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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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schauungen und Erfahrungen die Ursachen zusammenstellt, die früher unsere
weniger bemittelten oder thatkräftigern Landsleute und Mitbürger über die
Grenze und namentlich nach Paris vertrieben haben, und zum Schluß auch
die Umstände vorführt, unter welchen sie -- theils freiwillig, theils ungern --
zurückgekehrt sind. Zuerst also handelt es sich um alle die kleinstaatlichen
und unwirtschaftlichen Fesseln, welche der persönlichen Freiheit der Bewegung
und dem gesellschaftlichen Verkehr angelegt waren, um die Beschränkungen
der Verehelichungsfreiheit, dann um alle die politischen Verdächtigungen, Ver¬
folgungen und Maßregelungen der dreißiger wie der fünfziger Jahre. Schlie߬
lich aber dreht sich das Blatt: Freiheit hüben, offene Gewalt drüben! Der
Bann ist beschworen, Deutschland gehört wieder sich selbst an. -- Wie es
dazu gekommen, ist in den "Metzer Skizzen" und den "Elsässer Unterhal¬
tungen" näher zu betrachten, Land und Leute werden hier als Momentbilder
von dem zur Kriegszeit reisenden Touristen gefaßt. Die Sprachgrenze, die
Natur des Dialekts, die Volksstimmung, die Reibungen der Nationalitäten
in Kirche und Schule werden uns in lebendigen Skizzen vorgeführt; dazwi¬
schen tritt zuweilen der preußische Soldat mit einem märkischen und markigen
Kernworte auf, und bildet den Chorus oder die Folie. -- In den Metzer
Skizzen wird auch die Währungsfrage (Gold und Silber) hereingezogen, wie
sie sich unter den Wirkungen des großen Krieges darstellt; das giebt eine
recht verständliche und verständige Explication dieses schwierigen Stoffes. Auch
aus der Vergleichung von "Naturalrequisition und Geldcontribution" ist
Mancherlei zu lernen. Braun verwirft die einseitige Empfehlung der Natural¬
requisition und weist nach, daß Barzahlungen im Interesse der Jnvasions-
armee selbst geboten sind. -- Braun's Darstellungsweise ist meistens eine
novellistische; er handhabt das Genre der didaktischen Erzählung mit einem
durch Uebung gesteigerten Talent. Wie oft er auch versichere, die nackte
Wahrheit zu erzählen, und sich gegen den Verdacht der Erfindung verwahre,
die Bestimmtheit der Tendenz macht mißtrauisch; sie scheint gegen diese Be¬
treuerungen zu zeugen. Es ist eben Wahrheit und Dichtung, in gewandter
Vermischung, aber die Dichtung hat ihre ideale Wahrheit in sich, weil es
0. eben Dichtung ist.




schauungen und Erfahrungen die Ursachen zusammenstellt, die früher unsere
weniger bemittelten oder thatkräftigern Landsleute und Mitbürger über die
Grenze und namentlich nach Paris vertrieben haben, und zum Schluß auch
die Umstände vorführt, unter welchen sie — theils freiwillig, theils ungern —
zurückgekehrt sind. Zuerst also handelt es sich um alle die kleinstaatlichen
und unwirtschaftlichen Fesseln, welche der persönlichen Freiheit der Bewegung
und dem gesellschaftlichen Verkehr angelegt waren, um die Beschränkungen
der Verehelichungsfreiheit, dann um alle die politischen Verdächtigungen, Ver¬
folgungen und Maßregelungen der dreißiger wie der fünfziger Jahre. Schlie߬
lich aber dreht sich das Blatt: Freiheit hüben, offene Gewalt drüben! Der
Bann ist beschworen, Deutschland gehört wieder sich selbst an. — Wie es
dazu gekommen, ist in den „Metzer Skizzen" und den „Elsässer Unterhal¬
tungen" näher zu betrachten, Land und Leute werden hier als Momentbilder
von dem zur Kriegszeit reisenden Touristen gefaßt. Die Sprachgrenze, die
Natur des Dialekts, die Volksstimmung, die Reibungen der Nationalitäten
