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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Andere Motive wurden für die Erhaltung der Niederlassung angeführt,
die sich hauptsächlich darauf gründeten, daß dem Ansehen des niederländischen
Staates schade, wenn er die Colonie verlasse. Von diesem Standpunkte aus
darf aber die Angelegenheit nicht betrachtet werden, sondern nur von dem
der Humanität und der Moral. Erfreulich ist darum, daß derartige Gründe
sehr wenig Beachtung gefunden haben, und wiewohl zu erwarten steht, daß
mancher Abgeordnete dieselben in der Kammer wird zur Geltung bringen
wollen, so werden sie doch sehr wenig Einfluß ausüben. -- Bei der Ab¬
tretung wird das Wohl der inländischen Bevölkerung in die Hände Englands
gelegt, und ist kein Grund zu finden, weßhalb es sich darin schlechter befin¬
den sollte, als in niederländischen. Die Colonie erleidet somit keinen Schaden,
dem bisherigen Mutterlande erwächst ein Vortheil und die neuen Herrscher
werden wahrscheinlich im Stande sein, ebenfalls Vortheile zu erzielen.

Von mehr allgemeinem Interesse bei dieser Angelegenheit ist, daß damit
gewissermaßen ein Wendepunkt in der niederländischen Colonialpolitik eintritt.
Bisher wuchs der Kolonialbesitz fortwährend an Ausdehnung; setzt kommt die
Erkenntniß, daß man über seine Kräfte hinausgegangen ist. Zudem hat
auch in den letzten Jahren der denkende Theil der Nation sich sehr viel mit
den Zuständen der Colonien beschäftigt, was früher nur fehr wenig der Fall
war. Holland und England sind die tonangebenden Colonialmächte, und
beide haben in Ostindien sehr schwierige Fragen zu lösen. Die Hauptsache:
die Rechte und Pflichten der herrschenden Europäer gegenüber den Inländern, ist
bisher durchaus noch nicht gründlich behandelt worden. In der Praxis haben sich
zwar verschiedene Begriffe gebildet, die aber sehr unbestimmt und ungenügend sind.
Der Besitz der großen Ländermassen in Indien war früher in den Händen
der englischen und holländischen ostindischen Compagnien, die als Handels¬
gesellschaften nur auf den größtmöglichen Gewinn bedacht waren. Seitdem
England die Verwaltung Indiens direct von Staatswegen leitet, hat es auf
jeden unmittelbaren Vortheil, den es möglicherweise aus dieser Verwaltung
hätte ziehen können, verzichtet. Anders in Holland, wo der Staat die großen
Ueberschüsse der Colonialverwaltung in seine eigne Kasse fließen läßt. Der
Staat trat an die Stelle der Erploitationsgesellschaft und somit in ein nach
unsern modernen Begriffen falsches Verhältniß. Zudem stehen die finanziellen
Bedürfnisse des Mutterlandes in erster Linie, worunter das Wohl der Co¬
lonie natürlicher Weise leiden muß. Die ganze Verwaltung der holländischen
Besitzungen in Ostindien ist in eine Richtung gekommen, die auf die Dauer
unhaltbar ist, aber nur sehr langsam in eine Aenderung gebracht werden
kann. Um eine solche zweckmäßig und erfolgreich auszuführen, müssen die
Niederländer erst principiell feststellen, welche Aufgabe sie in ihren Colonien


Andere Motive wurden für die Erhaltung der Niederlassung angeführt,
die sich hauptsächlich darauf gründeten, daß dem Ansehen des niederländischen
Staates schade, wenn er die Colonie verlasse. Von diesem Standpunkte aus
darf aber die Angelegenheit nicht betrachtet werden, sondern nur von dem
der Humanität und der Moral. Erfreulich ist darum, daß derartige Gründe
sehr wenig Beachtung gefunden haben, und wiewohl zu erwarten steht, daß
mancher Abgeordnete dieselben in der Kammer wird zur Geltung bringen
wollen, so werden sie doch sehr wenig Einfluß ausüben. — Bei der Ab¬
tretung wird das Wohl der inländischen Bevölkerung in die Hände Englands
gelegt, und ist kein Grund zu finden, weßhalb es sich darin schlechter befin¬
den sollte, als in niederländischen. Die Colonie erleidet somit keinen Schaden,
dem bisherigen Mutterlande erwächst ein Vortheil und die neuen Herrscher
werden wahrscheinlich im Stande sein, ebenfalls Vortheile zu erzielen.

