Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.können, wie durchaus nicht darauf geachtet wurde, die Gedanken zu finden Was über die Pflege der Mathematik zu sagen ist, läßt sich in die we¬ Das war die Bildung der Zöglinge, welche aus den höheren römischen Alles war in mechanische Gedächtnißübungen versteinert, in materielle können, wie durchaus nicht darauf geachtet wurde, die Gedanken zu finden Was über die Pflege der Mathematik zu sagen ist, läßt sich in die we¬ Das war die Bildung der Zöglinge, welche aus den höheren römischen Alles war in mechanische Gedächtnißübungen versteinert, in materielle <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126044"/> <p xml:id="ID_826" prev="#ID_825"> können, wie durchaus nicht darauf geachtet wurde, die Gedanken zu finden<lb/> und gut zu ordnen, um sie hernach passend und effectvoll vorzutragen, son¬<lb/> dern nur auf die Hervorbringung einer Wirkung durch die Form, welcher<lb/> jede Wirkung des Gedankens abgeht. Sie haben die Gewohnheit angenom¬<lb/> men, mit dem Schreiben anzufangen, ohne sich Rechenschaft von dem zu<lb/> geben, was sie sagen wollen, und die Gedanken nach und nach auf das Pa¬<lb/> pier zu werfen in derselben Ordnung, wie sie ihnen aufsteigen. Fehler aller<lb/> Art, selbst grammatikalische, sind nicht selten."</p><lb/> <p xml:id="ID_827"> Was über die Pflege der Mathematik zu sagen ist, läßt sich in die we¬<lb/> nigen Worte zusammenfassen, daß die eraminirten Jünglinge gar keine Kennt¬<lb/> nisse in derselben besaßen, ja sogar ihnen die geringsten Begriffe von Geo¬<lb/> metrie, oder Algebra oder Arithmetik abgingen.</p><lb/> <p xml:id="ID_828"> Das war die Bildung der Zöglinge, welche aus den höheren römischen<lb/> Schulen (Leuole al umanitÄ e al rettoriea,) hervorgingen, und in den<lb/> ersten oder zweiten Cursus des Liceo aufgenommen zu werden verlang¬<lb/> ten! Nach fünf oder sechs Jahren genossenen Unterrichts, je nachdem<lb/> sie aus der einen oder andern der obengenannten Schulen hervorgingen, be¬<lb/> schränkte sich ihre ganze Bildung auf eine sehr unvollkommene Kenntniß des<lb/> Lateinischen, ohne alle jene Kenntnisse in Geschichte und Alterthumswissen¬<lb/> schaft, welche nothwendig damit verbunden sein müssen, allein das Studium<lb/> dieser Sprache fruchtbringend machen können, und die wahre classische Bil¬<lb/> dung ausmachen. Nichts was die Zöglinge in jenen lebendigen Geist der<lb/> Classiker hätte einführen können, der die alten Schriftsteller zu Wiederherstellern<lb/> des modernen Gedankens gemacht hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_829" next="#ID_830"> Alles war in mechanische Gedächtnißübungen versteinert, in materielle<lb/> Formeln und Regeln, die Jahre hindurch tausend und abertausendmal<lb/> mündlich und schriftlich wiederholt wurden, von denen täglich die Mauern<lb/> der Schule widerhallten, und Hunderte von Heften zu Hause vollgeschmiert<lb/> wurden, und denen gelang, aus dem Lateinischen eine Art Marterwerkzeug<lb/> herzustellen, durch welches für das ganze Leben nicht nur diese Sprache,<lb/> sondern das Studium im Allgemeinen unerträglich gemacht wurde. Und<lb/> während man so auf der einen Seite durch dieses mechanische Formel¬<lb/> wesen die Entwickelung der Geisteskräfte verhinderte oder aufhielt, suchte man<lb/> zu gleicher Zeit mit sorgsamer Pflege die Einbildungskraft zu erhöhen. Daher<lb/> stammt die unter gebildeten