Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gen Zeitströmungen, übrig geblieben; sie kleiden sich gewöhnlich in das Ge¬
wand einer ausschließlichen Volkssre undlichkeit und geben Zeitungen
heraus, die Niemand liest. Nachdem sie nun Jahr aus Jahr ein Braun's
demnächstigen "Abfall" verkündigt, ist es ihnen ein ganz besonderer Ver¬
druß, ein neues Buch von Braun erscheinen zu sehen, von so unverwüstlicher
Frische, wie je, so freisinnig, wie immer, und -- was das Schlimmste ist, --
so überaus amüsant, daß es stets des zahlreichsten Leserkreises sicher ist. Die¬
ser Mann, den wir auf so vielen Gebieten schätzen und hochachten gelernt
haben, ist auf dem Felde der Tagesschriftstellerei, das er in verhältnißmäßig
reiferen Jahren erst betreten, von einer beneidenswerthen Arbeitskraft und
Ideenfülle. Der vorliegende Band schmiegt sich, wie schon der Titel besagt,
in fast allen Theilen den Ereignissen und Aufregungen des verflossenen Jahres
an, -- selbst da, wo er weiter auszuholen scheint. So gleich im ersten Stück:
Den Briefen vom Januar 1870 "über Krieg und Frieden," welche der
Anmerkungen des darauf folgenden Januars nicht erst bedurft hätten, um
die internationale Friedensliga und die deutschen Idealisten, welche sich von
ihr an der Nase herumführen ließen, herzlich lächerlich zu machen, und zu¬
gleich die -- bewußte oder unbewußte -- Verlogenheit der französischen Frie¬
densfreunde nachzuweisen. -- In den geschichtlichen Arbeiten dieser Sammlung,
dem Tod des General Marceau, der Lebensgeschichte des Prinzen Victor von
Wied, welcher gegen den ersten Napoleon in Deutschland und Spanien ge¬
fochten hatte, ergeben sich die Anspielungen auf die Gegenwart ungezwungen
von selbst. Selbst einer höchst ergötzlichen Geschichte aus der alten Zimmern-
schen Chronik: "Der Trunk zu Bieses", weiß Braun durch die Vergleichung
des knotigen und knorrigen Ritterthums und seiner Ausschweifungen mit den
Staatspflichten der Jetztzeit eine fruchtbare Nutzanwendung abzugewinnen.
In ähnlicher Weise schildert er die Entwickelung der deutschen Staatsidee in
sieben culturgeschichtlichen Bildern, welche die Wilhelmshöhe bei Kassel zum
Ausgangspunkte und Gegenstande nehmen, und von der Landgrafenzeit be¬
ginnen, dann die drei Kurfürsten recht drastisch charakterisiren, selbstverständ¬
lich mit dem Intermezzo des "immer lustiken" König Je'rome dazwischen, bis
der Gefangene von Sedan das Schlußtableau bildet. -- Da Braun solche
Parallelen und geschichtlichen Antithesen liebt, so durfte ihm der Aufenthalt
König Wilhelm's in Versailles nicht entgehen. Er stellt in lebenswarmer
Darstellung den 6. October von 1870 dem 6. October-1789 gegenüber.

Der unmittelbaren Gegenwart direct angehörig sind die übrigen Artikel
des Buches. "Deutsche in Paris (1863 -- 1870)," so heißen die Erlebnisse
eines uns wohlbekannten "rheinischen Juristen", welcher aus persönlichen An-


gen Zeitströmungen, übrig geblieben; sie kleiden sich gewöhnlich in das Ge¬
wand einer ausschließlichen Volkssre undlichkeit und geben Zeitungen
heraus, die Niemand liest. Nachdem sie nun Jahr aus Jahr ein Braun's
demnächstigen „Abfall" verkündigt, ist es ihnen ein ganz besonderer Ver¬
druß, ein neues Buch von Braun erscheinen zu sehen, von so unverwüstlicher
Frische, wie je, so freisinnig, wie immer, und — was das Schlimmste ist, —
so überaus amüsant, daß es stets des zahlreichsten Leserkreises sicher ist. Die¬
ser Mann, den wir auf so vielen Gebieten schätzen und hochachten gelernt
haben, ist auf dem Felde der Tagesschriftstellerei, das er in verhältnißmäßig
reiferen Jahren erst betreten, von einer beneidenswerthen Arbeitskraft und
Ideenfülle. Der vorliegende Band schmiegt sich, wie schon der Titel besagt,
in fast allen Theilen den Ereignissen und Aufregungen des verflossenen Jahres
an, — selbst da, wo er weiter auszuholen scheint. So gleich im ersten Stück:
Den Briefen vom Januar 1870 „über Krieg und Frieden," welche der
Anmerkungen des darauf folgenden Januars nicht erst bedurft hätten, um
die internationale Friedensliga und die deutschen Idealisten, welche sich von
ihr an der Nase herumführen ließen, herzlich lächerlich zu machen, und zu¬
gleich die — bewußte oder unbewußte — Verlogenheit der französischen Frie¬
densfreunde nachzuweisen. — In den geschichtlichen Arbeiten dieser Sammlung,
dem Tod des General Marceau, der Lebensgeschichte des Prinzen Victor von
Wied, welcher gegen den ersten Napoleon in Deutschland und Spanien ge¬
fochten hatte, ergeben sich die Anspielungen auf die Gegenwart ungezwungen
von selbst. Selbst einer höchst ergötzlichen Geschichte aus der alten Zimmern-
schen Chronik: „Der Trunk zu Bieses", weiß Braun durch die Vergleichung
des knotigen und knorrigen Ritterthums und seiner Ausschweifungen mit den
Staatspflichten der Jetztzeit eine fruchtbare Nutzanwendung abzugewinnen.
