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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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gute Nordheim und starb 1589, 82 Jahre alt, in Straßburg. Bittere Krän¬
kungen waren der Lohn seiner funfzigjährigen Wirksamkeit.

Sturm ist der letzte Humanist dieser Stadt, aber auch der größte. Mit dem
Ausgange des 16. Jahrhunderts geht der Humanismus überhaupt zu Ende;
die Schule verfällt in todten Mechanismus, die freie Wissenschaft wird gefesselt
durch die kirchliche Scholastik, die Entwickelung Deutschlands durch den drei¬
ßigjährigen Krieg auf lange Zeit gehemmt. Das Interesse an der selbstän¬
digen Nachbildung der Alten Schriftsteller hört auf und an die Stelle der
Humanisten treten die Philologen. Das Straßburger Gymnasium und die
Academie zählten unter ihren Professoren namhafte Philologen, die sich um
die Kritik und Auslegung der alten verdient gemacht haben, noch mehr die
Universität, welche Kaiser Ferdinand II. unter den Stürmen des dreißig¬
jährigen Krieges privilegirte und welche auch seit der französischen Vergewal¬
tigung der Stadt 1681 ungehindert fortblühte, weil die Stadt die Kosten
bestritt und nichts vom Staate beanspruchte. Beuther. Gott, Toxites und
Pflüger gehören noch dem 16. Jahrhundert an; in demselben lehrten dort
die großen philologischen Juristen Fran^vis Holman (1536) und Denys
Godefroy (1591); in dem 17. Jahrhundert treten M. Bernegger, H. Böller,
Joachim Kühn, Scheidt und Ulrich Obrecht hervor. Als Ludwig XIV. 1702
eine katholische Universität nach Straßburg verlegte, erlangte diese neben der
protestantischen Hochschule nicht die geringste Bedeutung. Denn diese blieb
deutsch, auch in der französischen Stadt, ihre Lehrer pflegten mit Vorliebe
deutsche Sprache und Geschichte neben den classischen Studien. Wer gedenkt
nicht auch heute noch Johannes Schillers, der 1686 als Rathseonsulent und
Honorarprofessor an der Universität nach Straßburg berufen wurde und in
seinem doppelten Berufe Muße fand deutsche Sprache, Recht und Alterthümer
zu behandeln grade in der Zeit, in welcher Straßburg durch Raub der Fran¬
zosen von dem deutschen Reiche losgerissen wurde. Den tkesaurus deutscher
Alterthümer hat erst sein bester Schüler Johann Georg Scherz, ein geborner
Straßburger und Professor an der Universität, 1726 zum Abschlüsse gebracht.
Waren diese Männer eigentlich Juristen, so hat der in Straßburg 1735 geboren.
Jeremias Jacob Oberlindas Studium der classischen Sprachen mit dem der altdeut¬
schen Sprache und Litteratur verbunden und durch die Bearbeitung des Glos¬
sariums von Scherz 1781 in streng philologischer Methode das erste lexika¬
lische Hülfsmittel für die älteren deutschen Sprachdenkmale dargeboten. Er
war ein Schüler des ehrwürdigen Hauptes der Straßburger historischen Schule,
Johann Daniel Schöpflins, durch dessen Ansehen die Zusendung der Pariser
Minnesänger-Handschrist an Bodmer leicht bewirkt wurde. Goethe hat ihm
ein schönes Denkmal in Dichtung und Wahrheit gesetzt. Schweighäuser be¬
schränkt sich auf eine rein philologische Thätigkeit und der geniale Kritiker


gute Nordheim und starb 1589, 82 Jahre alt, in Straßburg. Bittere Krän¬
kungen waren der Lohn seiner funfzigjährigen Wirksamkeit.

