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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Europäer in Indien Fremde bleiben. Desto größer ist die Verpflichtung einer
Colonialregierung, daß sie civilisatorisch handele, daß sie die Eingebornen
nicht als unterworfene Volker, sondern als Unterthanen betrachte, deren
Wohl und Wehe ihr am Herzen liegt, deren Rechte nicht dem Vortheil des
Mutterlandes weichen dürfen. Daß diese Grundsätze in der letzten Zeit deut¬
licher hervortreten und immer mehr Eingang finden, ist unzweifelhaft; aber
im Allgemeinen bildet man sich einestheils keine klaren Begriffe über das
Verhältniß zwischen Mutterland und Colonieen, anderntheils kann man sich
noch nicht von der traditionellen Anschauungsweise befreien, nach welcher ein
Staat nur des Gewinnes halber Colonien besitzt. Der moderne Colonialbesitz
kann sich noch nicht vollständig trennen von den Ideen, welche einen Colum-
bus zur Entdeckung Amerika's führten. Sucht nach Abenteuern und Gold¬
durst zur Zeit Ferdinand des Katholischen heißt jetzt: Auswanderungslust
und neue Handelsverbindungen anknüpfen. Warum anders taucht in Deutsch¬
land immer wieder der Wunsch nach Colonialbesitz auf? Gewiß darf jede
Privatperson sowohl,, wie jeder Staat auf Vortheil bedacht sein, aber doch
nur mit voller Beachtung der Rechte Anderer. Wollen wir Europäer über
andere Völker herrschen, dann muß ihnen diese Herrschaft zum Segen wer¬
den; soll sie das aber, dann wird sie jedenfalls immer eine kostspielige wer¬
den. -- Dieser alten, traditionellen Politik des Vortheils, die in den Nieder¬
landen von der conservativen Partei gestützt wird, tritt nun eben die von
derselben Partei vertretene Idee entgegen, daß eine Colonie, wie Se. George
d'Elmina, nicht wegen des Verlustes, den sie bringt, verlassen werden dürfe.
Der civilisatorische Beruf wird hier zuerst über das finanzielle Interesse ge¬
stellt, und tritt dieses, oberflächlich betrachtet, auch nicht fo deutlich hervor,
so ist es im Grunde genommen doch der Fall. Ob die "Küste" nun englisch
wird, oder holländisch bleibt, ist eine finanzielle Angelegenheit, die im Grunde
Nebensache ist. Hauptsache ist, daß europäische Tüchtigkeit und Gesittung
dort nicht gänzlich verloren gehen, und daß solches allgemein anerkannt und
eben von derjenigen Partei so scharf betont wird, die bisher immer für die
Erhaltung der indischen Ueberschüsse in die Bresche sprang. In den Kammern
wird fortwährend über diesen letzten Punkt gestritten, weil fast jedes für In¬
dien bestimmte Gesetz, jede Maßregel bei der bestehenden Einrichtung dieser
Colonie zu einer Geldfrage für die Niederlande wird. Wünschenswert!) und
zweckmäßig wäre indessen, daß man vorher bestimmte, in welcher Richtung
sich die Colonialpolitik bewegen soll, ehe man fo viel Zeit an den Streitig¬
keiten über einzelne Gesetze verschwendet, die häusig ganz verschiedenen Prin¬
cipien huldigen. Stellt man Grundregeln auf für die Verwaltung der Colo¬
nien, dann darf man wohl ohne Zweifel erwarten, daß dabei unsere modernen
Begriffe die noch übrig gebliebenen alten, traditionellen Ideen überwinden


Europäer in Indien Fremde bleiben. Desto größer ist die Verpflichtung einer
Colonialregierung, daß sie civilisatorisch handele, daß sie die Eingebornen
nicht als unterworfene Volker, sondern als Unterthanen betrachte, deren
Wohl und Wehe ihr am Herzen liegt, deren Rechte nicht dem Vortheil des
Mutterlandes weichen dürfen. Daß diese Grundsätze in der letzten Zeit deut¬
licher hervortreten und immer mehr Eingang finden, ist unzweifelhaft; aber
im Allgemeinen bildet man sich einestheils keine klaren Begriffe über das
Verhältniß zwischen Mutterland und Colonieen, anderntheils kann man sich
noch nicht von der traditionellen Anschauungsweise befreien, nach welcher ein
Staat nur des Gewinnes halber Colonien besitzt. Der moderne Colonialbesitz
kann sich noch nicht vollständig trennen von den Ideen, welche einen Colum-
bus zur Entdeckung Amerika's führten. Sucht nach Abenteuern und Gold¬
durst zur Zeit Ferdinand des Katholischen heißt jetzt: Auswanderungslust
und neue Handelsverbindungen anknüpfen. Warum anders taucht in Deutsch¬
land immer wieder der Wunsch nach Colonialbesitz auf? Gewiß darf jede
Privatperson sowohl,, wie jeder Staat auf Vortheil bedacht sein, aber doch
nur mit voller Beachtung der Rechte Anderer. Wollen wir Europäer über
andere Völker herrschen, dann muß ihnen diese Herrschaft zum Segen wer¬
den; soll sie das aber, dann wird sie jedenfalls immer eine kostspielige wer¬
den. — Dieser alten, traditionellen Politik des Vortheils, die in den Nieder¬
landen von der conservativen Partei gestützt wird, tritt nun eben die von
derselben Partei vertretene Idee entgegen, daß eine Colonie, wie Se. George
d'Elmina, nicht wegen des Verlustes, den sie bringt, verlassen werden dürfe.