In ähnlicher Weise schildert er die Entwickelung der deutschen Staatsidee in
sieben culturgeschichtlichen Bildern, welche die Wilhelmshöhe bei Kassel zum
Ausgangspunkte und Gegenstande nehmen, und von der Landgrafenzeit be¬
ginnen, dann die drei Kurfürsten recht drastisch charakterisiren, selbstverständ¬
lich mit dem Intermezzo des „immer lustiken" König Je'rome dazwischen, bis
der Gefangene von Sedan das Schlußtableau bildet. — Da Braun solche
Parallelen und geschichtlichen Antithesen liebt, so durfte ihm der Aufenthalt
König Wilhelm's in Versailles nicht entgehen. Er stellt in lebenswarmer
Darstellung den 6. October von 1870 dem 6. October-1789 gegenüber.

Der unmittelbaren Gegenwart direct angehörig sind die übrigen Artikel
des Buches. „Deutsche in Paris (1863 — 1870)," so heißen die Erlebnisse
eines uns wohlbekannten „rheinischen Juristen", welcher aus persönlichen An-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0495" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126277"/>
          <p xml:id="ID_1548" prev="#ID_1547"> gen Zeitströmungen, übrig geblieben; sie kleiden sich gewöhnlich in das Ge¬<lb/>
wand einer ausschließlichen Volkssre undlichkeit und geben Zeitungen<lb/>
heraus, die Niemand liest.  Nachdem sie nun Jahr aus Jahr ein Braun's<lb/>
demnächstigen &#x201E;Abfall" verkündigt, ist es ihnen ein ganz besonderer Ver¬<lb/>
druß, ein neues Buch von Braun erscheinen zu sehen, von so unverwüstlicher<lb/>
Frische, wie je, so freisinnig, wie immer, und &#x2014; was das Schlimmste ist, &#x2014;<lb/>
so überaus amüsant, daß es stets des zahlreichsten Leserkreises sicher ist. Die¬<lb/>
ser Mann, den wir auf so vielen Gebieten schätzen und hochachten gelernt<lb/>
haben, ist auf dem Felde der Tagesschriftstellerei, das er in verhältnißmäßig<lb/>
reiferen Jahren erst betreten, von einer beneidenswerthen Arbeitskraft und<lb/>
Ideenfülle. Der vorliegende Band schmiegt sich, wie schon der Titel besagt,<lb/>
in fast allen Theilen den Ereignissen und Aufregungen des verflossenen Jahres<lb/>
an, &#x2014; selbst da, wo er weiter auszuholen scheint.  So gleich im ersten Stück:<lb/>
Den Briefen vom Januar 1870 &#x201E;über Krieg und Frieden," welche der<lb/>
Anmerkungen des darauf folgenden Januars nicht erst bedurft hätten, um<lb/>
die internationale Friedensliga und die deutschen Idealisten, welche sich von<lb/>
ihr an der Nase herumführen ließen, herzlich lächerlich zu machen, und zu¬<lb/>
gleich die &#x2014; bewußte oder unbewußte &#x2014; Verlogenheit der französischen Frie¬<lb/>
densfreunde nachzuweisen. &#x2014; In den geschichtlichen Arbeiten dieser Sammlung,<lb/>
dem Tod des General Marceau, der Lebensgeschichte des Prinzen Victor von<lb/>
Wied, welcher gegen den ersten Napoleon in Deutschland und Spanien ge¬<lb/>
fochten hatte, ergeben sich die Anspielungen auf die Gegenwart ungezwungen<lb/>
von selbst.  Selbst einer höchst ergötzlichen Geschichte aus der alten Zimmern-<lb/>
schen Chronik: &#x201E;Der Trunk zu Bieses", weiß Braun durch die Vergleichung<lb/>
des knotigen und knorrigen Ritterthums und seiner Ausschweifungen mit den<lb/>
Staatspflichten der Jetztzeit eine fruchtbare Nutzanwendung abzugewinnen.<lb/>
In ähnlicher Weise schildert er die Entwickelung der deutschen Staatsidee in<lb/>
sieben culturgeschichtlichen Bildern, welche die Wilhelmshöhe bei Kassel zum<lb/>
Ausgangspunkte und Gegenstande nehmen, und von der Landgrafenzeit be¬<lb/>
ginnen, dann die drei Kurfürsten recht drastisch charakterisiren, selbstverständ¬<lb/>
lich mit dem Intermezzo des &#x201E;immer lustiken" König Je'rome dazwischen, bis<lb/>
