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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Hoffnung auf Erfolg, die in einem solchen unordentlichen Haufen wie wir
lag, aber ich denke, wir waren allesammt entschlossen, weiter zu kämpfen, so
lange wir konnten. Unser unerschrockner Adjutant theilte seinen tapfern Sinn
uns allen mit, und der befehlhabende Stabsofficier war ein sehr lustiger
Gesell und ging herum, als ob er des Sieges sicher wäre. Gerade als das
Feuern begann, guckte er herein und sagte, daß wir hier so sicher wie in
einer Kirche wären, daß wir uns stramm halten und wacker unter die Feinde
hineinpfeffern sollten, und daß bald mehr Patronen eintreffen würden. Es
gab in dem Schuppen etliche Stufen und Bänke, und auf diesen stand ein
Theil unsrer Leute, um durch die obern Schießlöcher zu feuern, während die
Linienfoldaten und Andere auf dem Erdboden standen und die zweite Reihe
der Löcher benutzten. Ich faß auf dem Boden; denn ich konnte jetzt meine
Büchse nicht mehr gebrauchen, und überdieß gab es mehr Leute hier als Löcher.

Das Artilleriefeuer, welches jetzt auf den Schuppen eröffnet wurde, kam
aus ziemlich weiter Entfernung, und für die Büchsenschützen hatte sich kaum
schon Beschäftigung gefunden, als es einen Krach im Schuppen that und ich
von einem Schlag auf den Kopf zu Boden geworfen wurde. Ich war eine
Weile schier ganz betäubt und konnte nicht inne werden, was passirt war.
Zuletzt erfuhr ich's. Eine Vollkugel oder eine Granate hatte den Schuppen
draußen getroffen, ohne die Mauer ganz zu durchdringen. Aber der Schlag
hatte die gegen dieselbe gelehnten Stufen umgeworfen, mitsammt den darauf
stehenden Mannschaften, und zugleich Kalkbewurf und Ziegeltrümmer in Masse
abgelöst, von denen eins mich getroffen hatte. Ich fühlte jetzt, daß ich zu
nichts mehr nütze war. Ich konnte mein Gewehr nicht mehr gebrauchen,
konnte kaum mehr aufrecht stehen, und so dachte ich nach einer Weile, ich
wollte mich nach Hause fortmachen, in der Hoffnung, dort noch jemand
zu finden.

Ich erhob mich also und taumelte heimwärts. Das Musketenfeuer hatte
jetzt begonnen, und unsre Seite feuerte jetzt drauf los aus den Fenstern der
Häuser, hinter den Mauern hervor und aus der gedeckten Stellung einiger
Lowries, die noch im Bahnhofe standen. Ein paar Feldstücke im Hofe feuer¬
ten deßgleichen, und in dem offnen Raume dahinter war eine Reserve aufge¬
stellt. Hier befand sich auch der Stabsofficier zu Pferde, welcher das Gefecht
durch seinen Feldstecher beobachtete.

Ich erinnere mich, daß ich noch genug Besinnung hatte, um zu fühlen,
daß die Lage hier eine hoffnungslose war. Diese Linie von einzelnen Häusern
und Gärten mußte sicherlich bald an irgend einer Stelle durchbrochen werden,
und dann mußte die ganze Linie weichen wie Sand am Gestade vor dem
Wellenandrang. Es war aber eine Meile bis zu unserm Hause, und ich
dachte eben daran, ob es möglich sein würde, mich so weit zu schleppen, als


Hoffnung auf Erfolg, die in einem solchen unordentlichen Haufen wie wir
lag, aber ich denke, wir waren allesammt entschlossen, weiter zu kämpfen, so
lange wir konnten. Unser unerschrockner Adjutant theilte seinen tapfern Sinn
uns allen mit, und der befehlhabende Stabsofficier war ein sehr lustiger
Gesell und ging herum, als ob er des Sieges sicher wäre. Gerade als das
Feuern begann, guckte er herein und sagte, daß wir hier so sicher wie in
einer Kirche wären, daß wir uns stramm halten und wacker unter die Feinde
hineinpfeffern sollten, und daß bald mehr Patronen eintreffen würden. Es
gab in dem Schuppen etliche Stufen und Bänke, und auf diesen stand ein
Theil unsrer Leute, um durch die obern Schießlöcher zu feuern, während die
Linienfoldaten und Andere auf dem Erdboden standen und die zweite Reihe
der Löcher benutzten. Ich faß auf dem Boden; denn ich konnte jetzt meine
Büchse nicht mehr gebrauchen, und überdieß gab es mehr Leute hier als Löcher.

Das Artilleriefeuer, welches jetzt auf den Schuppen eröffnet wurde, kam
aus ziemlich weiter Entfernung, und für die Büchsenschützen hatte sich kaum
schon Beschäftigung gefunden, als es einen Krach im Schuppen that und ich
von einem Schlag auf den Kopf zu Boden geworfen wurde. Ich war eine
Weile schier ganz betäubt und konnte nicht inne werden, was passirt war.
Zuletzt erfuhr ich's. Eine Vollkugel oder eine Granate hatte den Schuppen
draußen getroffen, ohne die Mauer ganz zu durchdringen. Aber der Schlag
hatte die gegen dieselbe gelehnten Stufen umgeworfen, mitsammt den darauf
stehenden Mannschaften, und zugleich Kalkbewurf und Ziegeltrümmer in Masse
abgelöst, von denen eins mich getroffen hatte. Ich fühlte jetzt, daß ich zu
nichts mehr nütze war. Ich konnte mein Gewehr nicht mehr gebrauchen,
konnte kaum mehr aufrecht stehen, und so dachte ich nach einer Weile, ich
wollte mich nach Hause fortmachen, in der Hoffnung, dort noch jemand
zu finden.

Ich erhob mich also und taumelte heimwärts. Das Musketenfeuer hatte
jetzt begonnen, und unsre Seite feuerte jetzt drauf los aus den Fenstern der
Häuser, hinter den Mauern hervor und aus der gedeckten Stellung einiger
Lowries, die noch im Bahnhofe standen. Ein paar Feldstücke im Hofe feuer¬
ten deßgleichen, und in dem offnen Raume dahinter war eine Reserve aufge¬
stellt. Hier befand sich auch der Stabsofficier zu Pferde, welcher das Gefecht
durch seinen Feldstecher beobachtete.

Ich erinnere mich, daß ich noch genug Besinnung hatte, um zu fühlen,
daß die Lage hier eine hoffnungslose war. Diese Linie von einzelnen Häusern
und Gärten mußte sicherlich bald an irgend einer Stelle durchbrochen werden,
und dann mußte die ganze Linie weichen wie Sand am Gestade vor dem
Wellenandrang. Es war aber eine Meile bis zu unserm Hause, und ich
dachte eben daran, ob es möglich sein würde, mich so weit zu schleppen, als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/463>, abgerufen am 29.09.2024.