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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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zu lösen haben. Ob sie ein Recht dazu haben, sich die Ueberschüsse der indi¬
schen Verwaltung zuzueignen, ist mindestens noch eine sehr große Frage, so
lange nicht für alle billigen Bedürfnisse der Colonie genügend gesorgt ist.
Für die Entwickelung der Völker Indiens kann aber noch bedeutend mehr
gethan werden, und ebenfalls für ihr materielles Wohl. Muß nicht in In¬
dien ein Zustand angebahnt werden, der sich langsam unsern europäischen
Verhältnissen nähert? Wohl sagt man, daß solches unmöglich sei, weil un¬
sere Begriffe und Einrichtungen in Asien keine Wurzel schlagen könnten. Ist
unsere Civilisation aber nur sür uns, und nicht für andere Völkerstämme
passend, was mischen wir uns denn in ihre Angelegenheiten, in ihren Ent¬
wickelungsgang? Glauben wir, daß diese uns fremden Zustände in ihrem
eigenthümlichen Charakter besser gefördert werden, wenn wir uns damit be¬
fassen, als wenn sie sich selbst überlassen bleiben? Ist asiatische Cultur un¬
vereinbar mit der unsrigen, dann muß sie sich selbständig entwickeln, und
dann ist europäische Herrschaft in Asien verderblich für die dortigen Völker.
Bisher ist aber noch nicht im Geringsten der Beweis geliefert, daß Asiaten
nicht auch zu europäischer Bildung erzogen werden können, und somit fehlt
auch aller Grund, warum wir unsere Civilisation nicht nach Ostindien zu
verpflanzen trachten sollten. Sehr wohl möglich, ja wahrscheinlich erscheint,
daß in Indien sich Manches anders als in Europa gestalten wird; aber es
ist nicht einzusehen, warum die Grundlagen, worauf unsere Gesellschaft be¬
ruht, Christenthum. Humanität, Wissenschaft u. f. w., nicht auch unter den
Tropen Eingang finden sollten, möchten sie in der Wirklichkeit auch eine an¬
dere Form annehmen. -- Man verleugnet einfach den civilisatorischen Beruf,
den jeder Europäer in fremden Welttheilen, d. h. jedes Mitglied der weißen
Race, hat, so lange man behauptete: Europäische Ideen passen in Indien
nicht! Daß dieselben dort nur sehr langsam zur Geltung kommen können,
daß dabei nicht nach Jahren, sondern fast nach Jahrhunderten gerechnet
werden muß, ist unzweifelhaft, aber das letzte Ziel muß sein: Allgemeine
Verbreitung europäischer Bildung. Welches ist aber meist der Zweck des
Europäers, der sein Vaterland verläßt, um sich für kürzere oder längere Zeit
in den tropischen Ländern anzusiedeln? Mit Ausnahme Weniger -- worun¬
ter natürlich die Missionäre zu' rechnen sind -- will Jeder in kurzer Zeit
reich werden, um dann seine Schätze mit sich zurück in's Vaterland zu führen.
"Geldmacher" ist die Losung, und um etwas Anderes kümmert man sich nicht,
am allerwenigsten darum, sittlichen Einfluß auf die Eingeborenen auszuüben.
Daß diese dann keinen hohen Begriff von unserer Bildung erhalten und sich
nicht beeifern, etwas von derselben sich anzueignen, ist natürlich. Allerdings
wird sich Niemand den Folgen eines heißen Klima's aussetzen wollen, wenn
er nicht einen besondern Vortheil dadurch erhält, und es ist erklärlich, daß


zu lösen haben. Ob sie ein Recht dazu haben, sich die Ueberschüsse der indi¬
schen Verwaltung zuzueignen, ist mindestens noch eine sehr große Frage, so
lange nicht für alle billigen Bedürfnisse der Colonie genügend gesorgt ist.
Für die Entwickelung der Völker Indiens kann aber noch bedeutend mehr
gethan werden, und ebenfalls für ihr materielles Wohl. Muß nicht in In¬
dien ein Zustand angebahnt werden, der sich langsam unsern europäischen
Verhältnissen nähert? Wohl sagt man, daß solches unmöglich sei, weil un¬
sere Begriffe und Einrichtungen in Asien keine Wurzel schlagen könnten. Ist
unsere Civilisation aber nur sür uns, und nicht für andere Völkerstämme
passend, was mischen wir uns denn in ihre Angelegenheiten, in ihren Ent¬
wickelungsgang? Glauben wir, daß diese uns fremden Zustände in ihrem
eigenthümlichen Charakter besser gefördert werden, wenn wir uns damit be¬
fassen, als wenn sie sich selbst überlassen bleiben? Ist asiatische Cultur un¬
vereinbar mit der unsrigen, dann muß sie sich selbständig entwickeln, und
dann ist europäische Herrschaft in Asien verderblich für die dortigen Völker.
Bisher ist aber noch nicht im Geringsten der Beweis geliefert, daß Asiaten
nicht auch zu europäischer Bildung erzogen werden können, und somit fehlt
auch aller Grund, warum wir unsere Civilisation nicht nach Ostindien zu
verpflanzen trachten sollten. Sehr wohl möglich, ja wahrscheinlich erscheint,
daß in Indien sich Manches anders als in Europa gestalten wird; aber es
ist nicht einzusehen, warum die Grundlagen, worauf unsere Gesellschaft be¬
ruht, Christenthum. Humanität, Wissenschaft u. f. w., nicht auch unter den
Tropen Eingang finden sollten, möchten sie in der Wirklichkeit auch eine an¬
dere Form annehmen. — Man verleugnet einfach den civilisatorischen Beruf,
den jeder Europäer in fremden Welttheilen, d. h. jedes Mitglied der weißen
Race, hat, so lange man behauptete: Europäische Ideen passen in Indien
nicht! Daß dieselben dort nur sehr langsam zur Geltung kommen können,
daß dabei nicht nach Jahren, sondern fast nach Jahrhunderten gerechnet
werden muß, ist unzweifelhaft, aber das letzte Ziel muß sein: Allgemeine
Verbreitung europäischer Bildung. Welches ist aber meist der Zweck des
Europäers, der sein Vaterland verläßt, um sich für kürzere oder längere Zeit
in den tropischen Ländern anzusiedeln? Mit Ausnahme Weniger — worun¬
ter natürlich die Missionäre zu' rechnen sind — will Jeder in kurzer Zeit
reich werden, um dann seine Schätze mit sich zurück in's Vaterland zu führen.
„Geldmacher" ist die Losung, und um etwas Anderes kümmert man sich nicht,
am allerwenigsten darum, sittlichen Einfluß auf die Eingeborenen auszuüben.
Daß diese dann keinen hohen Begriff von unserer Bildung erhalten und sich
nicht beeifern, etwas von derselben sich anzueignen, ist natürlich. Allerdings
wird sich Niemand den Folgen eines heißen Klima's aussetzen wollen, wenn
er nicht einen besondern Vortheil dadurch erhält, und es ist erklärlich, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/508>, abgerufen am 29.09.2024.