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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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welchen die Lage und die Denkmäler Roms die günstigste Gelegenheit boten,
mit so viel warmer Theilnahme gepflegt würden, um den Ruhm dieser alten
Schulen zu rechtfertigen.

Bei den Prüfungen für die Aufnahme in die drei Klassen des Liceo hat
sich jedoch herausgestellt, daß die Kenntniß des Lateinischen bei fast allen Zög¬
lingen schwach und ungenügend war, und im Griechischen fast gänzlich man¬
gelte. "Was das Lateinische anbetrifft," sagt der Bericht der Prüfungscom¬
mission, "so fanden sich die schriftlichen Arbeiten, sowohl Uebersetzungen als
Aufsätze, nicht nur voll unpassender Wendungen und Ausdrücke, sondern sogar
voll grammatikalischer Fehler; selbst den relativ Besten fehlte jede Eleganz
der Sprache und der richtige, der Sprache eigenthümliche Periodenbau. Im
mündlichen Examen wurde es Vielen schwer, leichte Stellen eines Prosaisten
zu verstehen oder zu erklären; von Keinem hörten wir eine Bemerkung, die
uns bewiesen hätte, daß er die Sprache nach einer guten Methode studirt
hätte, oder nach jenen Grundsätzen, die heutzutage die Basis jedes Studiums
der classischen Sprachen sind." -- "Was das Griechische betrifft, so wußten
wir schon, daß wir bei den Meisten nur sehr schwache Kenntnisse finden wür¬
den, und nahmen deshalb nur ein mündliches Examen vor. Dasselbe be¬
stätigte durchaus das vorgefaßte Urtheil, denn die Meisten der Examinanden
konnten nur lesen und auch das nur mühsam; Wenige wußten etwas von
der Theorie der Formen; ja, bei dem gänzlichen Mangel aller Kenntnisse
mußten wir uns wundern, wenn der Eine oder Andere von den griechischen
Comparativen und Superlativen Rechenschaft zu geben wußte."

Wurden das Lateinische und Griechische vielleicht vernachlässigt, um desto
größere Aufmerksamkeit dem Studium des Italienischen zuzuwenden? Hier
folgt die darauf bezügliche Erklärung der Prüfungscommission. "Aus den
schriftlichen Arbeiten und den an die Zöglinge gestellten Fragen geht hervor,
daß ihnen fast ohne Ausnahme die elementarsten Begriffe der italienischen
Literaturgeschichte abgehen, so daß sie alle Epochen verwechselten, oder viel¬
mehr die ganze Vergangenheit für sie ein leerer Raum ist, in welchem sich
ohne jede Zeitfolge Dante, Monti, Segueri und Tasso bewegen; bei einigen
kommt noch Virgil hinzu und selbst David. Von italienischen Schriftstellern
kennen sie nur einige Bruchstücke aus Dante's Hölle, einige Predigten Se-
gueri's und einige Terzinen Monti's, oder sie haben einige Fragmente italie¬
nischer Prosaisten und Dichter in den Sammlungen Fornaciari's und Anderer
gelesen; meistens ohne Commentar oder irgend welche Bemerkungen, wie sie
selber sagen, und sich auch thatsächlich zeigt....... Im De Colonia und
anderen Autoren haben sie das gelernt, was man rhetorische Figuren nennt,
und man kann dreist behaupten, daß sich hierauf ihr Studium der Literatur
beschränkt. -- Bei der Entwickelung des einfachsten Stoffes hat man sehen


welchen die Lage und die Denkmäler Roms die günstigste Gelegenheit boten,
mit so viel warmer Theilnahme gepflegt würden, um den Ruhm dieser alten
Schulen zu rechtfertigen.

Bei den Prüfungen für die Aufnahme in die drei Klassen des Liceo hat
sich jedoch herausgestellt, daß die Kenntniß des Lateinischen bei fast allen Zög¬
lingen schwach und ungenügend war, und im Griechischen fast gänzlich man¬
gelte. „Was das Lateinische anbetrifft," sagt der Bericht der Prüfungscom¬
mission, „so fanden sich die schriftlichen Arbeiten, sowohl Uebersetzungen als
Aufsätze, nicht nur voll unpassender Wendungen und Ausdrücke, sondern sogar
voll grammatikalischer Fehler; selbst den relativ Besten fehlte jede Eleganz
der Sprache und der richtige, der Sprache eigenthümliche Periodenbau. Im
mündlichen Examen wurde es Vielen schwer, leichte Stellen eines Prosaisten
zu verstehen oder zu erklären; von Keinem hörten wir eine Bemerkung, die
uns bewiesen hätte, daß er die Sprache nach einer guten Methode studirt
hätte, oder nach jenen Grundsätzen, die heutzutage die Basis jedes Studiums
der classischen Sprachen sind." — „Was das Griechische betrifft, so wußten
wir schon, daß wir bei den Meisten nur sehr schwache Kenntnisse finden wür¬
den, und nahmen deshalb nur ein mündliches Examen vor. Dasselbe be¬
stätigte durchaus das vorgefaßte Urtheil, denn die Meisten der Examinanden
konnten nur lesen und auch das nur mühsam; Wenige wußten etwas von
der Theorie der Formen; ja, bei dem gänzlichen Mangel aller Kenntnisse
mußten wir uns wundern, wenn der Eine oder Andere von den griechischen
Comparativen und Superlativen Rechenschaft zu geben wußte."

Wurden das Lateinische und Griechische vielleicht vernachlässigt, um desto
größere Aufmerksamkeit dem Studium des Italienischen zuzuwenden? Hier
folgt die darauf bezügliche Erklärung der Prüfungscommission. „Aus den
schriftlichen Arbeiten und den an die Zöglinge gestellten Fragen geht hervor,
daß ihnen fast ohne Ausnahme die elementarsten Begriffe der italienischen
Literaturgeschichte abgehen, so daß sie alle Epochen verwechselten, oder viel¬
mehr die ganze Vergangenheit für sie ein leerer Raum ist, in welchem sich
ohne jede Zeitfolge Dante, Monti, Segueri und Tasso bewegen; bei einigen
kommt noch Virgil hinzu und selbst David. Von italienischen Schriftstellern
kennen sie nur einige Bruchstücke aus Dante's Hölle, einige Predigten Se-
gueri's und einige Terzinen Monti's, oder sie haben einige Fragmente italie¬
nischer Prosaisten und Dichter in den Sammlungen Fornaciari's und Anderer
gelesen; meistens ohne Commentar oder irgend welche Bemerkungen, wie sie
selber sagen, und sich auch thatsächlich zeigt....... Im De Colonia und
anderen Autoren haben sie das gelernt, was man rhetorische Figuren nennt,
und man kann dreist behaupten, daß sich hierauf ihr Studium der Literatur
beschränkt. — Bei der Entwickelung des einfachsten Stoffes hat man sehen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/261>, abgerufen am 29.09.2024.