der Gefangene von Sedan das Schlußtableau bildet. &#x2014; Da Braun solche<lb/>
Parallelen und geschichtlichen Antithesen liebt, so durfte ihm der Aufenthalt<lb/>
König Wilhelm's in Versailles nicht entgehen.  Er stellt in lebenswarmer<lb/>
Darstellung den 6. October von 1870 dem 6. October-1789 gegenüber.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1549" next="#ID_1550"> Der unmittelbaren Gegenwart direct angehörig sind die übrigen Artikel<lb/>
des Buches. &#x201E;Deutsche in Paris (1863 &#x2014; 1870)," so heißen die Erlebnisse<lb/>
eines uns wohlbekannten &#x201E;rheinischen Juristen", welcher aus persönlichen An-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0495] gen Zeitströmungen, übrig geblieben; sie kleiden sich gewöhnlich in das Ge¬ wand einer ausschließlichen Volkssre undlichkeit und geben Zeitungen heraus, die Niemand liest. Nachdem sie nun Jahr aus Jahr ein Braun's demnächstigen „Abfall" verkündigt, ist es ihnen ein ganz besonderer Ver¬ druß, ein neues Buch von Braun erscheinen zu sehen, von so unverwüstlicher Frische, wie je, so freisinnig, wie immer, und — was das Schlimmste ist, — so überaus amüsant, daß es stets des zahlreichsten Leserkreises sicher ist. Die¬ ser Mann, den wir auf so vielen Gebieten schätzen und hochachten gelernt haben, ist auf dem Felde der Tagesschriftstellerei, das er in verhältnißmäßig reiferen Jahren erst betreten, von einer beneidenswerthen Arbeitskraft und Ideenfülle. Der vorliegende Band schmiegt sich, wie schon der Titel besagt, in fast allen Theilen den Ereignissen und Aufregungen des verflossenen Jahres an, — selbst da, wo er weiter auszuholen scheint. So gleich im ersten Stück: Den Briefen vom Januar 1870 „über Krieg und Frieden," welche der Anmerkungen des darauf folgenden Januars nicht erst bedurft hätten, um die internationale Friedensliga und die deutschen Idealisten, welche sich von ihr an der Nase herumführen ließen, herzlich lächerlich zu machen, und zu¬ gleich die — bewußte oder unbewußte — Verlogenheit der französischen Frie¬ densfreunde nachzuweisen. — In den geschichtlichen Arbeiten dieser Sammlung, dem Tod des General Marceau, der Lebensgeschichte des Prinzen Victor von Wied, welcher gegen den ersten Napoleon in Deutschland und Spanien ge¬ fochten hatte, ergeben sich die Anspielungen auf die Gegenwart ungezwungen von selbst. Selbst einer höchst ergötzlichen Geschichte aus der alten Zimmern- schen Chronik: „Der Trunk zu Bieses", weiß Braun durch die Vergleichung des knotigen und knorrigen Ritterthums und seiner Ausschweifungen mit den Staatspflichten der Jetztzeit eine fruchtbare Nutzanwendung abzugewinnen. In ähnlicher Weise schildert er die Entwickelung der deutschen Staatsidee in sieben culturgeschichtlichen Bildern, welche die Wilhelmshöhe bei Kassel zum Ausgangspunkte und Gegenstande nehmen, und von der Landgrafenzeit be¬ ginnen, dann die drei Kurfürsten recht drastisch charakterisiren, selbstverständ¬ lich mit dem Intermezzo des „immer lustiken" König Je'rome dazwischen, bis der Gefangene von Sedan das Schlußtableau bildet. — Da Braun solche Parallelen und geschichtlichen Antithesen liebt, so durfte ihm der Aufenthalt König Wilhelm's in Versailles nicht entgehen. Er stellt in lebenswarmer Darstellung den 6. October von 1870 dem 6. October-1789 gegenüber. Der unmittelbaren Gegenwart direct angehörig sind die übrigen Artikel des Buches. „Deutsche in Paris (1863 — 1870)," so heißen die Erlebnisse eines uns wohlbekannten „rheinischen Juristen", welcher aus persönlichen An-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/495
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/495>, abgerufen am 28.09.2024.