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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Schirm konnte, und mein linker Arm sehr geschwollen, schmerzhaft und fast
unbrauchbar, aber Alles schien besser, als zurückgelassen zu werden, und so
humpelte ich hinter dem Bataillon her so gut ich vermochte.

Ein wenig vor der Linie befand sich unten ein Güterschuppen, ein star¬
kes Ziegelgebäude, und hier wurde meine Compagnie postirr. Der Rest unsrer
Leute vertheilte sich längs der Umfassungsmauer. Ein Stabsofficier ging mit
uns, um die Mannschaften zu vertheilen. Wir sollten, wie er sagte, von
Linientruppen unterstützt werden, und nach wenigen Minuten kam ein Zug
mit solchen langsam von Guildford her an. Es war der letzte. Eine Ab¬
theilung begann die Schienen aufzureißen, und die Andern wurden in die
Häuser auf beiden Seiten verlegt. Zu uns im Schuppen stieß eine Corporal-
schaft von ihnen, und ein Genie-Officier mit einigen Sappeuren kam, um
Löcher in die Mauern zu brechen, aus denen wir hinausfeuern sollten. Jedoch
waren ihrer nur ein halb Dutzend, und so machte die Arbeit gerade keine
schnellen Fortschritte, und da wir keine Werkzeuge hatten, konnten wir ihnen
nicht dabei helfen.

Während wir dieser Arbeit zusahen, sah der Adjutant, welcher so rührig
wie immer war, durch die Thür herein und sagte uns, wir sollten uns im
Hofe aufstellen. Die Fouragier-Abtheilung war von Kingston zurückgekom¬
men und hatte einen kleinen Bäckcrkarren voll Brod mitgebracht, der uns
als unser Antheil zugewiesen wurde. Er enthielt außer dem Brode auch
Mehl und etliche Stücke Fleisch, die wir aber wegen Mangel an Zeit und
Küchengeschirr nicht kochen konnten. Die Brodlaibe verschlangen wir hastig,
und es war ein Krug Wasser im Hofe, und so fühlten wir uns erfrischt
durch das Mahl. Ich hätte gern meine Wunden gewaschen, die mir jetzt
recht unbequem wurden, aber ick) wagte nicht, meinen Rock auszuziehen, da
ich sicher war. daß ich nicht im Stande sein würde, ihn wieder anzuziehen.

Während wir unser Brod verspeisten, erreichte uns zum ersten Mal das
Gerücht von einem andern Unfall, der sogar noch größer war, als der, dem
wir als Zeugen beigewohnt hatten. Woher es kam, weiß ich nicht. Aber
man flüsterte sich durch die Reihen zu, daß Woolwich genommen sei. Wir
alle wußten, daß es unser einziges Arsenal war, und verstanden die Bedeu¬
tung dieses Schlags. War dieß richtig, so war's aus mit aller Hoffnung,
das Vaterland zu retten. Voll Gedanken hierüber gingen wir in unsern
Schuppen zurück.

Obwohl dieß erst der zweite Tag war. an dem wir im Kriege waren,
waren wir. denke ich, doch schon insoweit alte Soldaten, als wir uns aus
dem Feuer nichts mehr machten, und so machten die Vollkugeln und Grana¬
ten, die jetzt auf uns herabhagelten, keinen Eindruck. Wir fühlten in der
That unsern Mangel an Disciplin, und wir sahen deutlich genug die geringe


Schirm konnte, und mein linker Arm sehr geschwollen, schmerzhaft und fast
unbrauchbar, aber Alles schien besser, als zurückgelassen zu werden, und so
humpelte ich hinter dem Bataillon her so gut ich vermochte.

Ein wenig vor der Linie befand sich unten ein Güterschuppen, ein star¬
kes Ziegelgebäude, und hier wurde meine Compagnie postirr. Der Rest unsrer
Leute vertheilte sich längs der Umfassungsmauer. Ein Stabsofficier ging mit
uns, um die Mannschaften zu vertheilen. Wir sollten, wie er sagte, von
Linientruppen unterstützt werden, und nach wenigen Minuten kam ein Zug
mit solchen langsam von Guildford her an. Es war der letzte. Eine Ab¬
theilung begann die Schienen aufzureißen, und die Andern wurden in die
Häuser auf beiden Seiten verlegt. Zu uns im Schuppen stieß eine Corporal-
schaft von ihnen, und ein Genie-Officier mit einigen Sappeuren kam, um
Löcher in die Mauern zu brechen, aus denen wir hinausfeuern sollten. Jedoch
waren ihrer nur ein halb Dutzend, und so machte die Arbeit gerade keine
schnellen Fortschritte, und da wir keine Werkzeuge hatten, konnten wir ihnen
nicht dabei helfen.

Während wir dieser Arbeit zusahen, sah der Adjutant, welcher so rührig
wie immer war, durch die Thür herein und sagte uns, wir sollten uns im
Hofe aufstellen. Die Fouragier-Abtheilung war von Kingston zurückgekom¬
men und hatte einen kleinen Bäckcrkarren voll Brod mitgebracht, der uns
als unser Antheil zugewiesen wurde. Er enthielt außer dem Brode auch
Mehl und etliche Stücke Fleisch, die wir aber wegen Mangel an Zeit und
Küchengeschirr nicht kochen konnten. Die Brodlaibe verschlangen wir hastig,
und es war ein Krug Wasser im Hofe, und so fühlten wir uns erfrischt
durch das Mahl. Ich hätte gern meine Wunden gewaschen, die mir jetzt
recht unbequem wurden, aber ick) wagte nicht, meinen Rock auszuziehen, da
ich sicher war. daß ich nicht im Stande sein würde, ihn wieder anzuziehen.

Während wir unser Brod verspeisten, erreichte uns zum ersten Mal das
Gerücht von einem andern Unfall, der sogar noch größer war, als der, dem
wir als Zeugen beigewohnt hatten. Woher es kam, weiß ich nicht. Aber
man flüsterte sich durch die Reihen zu, daß Woolwich genommen sei. Wir
alle wußten, daß es unser einziges Arsenal war, und verstanden die Bedeu¬
tung dieses Schlags. War dieß richtig, so war's aus mit aller Hoffnung,
das Vaterland zu retten. Voll Gedanken hierüber gingen wir in unsern
Schuppen zurück.

Obwohl dieß erst der zweite Tag war. an dem wir im Kriege waren,
waren wir. denke ich, doch schon insoweit alte Soldaten, als wir uns aus
dem Feuer nichts mehr machten, und so machten die Vollkugeln und Grana¬
ten, die jetzt auf uns herabhagelten, keinen Eindruck. Wir fühlten in der
That unsern Mangel an Disciplin, und wir sahen deutlich genug die geringe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/462>, abgerufen am 29.09.2024.