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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Elysees, um den Donner der Kanonen und Mitrailleusen und das Geknatter
der Flinten zu hören, und während die Porte Maillot auf Teufelholen be¬
schossen wird und jeden Augenblick gestürmt werden kann, während die Gra¬
naten bis weit herein dies seit des Are de Triomphe fliegen, die Ambu¬
lanzwagen auf- und abfahren, währenddem wimmelt die Allee von Spazier¬
gängern, die dem Donnern mit Interesse zuhören, die Kinder spielen, die
Mütter rathen ihnen nicht zu weit hinauf zu laufen wegen der "Odüsse",
und die Puppentheater ergötzen ihr lautlachendes Publicum. Freilich fährt
und reitet Niemand spazieren, in der Stadt sind ungefähr die Hälfte der
Läden geschlossen (weil die jungen Leute ausgerissen sind), die Straßen sind
etwas leer, aber die meisten Theater spielen! Vorgestern Abend ging ich,
nur um sagen zu können, daß ich einmal beim Kanonendonner im Theater
war, und um einmal ein recht leeres Haus zu sehen, in's?Il6aer<z tramps-is,
wo zwei Stücke vom alten Repertoire (Moliere und Marivaux) gegeben wur¬
den. Ich dachte, ich würde mit dem Souffleur und dem Logenschließer allein
sein, und siehe da, der Saal war zwar nicht gefüllt, aber ganz leidlich be¬
setzt! Und kaum eine halbe Stunde weit davon, an der Porte Maillot wurde
mit Bomben und Kartätschen geschossen! Im Zwischenacte ging das Publi¬
cum in den Foyer, man trat auf den Balcon, hörte dem Geschützdonner zu,
suchte zu unterscheiden, was Kanonen, was Mitrailleusen waren, und ob die
Pariser oder die Verscnller, oder Mont Valirien schössen, und dann klingelte
es, man ging wieder an seinen Platz, und lachte sich todt, wenn Sganarelle
seine Frau durchprügelte, oder seine lateinische Konsultation gab!! Ein sol¬
ches Gemisch von Leichtsinn und Kaltblütigkeit kann man doch nur in Paris
finden. General Burnside soll zu Bismarck gesagt haben: Paris ist ein von
Affen bewohntes Narrenhaus, und der Mann hatte damals Recht (es war
während der Belagerung), aber es gibt nur ein solches Narrenhaus in
der Welt!

Diese neuesten Ereignisse sind übrigens ein energisches Specificum gegen
die Deutschenfresserei, von der plötzlich gar Niemand mehr spricht. Ich habe
mir vorläufig alle Emigrationsgedanken aus dem Sinn geschlagen, trage aber
sorgfältig noch immer meine Papiere bei mir. Die Berliner Buchhändler¬
nachricht, die Du mir vor längerer Zeit in einer Zeitung schicktest, war wohl
ein schlechter Witz, oder ein ganz kleiner vereinzelter Fall. In dem eingangs¬
genannten Lerelt; ac 1a Librairie tauchte vor 4 -- 6 Wochen eine agitMou
Wtixrussiemuz auf; es wurde auf Anstiften zweier Rädelsführer eine Ver¬
sammlung einberufen (zu der ich auch eingeladen wurde, aber natürlich nicht
ging), in der man alle möglichen Beschlüsse gegen die Deutschen fassen wollte.
Man wollte sich verpflichten: 1. Während 5 Jahren keinen deutschen Gehülfen
in sein Geschäft zu nehmen; 2. keinen Deutschen als Associe' zu haben; 3. keine


Elysees, um den Donner der Kanonen und Mitrailleusen und das Geknatter
der Flinten zu hören, und während die Porte Maillot auf Teufelholen be¬
schossen wird und jeden Augenblick gestürmt werden kann, während die Gra¬
naten bis weit herein dies seit des Are de Triomphe fliegen, die Ambu¬
lanzwagen auf- und abfahren, währenddem wimmelt die Allee von Spazier¬
gängern, die dem Donnern mit Interesse zuhören, die Kinder spielen, die
Mütter rathen ihnen nicht zu weit hinauf zu laufen wegen der „Odüsse",
und die Puppentheater ergötzen ihr lautlachendes Publicum. Freilich fährt
und reitet Niemand spazieren, in der Stadt sind ungefähr die Hälfte der
Läden geschlossen (weil die jungen Leute ausgerissen sind), die Straßen sind
etwas leer, aber die meisten Theater spielen! Vorgestern Abend ging ich,
nur um sagen zu können, daß ich einmal beim Kanonendonner im Theater
war, und um einmal ein recht leeres Haus zu sehen, in's?Il6aer<z tramps-is,
wo zwei Stücke vom alten Repertoire (Moliere und Marivaux) gegeben wur¬
den. Ich dachte, ich würde mit dem Souffleur und dem Logenschließer allein
sein, und siehe da, der Saal war zwar nicht gefüllt, aber ganz leidlich be¬
setzt! Und kaum eine halbe Stunde weit davon, an der Porte Maillot wurde
mit Bomben und Kartätschen geschossen! Im Zwischenacte ging das Publi¬
cum in den Foyer, man trat auf den Balcon, hörte dem Geschützdonner zu,
suchte zu unterscheiden, was Kanonen, was Mitrailleusen waren, und ob die
Pariser oder die Verscnller, oder Mont Valirien schössen, und dann klingelte
es, man ging wieder an seinen Platz, und lachte sich todt, wenn Sganarelle
seine Frau durchprügelte, oder seine lateinische Konsultation gab!! Ein sol¬
ches Gemisch von Leichtsinn und Kaltblütigkeit kann man doch nur in Paris
finden. General Burnside soll zu Bismarck gesagt haben: Paris ist ein von
Affen bewohntes Narrenhaus, und der Mann hatte damals Recht (es war
während der Belagerung), aber es gibt nur ein solches Narrenhaus in
der Welt!

