitete Welt verbindlich sein dürfe. Ueber-
dieß müsse der socialen Neugestaltung eine parlamentarische Reform und
eine Abänderung der Wahlgesetze vorausgehen und selbst im Fall einer po¬
pulären Reform oder Revolution eine Art Uebergangsstaatsrecht eingeführt
werden, mit Anerkennung des Princips der Gleichheit und mit der Tendenz
einer stetigen stufenweisen Veränderung der Ungleichheiten des Eigenthums¬
rechts durch Beseitigung der testamentarischer und eollateralen Erbfolge, durch
Progressivsteuern, durch Einrichtung von Associationen und theilweisen Güter¬
gemeinschaften, durch Organisation der Arbeit, bessre Ordnung der Lohnver-
hältnisse und gemeinsame freie Erziehung.

Von Frankreich aus verzweigte sich der Communismus in seinen ver¬
schiedenen Gestalten zunächst in die belgischen und spanischen Fabrikstädte.
Auch blieb er nicht ohne Einfluß auf die Entwickelung der Ansichten und
Bestrebungen der arbeitenden Klassen und ihrer Führer in England, obwohl
das dortige Proletariat auf einem andern geschichtlichen Boden stand und
deshalb zum Theil auf andere Wege gewiesen war als das festländische. So¬
dann fand schon geraume Zeit vor der Revolution von 1848 die communi-
stischen Lehre im Elsaß und in den Manufacturgegenden der Schweiz, hier
vorzüglich unter den deutschen Handwerksburschen, einigen Anhang. Auch ließen
schon in den ersten vierziger Jahren in Deutschland selbst entdeckte und
zum Gegenstand der Untersuchung gewordene geheime Verbindungen entschie¬
den communistische Anklänge gewahren, und der Schneider Weitling versuchte
derartige Velleitäten mit seinem Buche "Garantie der Harmonie und der
Freiheit!" wohl oder übel in eine Art System zu bringen.

Der Straßenkampf, mit welchem Frankreich 1848 eine neue Phase seiner
nun fast neunzigjährigen Revolutionsperiode begann, schien bereits mit Gui-
Zvts Entlassung und dem Zugeständniß der Wahlreform für die aus der
Bourgeoisie hervorgegangene, nur diese vertretende Opposition in den Kam¬
mern und den Hauptorganen der Presse entschieden- Nun hatten aber
der Agitation für diesen Zweck auch die andern oppositionellen Par¬
tien Frankreichs mit jener gemeinschaftliche Sache gemacht, und da für diese
Parteien, die Republikaner, die Socialisten und Communisten die Reform nur
e>ne vorläufige Errungenschaft, eine erste Stufe für ihre Bestrebungen, eine
Dperationsbasis für die Erreichung ihrer eigentlichen Ziele, ein nothwen¬
diger Durchgangspunkt zu völliger Umgestaltung des Staats und der bür¬
gerlichen Gesellschaft war, so entbrannte der Kampf unverzüglich von Neuem,
es den Anschein hatte, als sollte hiermit der Bewegung Halt geboten sein.

So erfocht das bewaffnete Proletariat neben den blauen Republikanern
des Mittelstandes gegen den Wunsch und Willen des liberalen Bürgerthums


das System der Gütergemeinschaft erst für die durch Erziehung nach kommu¬
nistischen Grundregeln darauf vorbereitete Welt verbindlich sein dürfe. Ueber-
dieß müsse der socialen Neugestaltung eine parlamentarische Reform und
eine Abänderung der Wahlgesetze vorausgehen und selbst im Fall einer po¬
pulären Reform oder Revolution eine Art Uebergangsstaatsrecht eingeführt
werden, mit Anerkennung des Princips der Gleichheit und mit der Tendenz
einer stetigen stufenweisen Veränderung der Ungleichheiten des Eigenthums¬
rechts durch Beseitigung der testamentarischer und eollateralen Erbfolge, durch
Progressivsteuern, durch Einrichtung von Associationen und theilweisen Güter¬
gemeinschaften, durch Organisation der Arbeit, bessre Ordnung der Lohnver-
hältnisse und gemeinsame freie Erziehung.

Von Frankreich aus verzweigte sich der Communismus in seinen ver¬
schiedenen Gestalten zunächst in die belgischen und spanischen Fabrikstädte.
Auch blieb er nicht ohne Einfluß auf die Entwickelung der Ansichten und
Bestrebungen der arbeitenden Klassen und ihrer Führer in England, obwohl
das dortige Proletariat auf einem andern geschichtlichen Boden stand und
deshalb zum Theil auf andere Wege gewiesen war als das festländische. So¬
dann fand schon geraume Zeit vor der Revolution von 1848 die communi-
stischen Lehre im Elsaß und in den Manufacturgegenden der Schweiz, hier
vorzüglich unter den deutschen Handwerksburschen, einigen Anhang. Auch ließen
schon in den ersten vierziger Jahren in Deutschland selbst entdeckte und
zum Gegenstand der Untersuchung gewordene geheime Verbindungen entschie¬
den communistische Anklänge gewahren, und der Schneider Weitling versuchte
derartige Velleitäten mit seinem Buche „Garantie der Harmonie und der
Freiheit!" wohl oder übel in eine Art System zu bringen.

Der Straßenkampf, mit welchem Frankreich 1848 eine neue Phase seiner
nun fast neunzigjährigen Revolutionsperiode begann, schien bereits mit Gui-
Zvts Entlassung und dem Zugeständniß der Wahlreform für die aus der
Bourgeoisie hervorgegangene, nur diese vertretende Opposition in den Kam¬
mern und den Hauptorganen der Presse entschieden- Nun hatten aber
der Agitation für diesen Zweck auch die andern oppositionellen Par¬
tien Frankreichs mit jener gemeinschaftliche Sache gemacht, und da für diese
Parteien, die Republikaner, die Socialisten und Communisten die Reform nur
e>ne vorläufige Errungenschaft, eine erste Stufe für ihre Bestrebungen, eine
Dperationsbasis für die Erreichung ihrer eigentlichen Ziele, ein nothwen¬
diger Durchgangspunkt zu völliger Umgestaltung des Staats und der bür¬
gerlichen Gesellschaft war, so entbrannte der Kampf unverzüglich von Neuem,
es den Anschein hatte, als sollte hiermit der Bewegung Halt geboten sein.

So erfocht das bewaffnete Proletariat neben den blauen Republikanern
des Mittelstandes gegen den Wunsch und Willen des liberalen Bürgerthums


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/109>, abgerufen am 24.07.2024.