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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Willigkeit in Zeiten der Gefahr ist ein weiter Schritt bis zur.nachhaltigen
Theilnahme am Staatswesen, in der hingebenden Thätigkeit ruhiger Zeiten.
Thut nicht auch heute noch der größere Theil unserer Gesellschaft aus Ge¬
wohnheit oder Zwang, was nach Goethe ein Ausfluß der freien Ueberzeugung
sein soll? "Denn wie nur der ein guter Vater ist, der bei Tische erst seinen
Ki abern vorlegt, so ist der nur ein guter Bürger, der vor allen andern Aus¬
gaben das, was er dem Staate zu entrichten hat, zurücklegt."

Die Steuerfreiheit des Adels, die wir eben berührt, konnte natürlich nur
bei einer unverhältnißmäßigen Belastung der niederen Klassen bestehen. Die
Entstehung der bäuerlichen Lasten in ihrem historischen Verlauf ist bekannt
genug. Die Ungerechtigkeit, welche ein großer Theil derselben athmet, ist
darauf zurückzuführen, daß bei ihrer Entstehung der Zinsmann von dem
Gutsherrn auch wirklich eine Gegenleistung erhielt, während dieses Aequiva-
ler.t des Zinses im Laufe der staatlichen Entwicklung fortgefallen und nur
der Zins bestehen geblieben ist. Man muß als ein Resultat der fortgeschrit¬
tenen Arbeitstheilung ansehen, wenn der Staat unsrer Tage gegen Entrich¬
tung von Steuern für die Rechtssicherheit seiner Bürger sorgt. In Zeiten,
wo dies nicht der Fall ist, muß der Schutzbedürftige dem eine Abgabe ent¬
richten, welcher die Sorge für seinen Schutz übernimmt. Der Zinsmann,
der freie wie der hörige, mußte dem Gutsherrn, in dessen Vogtei (Advocatie)
er sich begeben, einen Zins zahlen, womit dieser die Lasten der Sicherheits¬
gewährung, insbesondere des Krieges bestritt. Der Zins hatte die privat¬
rechtliche Natur eines Pachtgeldes, war aber staatsrechtlich eine Steuer, und
litt von vorn herein an einer Jncongruenz, welche sich dadurch herausstellte,
daß die Höhe desselben nicht nach den Unkosten der Sicherheitsgewährung,
sondern nach der Größe des Pflichtigen Grundstücks bemessen wurde. Nun
hört der Kriegsdienst im 14. und 15. Jahrhundert auf, eine Verpflichtung
der im Lehnsbesitz befindlichen Grundbesitzer zu sein. Söldnerheere treten an
ihre Stelle. Die Kosten für ihren Unterhalt müssen beschafft werden. Man
greift zu Steuern, legt diese aber nicht den Grundherren auf, sondern
ihren Hintersassen; vergißt aber gleichzeitig die letzteren von ihren bisher ge¬
zählten Lasten zu befreien. Sie haben also jetzt neben den Leistungen, die
sie für mittelbare Gewährung des Schutzes an ihre Grundherren zu entrichten
hatten, noch Steuern für die directe Sichcrheitsbewahrung an den Staat auf
zubringen. Diejenigen aber, die früher für den erhobenen Zins wirklich etwas
leisteten, stellten die Leistung ihrerseits ein, ohne auf den Zins zu verzichten
und ohne auch nur für die ihnen vom Staat abgenommene Last an diesen
etwas zu zahlen. Dieses Mißverhältniß wird aber noch erhöht. Zu den'
Exemtionen, die sich im 18. und 16. Jahrhundert gebildet, tritt eine neue
im dreißigjährigen Kriege. Die vorübergehenden Contributionen im Laufe


Willigkeit in Zeiten der Gefahr ist ein weiter Schritt bis zur.nachhaltigen
Theilnahme am Staatswesen, in der hingebenden Thätigkeit ruhiger Zeiten.
Thut nicht auch heute noch der größere Theil unserer Gesellschaft aus Ge¬
wohnheit oder Zwang, was nach Goethe ein Ausfluß der freien Ueberzeugung
sein soll? „Denn wie nur der ein guter Vater ist, der bei Tische erst seinen
Ki abern vorlegt, so ist der nur ein guter Bürger, der vor allen andern Aus¬
gaben das, was er dem Staate zu entrichten hat, zurücklegt."

Die Steuerfreiheit des Adels, die wir eben berührt, konnte natürlich nur
bei einer unverhältnißmäßigen Belastung der niederen Klassen bestehen. Die
Entstehung der bäuerlichen Lasten in ihrem historischen Verlauf ist bekannt
genug. Die Ungerechtigkeit, welche ein großer Theil derselben athmet, ist
darauf zurückzuführen, daß bei ihrer Entstehung der Zinsmann von dem
Gutsherrn auch wirklich eine Gegenleistung erhielt, während dieses Aequiva-
ler.t des Zinses im Laufe der staatlichen Entwicklung fortgefallen und nur
der Zins bestehen geblieben ist. Man muß als ein Resultat der fortgeschrit¬
tenen Arbeitstheilung ansehen, wenn der Staat unsrer Tage gegen Entrich¬
tung von Steuern für die Rechtssicherheit seiner Bürger sorgt. In Zeiten,
wo dies nicht der Fall ist, muß der Schutzbedürftige dem eine Abgabe ent¬
richten, welcher die Sorge für seinen Schutz übernimmt. Der Zinsmann,
der freie wie der hörige, mußte dem Gutsherrn, in dessen Vogtei (Advocatie)
er sich begeben, einen Zins zahlen, womit dieser die Lasten der Sicherheits¬
gewährung, insbesondere des Krieges bestritt. Der Zins hatte die privat¬
rechtliche Natur eines Pachtgeldes, war aber staatsrechtlich eine Steuer, und
litt von vorn herein an einer Jncongruenz, welche sich dadurch herausstellte,
daß die Höhe desselben nicht nach den Unkosten der Sicherheitsgewährung,
sondern nach der Größe des Pflichtigen Grundstücks bemessen wurde. Nun
hört der Kriegsdienst im 14. und 15. Jahrhundert auf, eine Verpflichtung
der im Lehnsbesitz befindlichen Grundbesitzer zu sein. Söldnerheere treten an
ihre Stelle. Die Kosten für ihren Unterhalt müssen beschafft werden. Man
greift zu Steuern, legt diese aber nicht den Grundherren auf, sondern
ihren Hintersassen; vergißt aber gleichzeitig die letzteren von ihren bisher ge¬
zählten Lasten zu befreien. Sie haben also jetzt neben den Leistungen, die
sie für mittelbare Gewährung des Schutzes an ihre Grundherren zu entrichten
hatten, noch Steuern für die directe Sichcrheitsbewahrung an den Staat auf
zubringen. Diejenigen aber, die früher für den erhobenen Zins wirklich etwas
leisteten, stellten die Leistung ihrerseits ein, ohne auf den Zins zu verzichten
und ohne auch nur für die ihnen vom Staat abgenommene Last an diesen
etwas zu zahlen. Dieses Mißverhältniß wird aber noch erhöht. Zu den'
Exemtionen, die sich im 18. und 16. Jahrhundert gebildet, tritt eine neue
im dreißigjährigen Kriege. Die vorübergehenden Contributionen im Laufe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/101>, abgerufen am 24.07.2024.