Von mehr allgemeinem Interesse bei dieser Angelegenheit ist, daß damit
gewissermaßen ein Wendepunkt in der niederländischen Colonialpolitik eintritt.
Bisher wuchs der Kolonialbesitz fortwährend an Ausdehnung; setzt kommt die
Erkenntniß, daß man über seine Kräfte hinausgegangen ist. Zudem hat
auch in den letzten Jahren der denkende Theil der Nation sich sehr viel mit
den Zuständen der Colonien beschäftigt, was früher nur fehr wenig der Fall
war. Holland und England sind die tonangebenden Colonialmächte, und
beide haben in Ostindien sehr schwierige Fragen zu lösen. Die Hauptsache:
die Rechte und Pflichten der herrschenden Europäer gegenüber den Inländern, ist
bisher durchaus noch nicht gründlich behandelt worden. In der Praxis haben sich
zwar verschiedene Begriffe gebildet, die aber sehr unbestimmt und ungenügend sind.
Der Besitz der großen Ländermassen in Indien war früher in den Händen
der englischen und holländischen ostindischen Compagnien, die als Handels¬
gesellschaften nur auf den größtmöglichen Gewinn bedacht waren. Seitdem
England die Verwaltung Indiens direct von Staatswegen leitet, hat es auf
jeden unmittelbaren Vortheil, den es möglicherweise aus dieser Verwaltung
hätte ziehen können, verzichtet. Anders in Holland, wo der Staat die großen
Ueberschüsse der Colonialverwaltung in seine eigne Kasse fließen läßt. Der
Staat trat an die Stelle der Erploitationsgesellschaft und somit in ein nach
unsern modernen Begriffen falsches Verhältniß. Zudem stehen die finanziellen
Bedürfnisse des Mutterlandes in erster Linie, worunter das Wohl der Co¬
lonie natürlicher Weise leiden muß. Die ganze Verwaltung der holländischen
Besitzungen in Ostindien ist in eine Richtung gekommen, die auf die Dauer
unhaltbar ist, aber nur sehr langsam in eine Aenderung gebracht werden
kann. Um eine solche zweckmäßig und erfolgreich auszuführen, müssen die
Niederländer erst principiell feststellen, welche Aufgabe sie in ihren Colonien


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[0507] Andere Motive wurden für die Erhaltung der Niederlassung angeführt, die sich hauptsächlich darauf gründeten, daß dem Ansehen des niederländischen Staates schade, wenn er die Colonie verlasse. Von diesem Standpunkte aus darf aber die Angelegenheit nicht betrachtet werden, sondern nur von dem der Humanität und der Moral. Erfreulich ist darum, daß derartige Gründe sehr wenig Beachtung gefunden haben, und wiewohl zu erwarten steht, daß mancher Abgeordnete dieselben in der Kammer wird zur Geltung bringen wollen, so werden sie doch sehr wenig Einfluß ausüben. — Bei der Ab¬ tretung wird das Wohl der inländischen Bevölkerung in die Hände Englands gelegt, und ist kein Grund zu finden, weßhalb es sich darin schlechter befin¬ den sollte, als in niederländischen. Die Colonie erleidet somit keinen Schaden, dem bisherigen Mutterlande erwächst ein Vortheil und die neuen Herrscher werden wahrscheinlich im Stande sein, ebenfalls Vortheile zu erzielen. Von mehr allgemeinem Interesse bei dieser Angelegenheit ist, daß damit gewissermaßen ein Wendepunkt in der niederländischen Colonialpolitik eintritt. Bisher wuchs der Kolonialbesitz fortwährend an Ausdehnung; setzt kommt die Erkenntniß, daß man über seine Kräfte hinausgegangen ist. Zudem hat auch in den letzten Jahren der denkende Theil der Nation sich sehr viel mit den Zuständen der Colonien beschäftigt, was früher nur fehr wenig der Fall war. Holland und England sind die tonangebenden Colonialmächte, und beide haben in Ostindien sehr schwierige Fragen zu lösen. Die Hauptsache: die Rechte und Pflichten der herrschenden Europäer gegenüber den Inländern, ist bisher durchaus noch nicht gründlich behandelt worden. In der Praxis haben sich zwar verschiedene Begriffe gebildet, die aber sehr unbestimmt und ungenügend sind. Der Besitz der großen Ländermassen in Indien war früher in den Händen der englischen und holländischen ostindischen Compagnien, die als Handels¬ gesellschaften nur auf den größtmöglichen Gewinn bedacht waren. Seitdem England die Verwaltung Indiens direct von Staatswegen leitet, hat es auf jeden unmittelbaren Vortheil, den es möglicherweise aus dieser Verwaltung hätte ziehen können, verzichtet. Anders in Holland, wo der Staat die großen Ueberschüsse der Colonialverwaltung in seine eigne Kasse fließen läßt. Der Staat trat an die Stelle der Erploitationsgesellschaft und somit in ein nach unsern modernen Begriffen falsches Verhältniß. Zudem stehen die finanziellen Bedürfnisse des Mutterlandes in erster Linie, worunter das Wohl der Co¬ lonie natürlicher Weise leiden muß. Die ganze Verwaltung der holländischen Besitzungen in Ostindien ist in eine Richtung gekommen, die auf die Dauer unhaltbar ist, aber nur sehr langsam in eine Aenderung gebracht werden kann. Um eine solche zweckmäßig und erfolgreich auszuführen, müssen die Niederländer erst principiell feststellen, welche Aufgabe sie in ihren Colonien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/507>, abgerufen am 29.09.2024.