Menschen gewöhnliche Ansicht, daß der letzte Zweck<lb/> sei. Köpfe zu bilden die nicht denken, und daß dieser Zweck auf zwiefachem<lb/> Wege zu erreichen sei: einestheils indem man dem Geiste alle Gegenstände,<lb/> der Beobachtung und des Nachdenkens entzieht, anderntheils indem man ihm<lb/> alle diejenigen zuführt, die dazu beitragen konnten, ihn zu zerstreuen. Daher<lb/> kam jene Sucht, die Kunst der Rede und Schrift auf die Rhetorik zu stützen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0262]
können, wie durchaus nicht darauf geachtet wurde, die Gedanken zu finden
und gut zu ordnen, um sie hernach passend und effectvoll vorzutragen, son¬
dern nur auf die Hervorbringung einer Wirkung durch die Form, welcher
jede Wirkung des Gedankens abgeht. Sie haben die Gewohnheit angenom¬
men, mit dem Schreiben anzufangen, ohne sich Rechenschaft von dem zu
geben, was sie sagen wollen, und die Gedanken nach und nach auf das Pa¬
pier zu werfen in derselben Ordnung, wie sie ihnen aufsteigen. Fehler aller
Art, selbst grammatikalische, sind nicht selten."
Was über die Pflege der Mathematik zu sagen ist, läßt sich in die we¬
nigen Worte zusammenfassen, daß die eraminirten Jünglinge gar keine Kennt¬
nisse in derselben besaßen, ja sogar ihnen die geringsten Begriffe von Geo¬
metrie, oder Algebra oder Arithmetik abgingen.
Das war die Bildung der Zöglinge, welche aus den höheren römischen
Schulen (Leuole al umanitÄ e al rettoriea,) hervorgingen, und in den
ersten oder zweiten Cursus des Liceo aufgenommen zu werden verlang¬
ten! Nach fünf oder sechs Jahren genossenen Unterrichts, je nachdem
sie aus der einen oder andern der obengenannten Schulen hervorgingen, be¬
schränkte sich ihre ganze Bildung auf eine sehr unvollkommene Kenntniß des
Lateinischen, ohne alle jene Kenntnisse in Geschichte und Alterthumswissen¬
schaft, welche nothwendig damit verbunden sein müssen, allein das Studium
dieser Sprache fruchtbringend machen können, und die wahre classische Bil¬
dung ausmachen. Nichts was die Zöglinge in jenen lebendigen Geist der
Classiker hätte einführen können, der die alten Schriftsteller zu Wiederherstellern
des modernen Gedankens gemacht hat.
Alles war in mechanische Gedächtnißübungen versteinert, in materielle
Formeln und Regeln, die Jahre hindurch tausend und abertausendmal
mündlich und schriftlich wiederholt wurden, von denen täglich die Mauern
der Schule widerhallten, und Hunderte von Heften zu Hause vollgeschmiert
wurden, und denen gelang, aus dem Lateinischen eine Art Marterwerkzeug
herzustellen, durch welches für das ganze Leben nicht nur diese Sprache,
sondern das Studium im Allgemeinen unerträglich gemacht wurde. Und
während man so auf der einen Seite durch dieses mechanische Formel¬
wesen die Entwickelung der Geisteskräfte verhinderte oder aufhielt, suchte man
zu gleicher Zeit mit sorgsamer Pflege die Einbildungskraft zu erhöhen. Daher
stammt die unter gebildeten Menschen gewöhnliche Ansicht, daß der letzte Zweck
sei. Köpfe zu bilden die nicht denken, und daß dieser Zweck auf zwiefachem
Wege zu erreichen sei: einestheils indem man dem Geiste alle Gegenstände,
der Beobachtung und des Nachdenkens entzieht, anderntheils indem man ihm
alle diejenigen zuführt, die dazu beitragen konnten, ihn zu zerstreuen. Daher
kam jene Sucht, die Kunst der Rede und Schrift auf die Rhetorik zu stützen,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |