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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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desselben treffen Stadt und Land. ohne den Adel in seinen Burgen erheblich
zu erreichen. Das im dreißigjährigen Kriege entwickelte Contributionensystem
wird zur Erhaltung der gegen Ende des 17. Jahrhunderts aufkommenden
stehenden Söldnerheere dauernd, ergreift aber nur die Städte und den ohne¬
hin zinspflichtigen Bauernstand, während der Adel sich auch hier seine Exem-
tion bewahrt. Das Resultat ist also: daß der Bauer eine doppelte Last zu
tragen hat, während der Adel ganz davon befreit ist, und sich noch obenein
seine früheren Vorrechte conservirt. *)

Diesem Widerspruch der bestehenden Verhältnisse gibt Goethe mit plasti¬
scher Objectivität einen Ausdruck in der prägnantesten Form: "Ich kann mich
nicht sowohl über den Besitz freuen," läßt er Lothario sagen, "als über die
Rechtmäßigkeit desselben."

Nun beim Himmel! rief Werner, wird denn dieser unser Besitz nicht
rechtmäßig genug?

Nicht ganz! versetzte Lothario.

Geben wir denn nicht unser baares Geld dafür?

Recht gut! sagte Lothario; auch werden Sie dasjenige, was ich zu er¬
innern habe, vielleicht für einen leeren Scrupel halten. Mir kommt kein
Besitz ganz rechtmäßig, ganz rein vor, als der dem Staate seinen schuldigen
Theil abträgt.

Wie? sagte Werner, so wollten Sie also lieber, daß unsre frei gekauften
Güter steuerbar wären?

Ja, versetzte Lothario, bis auf einen gewissen Grad; denn durch diese
Gleichheit mit allen übrigen Besitzungen entsteht ganz allein die Sicherheit
des Besitzes. Was hat der Bauer in den neueren Zeiten, wo so viele Be¬
griffe schwankend werden, für einen Hauptanlaß, den Besitz des Edelmanns
für weniger begründet anzusehen, als den seinigen? Nur den, daß jener
nicht belastet ist und auf ihn lastet.

Wie wird es aber mit den Zinsen unsres Capitals aussehen?

Um nichts schlimmer, sagte Lothario, wenn uns der Staat gegen eine
billige, regelmäßige Abgabe das Lehrs-Hokus-Pokus erlassen, und uns mit
unsern Gütern nach Belieben zu schalten erlauben wollte, daß wir sie nicht
in so großen Massen zusammenhalten müßten, daß wir sie unter unsre Kin¬
der gleicher vertheilen könnten, um alle in eine lebhafte, freie Thätigkeit zu
versetzen, statt ihnen nur die beschränkten und beschränkenden Vorrechte zu hinter¬
lassen, welche zu genießen wir immer die Geister unsrer Vorfahren hervor¬
rufen müssen.

Ist es nicht die Opposition unsrer Tage gegen das ins ex pg,co "t



") Vergl. über die ganze Entwicklung: Stüve, Lasten des Grundeigenthums, S. 37 u. s. w.

desselben treffen Stadt und Land. ohne den Adel in seinen Burgen erheblich
zu erreichen. Das im dreißigjährigen Kriege entwickelte Contributionensystem
wird zur Erhaltung der gegen Ende des 17. Jahrhunderts aufkommenden
stehenden Söldnerheere dauernd, ergreift aber nur die Städte und den ohne¬
hin zinspflichtigen Bauernstand, während der Adel sich auch hier seine Exem-
tion bewahrt. Das Resultat ist also: daß der Bauer eine doppelte Last zu
tragen hat, während der Adel ganz davon befreit ist, und sich noch obenein
seine früheren Vorrechte conservirt. *)

Diesem Widerspruch der bestehenden Verhältnisse gibt Goethe mit plasti¬
scher Objectivität einen Ausdruck in der prägnantesten Form: „Ich kann mich
nicht sowohl über den Besitz freuen," läßt er Lothario sagen, „als über die
Rechtmäßigkeit desselben."

Nun beim Himmel! rief Werner, wird denn dieser unser Besitz nicht
rechtmäßig genug?

Nicht ganz! versetzte Lothario.

Geben wir denn nicht unser baares Geld dafür?

Recht gut! sagte Lothario; auch werden Sie dasjenige, was ich zu er¬
innern habe, vielleicht für einen leeren Scrupel halten. Mir kommt kein
Besitz ganz rechtmäßig, ganz rein vor, als der dem Staate seinen schuldigen
Theil abträgt.