in Kirche und Schule werden uns in lebendigen Skizzen vorgeführt; dazwi¬
schen tritt zuweilen der preußische Soldat mit einem märkischen und markigen
Kernworte auf, und bildet den Chorus oder die Folie. — In den Metzer
Skizzen wird auch die Währungsfrage (Gold und Silber) hereingezogen, wie
sie sich unter den Wirkungen des großen Krieges darstellt; das giebt eine
recht verständliche und verständige Explication dieses schwierigen Stoffes. Auch
aus der Vergleichung von „Naturalrequisition und Geldcontribution" ist
Mancherlei zu lernen. Braun verwirft die einseitige Empfehlung der Natural¬
requisition und weist nach, daß Barzahlungen im Interesse der Jnvasions-
armee selbst geboten sind. — Braun's Darstellungsweise ist meistens eine
novellistische; er handhabt das Genre der didaktischen Erzählung mit einem
durch Uebung gesteigerten Talent. Wie oft er auch versichere, die nackte
Wahrheit zu erzählen, und sich gegen den Verdacht der Erfindung verwahre,
die Bestimmtheit der Tendenz macht mißtrauisch; sie scheint gegen diese Be¬
treuerungen zu zeugen. Es ist eben Wahrheit und Dichtung, in gewandter
Vermischung, aber die Dichtung hat ihre ideale Wahrheit in sich, weil es
0. eben Dichtung ist.




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[0496] schauungen und Erfahrungen die Ursachen zusammenstellt, die früher unsere weniger bemittelten oder thatkräftigern Landsleute und Mitbürger über die Grenze und namentlich nach Paris vertrieben haben, und zum Schluß auch die Umstände vorführt, unter welchen sie — theils freiwillig, theils ungern — zurückgekehrt sind. Zuerst also handelt es sich um alle die kleinstaatlichen und unwirtschaftlichen Fesseln, welche der persönlichen Freiheit der Bewegung und dem gesellschaftlichen Verkehr angelegt waren, um die Beschränkungen der Verehelichungsfreiheit, dann um alle die politischen Verdächtigungen, Ver¬ folgungen und Maßregelungen der dreißiger wie der fünfziger Jahre. Schlie߬ lich aber dreht sich das Blatt: Freiheit hüben, offene Gewalt drüben! Der Bann ist beschworen, Deutschland gehört wieder sich selbst an. — Wie es dazu gekommen, ist in den „Metzer Skizzen" und den „Elsässer Unterhal¬ tungen" näher zu betrachten, Land und Leute werden hier als Momentbilder von dem zur Kriegszeit reisenden Touristen gefaßt. Die Sprachgrenze, die Natur des Dialekts, die Volksstimmung, die Reibungen der Nationalitäten in Kirche und Schule werden uns in lebendigen Skizzen vorgeführt; dazwi¬ schen tritt zuweilen der preußische Soldat mit einem märkischen und markigen Kernworte auf, und bildet den Chorus oder die Folie. — In den Metzer Skizzen wird auch die Währungsfrage (Gold und Silber) hereingezogen, wie sie sich unter den Wirkungen des großen Krieges darstellt; das giebt eine recht verständliche und verständige Explication dieses schwierigen Stoffes. Auch aus der Vergleichung von „Naturalrequisition und Geldcontribution" ist Mancherlei zu lernen. Braun verwirft die einseitige Empfehlung der Natural¬ requisition und weist nach, daß Barzahlungen im Interesse der Jnvasions- armee selbst geboten sind. — Braun's Darstellungsweise ist meistens eine novellistische; er handhabt das Genre der didaktischen Erzählung mit einem durch Uebung gesteigerten Talent. Wie oft er auch versichere, die nackte Wahrheit zu erzählen, und sich gegen den Verdacht der Erfindung verwahre, die Bestimmtheit der Tendenz macht mißtrauisch; sie scheint gegen diese Be¬ treuerungen zu zeugen. Es ist eben Wahrheit und Dichtung, in gewandter Vermischung, aber die Dichtung hat ihre ideale Wahrheit in sich, weil es 0. eben Dichtung ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/496>, abgerufen am 28.09.2024.