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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Menschen geben, vielmehr sind dieselben durchaus als gleich zu betrachten und
zu behandeln. Der Materialismus ist das unveränderliche und unverbrüch¬
liche Gesetz der Natur. Die einzelne Familie ist aufzuheben, weil sie die
Neigung zersplittert und die Harmonie der brüderlichen Liebe stört, desgleichen
ist der Ehe ein Ende zu machen, da sie "das freigeschaffne Fleisch als persön¬
liches Eigenthum hinstellt (Nachklang saint-simonistischer Lehre) und dadurch
das Glück der Gütergemeinschaft, welches keinerlei Art des Eigenthums an-
erkennt, unmöglich macht." Die schönen Künste sind "nur als Erholung von
der Arbeit zulässig." Der Luxus und die Städte, letztere als Mittelpunkte
der Beherrschung und Bestechung, sind zu vernichten. Jedwede Gemeinde
soll in Bezug auf die gewerbliche Thätigkeit eine besondere Aufgabe haben.

Man sieht, die Egalitaires und die Anhänger Babeufs waren Zweige
aus einer Wurzel, sie waren der ausgeprägte Communismus. Der Unterschied
zwischen beiden bestand lediglich in Nebendingen, namentlich darin, daß in
dem Katechismus Babeufs die Landwirthschaft, im Programm der Egalitaires
die Industrie, die in den letzten dreißiger Jahren durch Anwendung der
Dampfkraft größere Bedeutung gewonnen hatte, als Basis! der Arbeit be¬
trachtet wird, daß hier der Gedanke einer Organisation der Arbeit, wenn auch
noch sehr unbestimmt, aufdämmert, und daß hier auch Ehe und Familie ver¬
worfen werden, welche bei den Babeufisten noch als Quellen des Glücks galten.
Der Bruch mit diesen widerstand begreiflicherweise aber selbst einem großen
Theile der "Proletarier" (diese Bezeichnung der besitzlosen Arbeiter ist eine Er¬
findung von Lamennais), und es erzeugte sich vorzüglich hieraus die Partei
der "Reformisten," an deren Spitze der Arbeiter Albert stand, welcher später
nach der Februarrevolution Mitglied der Provisorischen Negierung war. Der
Charakter dieser gemäßigten Communisten war eine gewisse Unentschiedenheit;
doch erkannten auch sie in der Ungleichheit der Vermögensverhältnisse eine
fortdauernde Ursache der Herabwürdigung der Menschheit, welcher die bloße
Gleichheit der politischen Rechte nicht abhelfen könne, sondern allein "die Ge¬
meinsamkeit der Arbeit und eine weise Vertheilung der gemeinschaftlichen Er¬
eignisse und die allen gemeinsame Erziehung."

In diese schwankende, gährende. unklare Masse griff nun Caber mit
einer bestimmter ausgeprägten kommunistischen Lehre ein, zunächst in seinem
zweibändigen Werke "Vo^^M 6n lemie," dann in zahlreichen Flugschriften,
und so bildete sich im französischen Proletariat eine dritte, bald sehr viele
Anhänger zählende Secte heraus, die der Communisten im engern Sinne oder,
*vie sie sich selbst bezeichneten, der "icar löcher Communisten." Ihre
Propaganda bestand in den sogenannten "cours in-ariens," abendlichen Zu¬
sammenkünften von etwa zwanzig Arbeitern für Vorlesung und Besprechung.
Diese Clubs standen mit einander im Verkehr und breiteten sich rasch über alle


Menschen geben, vielmehr sind dieselben durchaus als gleich zu betrachten und
zu behandeln. Der Materialismus ist das unveränderliche und unverbrüch¬
liche Gesetz der Natur. Die einzelne Familie ist aufzuheben, weil sie die
Neigung zersplittert und die Harmonie der brüderlichen Liebe stört, desgleichen
ist der Ehe ein Ende zu machen, da sie „das freigeschaffne Fleisch als persön¬
liches Eigenthum hinstellt (Nachklang saint-simonistischer Lehre) und dadurch
das Glück der Gütergemeinschaft, welches keinerlei Art des Eigenthums an-
erkennt, unmöglich macht." Die schönen Künste sind „nur als Erholung von
der Arbeit zulässig." Der Luxus und die Städte, letztere als Mittelpunkte
der Beherrschung und Bestechung, sind zu vernichten. Jedwede Gemeinde
soll in Bezug auf die gewerbliche Thätigkeit eine besondere Aufgabe haben.