Sturm ist der letzte Humanist dieser Stadt, aber auch der größte. Mit dem
Ausgange des 16. Jahrhunderts geht der Humanismus überhaupt zu Ende;
die Schule verfällt in todten Mechanismus, die freie Wissenschaft wird gefesselt
durch die kirchliche Scholastik, die Entwickelung Deutschlands durch den drei¬
ßigjährigen Krieg auf lange Zeit gehemmt. Das Interesse an der selbstän¬
digen Nachbildung der Alten Schriftsteller hört auf und an die Stelle der
Humanisten treten die Philologen. Das Straßburger Gymnasium und die
Academie zählten unter ihren Professoren namhafte Philologen, die sich um
die Kritik und Auslegung der alten verdient gemacht haben, noch mehr die
Universität, welche Kaiser Ferdinand II. unter den Stürmen des dreißig¬
jährigen Krieges privilegirte und welche auch seit der französischen Vergewal¬
tigung der Stadt 1681 ungehindert fortblühte, weil die Stadt die Kosten
bestritt und nichts vom Staate beanspruchte. Beuther. Gott, Toxites und
Pflüger gehören noch dem 16. Jahrhundert an; in demselben lehrten dort
die großen philologischen Juristen Fran^vis Holman (1536) und Denys
Godefroy (1591); in dem 17. Jahrhundert treten M. Bernegger, H. Böller,
Joachim Kühn, Scheidt und Ulrich Obrecht hervor. Als Ludwig XIV. 1702
eine katholische Universität nach Straßburg verlegte, erlangte diese neben der
protestantischen Hochschule nicht die geringste Bedeutung. Denn diese blieb
deutsch, auch in der französischen Stadt, ihre Lehrer pflegten mit Vorliebe
deutsche Sprache und Geschichte neben den classischen Studien. Wer gedenkt
nicht auch heute noch Johannes Schillers, der 1686 als Rathseonsulent und
Honorarprofessor an der Universität nach Straßburg berufen wurde und in
seinem doppelten Berufe Muße fand deutsche Sprache, Recht und Alterthümer
zu behandeln grade in der Zeit, in welcher Straßburg durch Raub der Fran¬
zosen von dem deutschen Reiche losgerissen wurde. Den tkesaurus deutscher
Alterthümer hat erst sein bester Schüler Johann Georg Scherz, ein geborner
Straßburger und Professor an der Universität, 1726 zum Abschlüsse gebracht.
Waren diese Männer eigentlich Juristen, so hat der in Straßburg 1735 geboren.
Jeremias Jacob Oberlindas Studium der classischen Sprachen mit dem der altdeut¬
schen Sprache und Litteratur verbunden und durch die Bearbeitung des Glos¬
sariums von Scherz 1781 in streng philologischer Methode das erste lexika¬
lische Hülfsmittel für die älteren deutschen Sprachdenkmale dargeboten. Er
war ein Schüler des ehrwürdigen Hauptes der Straßburger historischen Schule,
Johann Daniel Schöpflins, durch dessen Ansehen die Zusendung der Pariser
Minnesänger-Handschrist an Bodmer leicht bewirkt wurde. Goethe hat ihm
ein schönes Denkmal in Dichtung und Wahrheit gesetzt. Schweighäuser be¬
schränkt sich auf eine rein philologische Thätigkeit und der geniale Kritiker


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[0221] gute Nordheim und starb 1589, 82 Jahre alt, in Straßburg. Bittere Krän¬ kungen waren der Lohn seiner funfzigjährigen Wirksamkeit. Sturm ist der letzte Humanist dieser Stadt, aber auch der größte. Mit dem Ausgange des 16. Jahrhunderts geht der Humanismus überhaupt zu Ende; die Schule verfällt in todten Mechanismus, die freie Wissenschaft wird gefesselt durch die kirchliche Scholastik, die Entwickelung Deutschlands durch den drei¬ ßigjährigen Krieg auf lange Zeit gehemmt. Das Interesse an der selbstän¬ digen Nachbildung der Alten Schriftsteller hört auf und an die Stelle der Humanisten treten die Philologen. Das Straßburger Gymnasium und die Academie zählten unter ihren Professoren namhafte Philologen, die sich um die Kritik und Auslegung der alten verdient gemacht haben, noch mehr die Universität, welche Kaiser Ferdinand II. unter den Stürmen des dreißig¬ jährigen Krieges privilegirte und welche auch seit der französischen Vergewal¬ tigung der Stadt 1681 ungehindert fortblühte, weil die Stadt die Kosten bestritt und nichts vom Staate beanspruchte. Beuther. Gott, Toxites und Pflüger gehören noch dem 16. Jahrhundert an; in demselben lehrten dort die großen philologischen Juristen Fran^vis Holman (1536) und Denys Godefroy (1591); in dem 17. Jahrhundert treten M. Bernegger, H. Böller, Joachim Kühn, Scheidt und Ulrich Obrecht hervor. Als Ludwig XIV. 1702 eine katholische Universität nach Straßburg verlegte, erlangte diese neben der protestantischen Hochschule nicht die geringste Bedeutung. Denn diese blieb deutsch, auch in der französischen Stadt, ihre Lehrer pflegten mit Vorliebe deutsche Sprache und Geschichte neben den classischen Studien. Wer gedenkt nicht auch heute noch Johannes Schillers, der 1686 als Rathseonsulent und Honorarprofessor an der Universität nach Straßburg berufen wurde und in seinem doppelten Berufe Muße fand deutsche Sprache, Recht und Alterthümer zu behandeln grade in der Zeit, in welcher Straßburg durch Raub der Fran¬ zosen von dem deutschen Reiche losgerissen wurde. Den tkesaurus deutscher Alterthümer hat erst sein bester Schüler Johann Georg Scherz, ein geborner Straßburger und Professor an der Universität, 1726 zum Abschlüsse gebracht. Waren diese Männer eigentlich Juristen, so hat der in Straßburg 1735 geboren. Jeremias Jacob Oberlindas Studium der classischen Sprachen mit dem der altdeut¬ schen Sprache und Litteratur verbunden und durch die Bearbeitung des Glos¬ sariums von Scherz 1781 in streng philologischer Methode das erste lexika¬ lische Hülfsmittel für die älteren deutschen Sprachdenkmale dargeboten. Er war ein Schüler des ehrwürdigen Hauptes der Straßburger historischen Schule, Johann Daniel Schöpflins, durch dessen Ansehen die Zusendung der Pariser Minnesänger-Handschrist an Bodmer leicht bewirkt wurde. Goethe hat ihm ein schönes Denkmal in Dichtung und Wahrheit gesetzt. Schweighäuser be¬ schränkt sich auf eine rein philologische Thätigkeit und der geniale Kritiker

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/221>, abgerufen am 29.09.2024.