Diese neuesten Ereignisse sind übrigens ein energisches Specificum gegen
die Deutschenfresserei, von der plötzlich gar Niemand mehr spricht. Ich habe
mir vorläufig alle Emigrationsgedanken aus dem Sinn geschlagen, trage aber
sorgfältig noch immer meine Papiere bei mir. Die Berliner Buchhändler¬
nachricht, die Du mir vor längerer Zeit in einer Zeitung schicktest, war wohl
ein schlechter Witz, oder ein ganz kleiner vereinzelter Fall. In dem eingangs¬
genannten Lerelt; ac 1a Librairie tauchte vor 4 — 6 Wochen eine agitMou
Wtixrussiemuz auf; es wurde auf Anstiften zweier Rädelsführer eine Ver¬
sammlung einberufen (zu der ich auch eingeladen wurde, aber natürlich nicht
ging), in der man alle möglichen Beschlüsse gegen die Deutschen fassen wollte.
Man wollte sich verpflichten: 1. Während 5 Jahren keinen deutschen Gehülfen
in sein Geschäft zu nehmen; 2. keinen Deutschen als Associe' zu haben; 3. keine


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[0411] Elysees, um den Donner der Kanonen und Mitrailleusen und das Geknatter der Flinten zu hören, und während die Porte Maillot auf Teufelholen be¬ schossen wird und jeden Augenblick gestürmt werden kann, während die Gra¬ naten bis weit herein dies seit des Are de Triomphe fliegen, die Ambu¬ lanzwagen auf- und abfahren, währenddem wimmelt die Allee von Spazier¬ gängern, die dem Donnern mit Interesse zuhören, die Kinder spielen, die Mütter rathen ihnen nicht zu weit hinauf zu laufen wegen der „Odüsse", und die Puppentheater ergötzen ihr lautlachendes Publicum. Freilich fährt und reitet Niemand spazieren, in der Stadt sind ungefähr die Hälfte der Läden geschlossen (weil die jungen Leute ausgerissen sind), die Straßen sind etwas leer, aber die meisten Theater spielen! Vorgestern Abend ging ich, nur um sagen zu können, daß ich einmal beim Kanonendonner im Theater war, und um einmal ein recht leeres Haus zu sehen, in's?Il6aer<z tramps-is, wo zwei Stücke vom alten Repertoire (Moliere und Marivaux) gegeben wur¬ den. Ich dachte, ich würde mit dem Souffleur und dem Logenschließer allein sein, und siehe da, der Saal war zwar nicht gefüllt, aber ganz leidlich be¬ setzt! Und kaum eine halbe Stunde weit davon, an der Porte Maillot wurde mit Bomben und Kartätschen geschossen! Im Zwischenacte ging das Publi¬ cum in den Foyer, man trat auf den Balcon, hörte dem Geschützdonner zu, suchte zu unterscheiden, was Kanonen, was Mitrailleusen waren, und ob die Pariser oder die Verscnller, oder Mont Valirien schössen, und dann klingelte es, man ging wieder an seinen Platz, und lachte sich todt, wenn Sganarelle seine Frau durchprügelte, oder seine lateinische Konsultation gab!! Ein sol¬ ches Gemisch von Leichtsinn und Kaltblütigkeit kann man doch nur in Paris finden. General Burnside soll zu Bismarck gesagt haben: Paris ist ein von Affen bewohntes Narrenhaus, und der Mann hatte damals Recht (es war während der Belagerung), aber es gibt nur ein solches Narrenhaus in der Welt! Diese neuesten Ereignisse sind übrigens ein energisches Specificum gegen die Deutschenfresserei, von der plötzlich gar Niemand mehr spricht. Ich habe mir vorläufig alle Emigrationsgedanken aus dem Sinn geschlagen, trage aber sorgfältig noch immer meine Papiere bei mir. Die Berliner Buchhändler¬ nachricht, die Du mir vor längerer Zeit in einer Zeitung schicktest, war wohl ein schlechter Witz, oder ein ganz kleiner vereinzelter Fall. In dem eingangs¬ genannten Lerelt; ac 1a Librairie tauchte vor 4 — 6 Wochen eine agitMou Wtixrussiemuz auf; es wurde auf Anstiften zweier Rädelsführer eine Ver¬ sammlung einberufen (zu der ich auch eingeladen wurde, aber natürlich nicht ging), in der man alle möglichen Beschlüsse gegen die Deutschen fassen wollte. Man wollte sich verpflichten: 1. Während 5 Jahren keinen deutschen Gehülfen in sein Geschäft zu nehmen; 2. keinen Deutschen als Associe' zu haben; 3. keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/411>, abgerufen am 28.12.2024.