Man sieht, die Egalitaires und die Anhänger Babeufs waren Zweige
aus einer Wurzel, sie waren der ausgeprägte Communismus. Der Unterschied
zwischen beiden bestand lediglich in Nebendingen, namentlich darin, daß in
dem Katechismus Babeufs die Landwirthschaft, im Programm der Egalitaires
die Industrie, die in den letzten dreißiger Jahren durch Anwendung der
Dampfkraft größere Bedeutung gewonnen hatte, als Basis! der Arbeit be¬
trachtet wird, daß hier der Gedanke einer Organisation der Arbeit, wenn auch
noch sehr unbestimmt, aufdämmert, und daß hier auch Ehe und Familie ver¬
worfen werden, welche bei den Babeufisten noch als Quellen des Glücks galten.
Der Bruch mit diesen widerstand begreiflicherweise aber selbst einem großen
Theile der „Proletarier" (diese Bezeichnung der besitzlosen Arbeiter ist eine Er¬
findung von Lamennais), und es erzeugte sich vorzüglich hieraus die Partei
der „Reformisten," an deren Spitze der Arbeiter Albert stand, welcher später
nach der Februarrevolution Mitglied der Provisorischen Negierung war. Der
Charakter dieser gemäßigten Communisten war eine gewisse Unentschiedenheit;
doch erkannten auch sie in der Ungleichheit der Vermögensverhältnisse eine
fortdauernde Ursache der Herabwürdigung der Menschheit, welcher die bloße
Gleichheit der politischen Rechte nicht abhelfen könne, sondern allein „die Ge¬
meinsamkeit der Arbeit und eine weise Vertheilung der gemeinschaftlichen Er¬
eignisse und die allen gemeinsame Erziehung."

In diese schwankende, gährende. unklare Masse griff nun Caber mit
einer bestimmter ausgeprägten kommunistischen Lehre ein, zunächst in seinem
zweibändigen Werke „Vo^^M 6n lemie," dann in zahlreichen Flugschriften,
und so bildete sich im französischen Proletariat eine dritte, bald sehr viele
Anhänger zählende Secte heraus, die der Communisten im engern Sinne oder,
*vie sie sich selbst bezeichneten, der „icar löcher Communisten." Ihre
Propaganda bestand in den sogenannten „cours in-ariens," abendlichen Zu¬
sammenkünften von etwa zwanzig Arbeitern für Vorlesung und Besprechung.
Diese Clubs standen mit einander im Verkehr und breiteten sich rasch über alle


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[0107] Menschen geben, vielmehr sind dieselben durchaus als gleich zu betrachten und zu behandeln. Der Materialismus ist das unveränderliche und unverbrüch¬ liche Gesetz der Natur. Die einzelne Familie ist aufzuheben, weil sie die Neigung zersplittert und die Harmonie der brüderlichen Liebe stört, desgleichen ist der Ehe ein Ende zu machen, da sie „das freigeschaffne Fleisch als persön¬ liches Eigenthum hinstellt (Nachklang saint-simonistischer Lehre) und dadurch das Glück der Gütergemeinschaft, welches keinerlei Art des Eigenthums an- erkennt, unmöglich macht." Die schönen Künste sind „nur als Erholung von der Arbeit zulässig." Der Luxus und die Städte, letztere als Mittelpunkte der Beherrschung und Bestechung, sind zu vernichten. Jedwede Gemeinde soll in Bezug auf die gewerbliche Thätigkeit eine besondere Aufgabe haben. Man sieht, die Egalitaires und die Anhänger Babeufs waren Zweige aus einer Wurzel, sie waren der ausgeprägte Communismus. Der Unterschied zwischen beiden bestand lediglich in Nebendingen, namentlich darin, daß in dem Katechismus Babeufs die Landwirthschaft, im Programm der Egalitaires die Industrie, die in den letzten dreißiger Jahren durch Anwendung der Dampfkraft größere Bedeutung gewonnen hatte, als Basis! der Arbeit be¬ trachtet wird, daß hier der Gedanke einer Organisation der Arbeit, wenn auch noch sehr unbestimmt, aufdämmert, und daß hier auch Ehe und Familie ver¬ worfen werden, welche bei den Babeufisten noch als Quellen des Glücks galten. Der Bruch mit diesen widerstand begreiflicherweise aber selbst einem großen Theile der „Proletarier" (diese Bezeichnung der besitzlosen Arbeiter ist eine Er¬ findung von Lamennais), und es erzeugte sich vorzüglich hieraus die Partei der „Reformisten," an deren Spitze der Arbeiter Albert stand, welcher später nach der Februarrevolution Mitglied der Provisorischen Negierung war. Der Charakter dieser gemäßigten Communisten war eine gewisse Unentschiedenheit; doch erkannten auch sie in der Ungleichheit der Vermögensverhältnisse eine fortdauernde Ursache der Herabwürdigung der Menschheit, welcher die bloße Gleichheit der politischen Rechte nicht abhelfen könne, sondern allein „die Ge¬ meinsamkeit der Arbeit und eine weise Vertheilung der gemeinschaftlichen Er¬ eignisse und die allen gemeinsame Erziehung." In diese schwankende, gährende. unklare Masse griff nun Caber mit einer bestimmter ausgeprägten kommunistischen Lehre ein, zunächst in seinem zweibändigen Werke „Vo^^M 6n lemie," dann in zahlreichen Flugschriften, und so bildete sich im französischen Proletariat eine dritte, bald sehr viele Anhänger zählende Secte heraus, die der Communisten im engern Sinne oder, *vie sie sich selbst bezeichneten, der „icar löcher Communisten." Ihre Propaganda bestand in den sogenannten „cours in-ariens," abendlichen Zu¬ sammenkünften von etwa zwanzig Arbeitern für Vorlesung und Besprechung. Diese Clubs standen mit einander im Verkehr und breiteten sich rasch über alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/107>, abgerufen am 24.07.2024.