Der civilisatorische Beruf wird hier zuerst über das finanzielle Interesse ge¬
stellt, und tritt dieses, oberflächlich betrachtet, auch nicht fo deutlich hervor,
so ist es im Grunde genommen doch der Fall. Ob die „Küste" nun englisch
wird, oder holländisch bleibt, ist eine finanzielle Angelegenheit, die im Grunde
Nebensache ist. Hauptsache ist, daß europäische Tüchtigkeit und Gesittung
dort nicht gänzlich verloren gehen, und daß solches allgemein anerkannt und
eben von derjenigen Partei so scharf betont wird, die bisher immer für die
Erhaltung der indischen Ueberschüsse in die Bresche sprang. In den Kammern
wird fortwährend über diesen letzten Punkt gestritten, weil fast jedes für In¬
dien bestimmte Gesetz, jede Maßregel bei der bestehenden Einrichtung dieser
Colonie zu einer Geldfrage für die Niederlande wird. Wünschenswert!) und
zweckmäßig wäre indessen, daß man vorher bestimmte, in welcher Richtung
sich die Colonialpolitik bewegen soll, ehe man fo viel Zeit an den Streitig¬
keiten über einzelne Gesetze verschwendet, die häusig ganz verschiedenen Prin¬
cipien huldigen. Stellt man Grundregeln auf für die Verwaltung der Colo¬
nien, dann darf man wohl ohne Zweifel erwarten, daß dabei unsere modernen
Begriffe die noch übrig gebliebenen alten, traditionellen Ideen überwinden


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[0509] Europäer in Indien Fremde bleiben. Desto größer ist die Verpflichtung einer Colonialregierung, daß sie civilisatorisch handele, daß sie die Eingebornen nicht als unterworfene Volker, sondern als Unterthanen betrachte, deren Wohl und Wehe ihr am Herzen liegt, deren Rechte nicht dem Vortheil des Mutterlandes weichen dürfen. Daß diese Grundsätze in der letzten Zeit deut¬ licher hervortreten und immer mehr Eingang finden, ist unzweifelhaft; aber im Allgemeinen bildet man sich einestheils keine klaren Begriffe über das Verhältniß zwischen Mutterland und Colonieen, anderntheils kann man sich noch nicht von der traditionellen Anschauungsweise befreien, nach welcher ein Staat nur des Gewinnes halber Colonien besitzt. Der moderne Colonialbesitz kann sich noch nicht vollständig trennen von den Ideen, welche einen Colum- bus zur Entdeckung Amerika's führten. Sucht nach Abenteuern und Gold¬ durst zur Zeit Ferdinand des Katholischen heißt jetzt: Auswanderungslust und neue Handelsverbindungen anknüpfen. Warum anders taucht in Deutsch¬ land immer wieder der Wunsch nach Colonialbesitz auf? Gewiß darf jede Privatperson sowohl,, wie jeder Staat auf Vortheil bedacht sein, aber doch nur mit voller Beachtung der Rechte Anderer. Wollen wir Europäer über andere Völker herrschen, dann muß ihnen diese Herrschaft zum Segen wer¬ den; soll sie das aber, dann wird sie jedenfalls immer eine kostspielige wer¬ den. — Dieser alten, traditionellen Politik des Vortheils, die in den Nieder¬ landen von der conservativen Partei gestützt wird, tritt nun eben die von derselben Partei vertretene Idee entgegen, daß eine Colonie, wie Se. George d'Elmina, nicht wegen des Verlustes, den sie bringt, verlassen werden dürfe. Der civilisatorische Beruf wird hier zuerst über das finanzielle Interesse ge¬ stellt, und tritt dieses, oberflächlich betrachtet, auch nicht fo deutlich hervor, so ist es im Grunde genommen doch der Fall. Ob die „Küste" nun englisch wird, oder holländisch bleibt, ist eine finanzielle Angelegenheit, die im Grunde Nebensache ist. Hauptsache ist, daß europäische Tüchtigkeit und Gesittung dort nicht gänzlich verloren gehen, und daß solches allgemein anerkannt und eben von derjenigen Partei so scharf betont wird, die bisher immer für die Erhaltung der indischen Ueberschüsse in die Bresche sprang. In den Kammern wird fortwährend über diesen letzten Punkt gestritten, weil fast jedes für In¬ dien bestimmte Gesetz, jede Maßregel bei der bestehenden Einrichtung dieser Colonie zu einer Geldfrage für die Niederlande wird. Wünschenswert!) und zweckmäßig wäre indessen, daß man vorher bestimmte, in welcher Richtung sich die Colonialpolitik bewegen soll, ehe man fo viel Zeit an den Streitig¬ keiten über einzelne Gesetze verschwendet, die häusig ganz verschiedenen Prin¬ cipien huldigen. Stellt man Grundregeln auf für die Verwaltung der Colo¬ nien, dann darf man wohl ohne Zweifel erwarten, daß dabei unsere modernen Begriffe die noch übrig gebliebenen alten, traditionellen Ideen überwinden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/509>, abgerufen am 28.09.2024.