Wie? sagte Werner, so wollten Sie also lieber, daß unsre frei gekauften
Güter steuerbar wären?

Ja, versetzte Lothario, bis auf einen gewissen Grad; denn durch diese
Gleichheit mit allen übrigen Besitzungen entsteht ganz allein die Sicherheit
des Besitzes. Was hat der Bauer in den neueren Zeiten, wo so viele Be¬
griffe schwankend werden, für einen Hauptanlaß, den Besitz des Edelmanns
für weniger begründet anzusehen, als den seinigen? Nur den, daß jener
nicht belastet ist und auf ihn lastet.

Wie wird es aber mit den Zinsen unsres Capitals aussehen?

Um nichts schlimmer, sagte Lothario, wenn uns der Staat gegen eine
billige, regelmäßige Abgabe das Lehrs-Hokus-Pokus erlassen, und uns mit
unsern Gütern nach Belieben zu schalten erlauben wollte, daß wir sie nicht
in so großen Massen zusammenhalten müßten, daß wir sie unter unsre Kin¬
der gleicher vertheilen könnten, um alle in eine lebhafte, freie Thätigkeit zu
versetzen, statt ihnen nur die beschränkten und beschränkenden Vorrechte zu hinter¬
lassen, welche zu genießen wir immer die Geister unsrer Vorfahren hervor¬
rufen müssen.

Ist es nicht die Opposition unsrer Tage gegen das ins ex pg,co «t



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[0102] desselben treffen Stadt und Land. ohne den Adel in seinen Burgen erheblich zu erreichen. Das im dreißigjährigen Kriege entwickelte Contributionensystem wird zur Erhaltung der gegen Ende des 17. Jahrhunderts aufkommenden stehenden Söldnerheere dauernd, ergreift aber nur die Städte und den ohne¬ hin zinspflichtigen Bauernstand, während der Adel sich auch hier seine Exem- tion bewahrt. Das Resultat ist also: daß der Bauer eine doppelte Last zu tragen hat, während der Adel ganz davon befreit ist, und sich noch obenein seine früheren Vorrechte conservirt. *) Diesem Widerspruch der bestehenden Verhältnisse gibt Goethe mit plasti¬ scher Objectivität einen Ausdruck in der prägnantesten Form: „Ich kann mich nicht sowohl über den Besitz freuen," läßt er Lothario sagen, „als über die Rechtmäßigkeit desselben." Nun beim Himmel! rief Werner, wird denn dieser unser Besitz nicht rechtmäßig genug? Nicht ganz! versetzte Lothario. Geben wir denn nicht unser baares Geld dafür? Recht gut! sagte Lothario; auch werden Sie dasjenige, was ich zu er¬ innern habe, vielleicht für einen leeren Scrupel halten. Mir kommt kein Besitz ganz rechtmäßig, ganz rein vor, als der dem Staate seinen schuldigen Theil abträgt. Wie? sagte Werner, so wollten Sie also lieber, daß unsre frei gekauften Güter steuerbar wären? Ja, versetzte Lothario, bis auf einen gewissen Grad; denn durch diese Gleichheit mit allen übrigen Besitzungen entsteht ganz allein die Sicherheit des Besitzes. Was hat der Bauer in den neueren Zeiten, wo so viele Be¬ griffe schwankend werden, für einen Hauptanlaß, den Besitz des Edelmanns für weniger begründet anzusehen, als den seinigen? Nur den, daß jener nicht belastet ist und auf ihn lastet. Wie wird es aber mit den Zinsen unsres Capitals aussehen? Um nichts schlimmer, sagte Lothario, wenn uns der Staat gegen eine billige, regelmäßige Abgabe das Lehrs-Hokus-Pokus erlassen, und uns mit unsern Gütern nach Belieben zu schalten erlauben wollte, daß wir sie nicht in so großen Massen zusammenhalten müßten, daß wir sie unter unsre Kin¬ der gleicher vertheilen könnten, um alle in eine lebhafte, freie Thätigkeit zu versetzen, statt ihnen nur die beschränkten und beschränkenden Vorrechte zu hinter¬ lassen, welche zu genießen wir immer die Geister unsrer Vorfahren hervor¬ rufen müssen. Ist es nicht die Opposition unsrer Tage gegen das ins ex pg,co «t ") Vergl. über die ganze Entwicklung: Stüve, Lasten des Grundeigenthums, S. 37 u. s. w.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/102>, abgerufen am 24.07.2024.