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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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griechischer Dichter Brunck, gleichfalls ein geborner Straßburger, lebte seit
1760 nur diesen Studien und gab sie, durch die Stürme der Revolution aus
seiner Muße aufgestört, und in dem Glauben bereits genug für die Wissen¬
schaft gethan zu haben, 1790 so gänzlich auf, daß er sogar seine Bibliothek
verkaufte und sibi soll vivsrs äeersvit.

Diese Revolution hat auch das geistige Band, welches die Männer der
Wissenschaft bis dahin mit Deutschland verband, zerrissen, wenn sie auch zu¬
nächst die protestantischen Institutionen Straßburgs noch verschonte. Das
erste Kaiserreich schuf die Universität, diese großartige Corporation, die alle
Gebiete des Unterrichts umfaßte und ihre Glieder durch Nährung des Ehr¬
geizes und der Ruhmsucht im Dienste napoleonischer Staatsprincipien ver¬
wendete. Auch Straßburg erhielt für die Departements des Ober- und
Niederrheins seine Academie. Die in ihren vier Facultäten ein einheitliches
Ganze bildende Universität wurde dadurch in einzelne Facultäten zerrissen, dieneben
dem einzigen Mittelpunkte geistigen Lebens, neben Paris, geringe Bedeutung
hatten und der wissenschaftlichen Regsamkeit entbehrten. Das ehrwürdige
Gymnasium, neben dem sich ein modernes Lycöe erhob, blieb ungestört; es
setzte sich 1808 ein Seminarium daran, aber erst 1818 wurde die protestan¬
tische Facultät zur Bildung lutherischer Theologen gestiftet. Die Professoren
dieser protestantischen Anstalten haben allein die Gemeinschaft mit deutscher
Wissenschaft erhalten und nicht wenige derselben sind unter uns durch ihr
Wirken und ihre Werke rühmlichst bekannt. In den Friedensjahren der
Julimonarchie schwärmte wohl Mancher von dem Fraternisiren deutscher und
französischer Gelehrten und beanspruchte für sich die Vermittlerrolle zwischen
den zwei Nationen, yui marenent en tote ac 1a Civilisation. Jetzt, wo vom
Münsterthurme die deutsche Fahne weht, sind wir in ihren Augen rohe
Barbaren.

Wenn das jetzige Geschlecht in Straßburg der langen glorreichen deutschen Zeit
nicht mehr gedenken will, so mögen die Steine des Münsters es stündlich daran
erinnern, welches Anrecht wir haben. Wird Straßburg der Sitz einer deut¬
schen Hochschule, wie sie der alte Sturm bereits sich dachte, tritt die gewerb-
fleißige Stadt in das deutsche Handelsgebiet, so wird umsichtigen Behörden
die Ueberführung in die neuen Verhältnisse des Reichslandes nicht schwer
werden. Straßburg, das in stiller Sehnsucht die Lieder deutscher Soldaten
sogar als wunderschöne Stadt gefeiert, um das die Diplomaten auf dem
Wiener Congreß vergebens gerungen haben, das verlorene Gut, um das alle die
Dichter, die damals von des Kaisers und des Reiches Herrlichkeit sangen,
klagen, Straßburg hat der Krieg wieder zusammengelöthet mit dem gemein¬
samen Vaterlande; für dieses aber schließe ich mit dem Wunsche Rückerts:


griechischer Dichter Brunck, gleichfalls ein geborner Straßburger, lebte seit
1760 nur diesen Studien und gab sie, durch die Stürme der Revolution aus
seiner Muße aufgestört, und in dem Glauben bereits genug für die Wissen¬
schaft gethan zu haben, 1790 so gänzlich auf, daß er sogar seine Bibliothek
verkaufte und sibi soll vivsrs äeersvit.

Diese Revolution hat auch das geistige Band, welches die Männer der
Wissenschaft bis dahin mit Deutschland verband, zerrissen, wenn sie auch zu¬
nächst die protestantischen Institutionen Straßburgs noch verschonte. Das
erste Kaiserreich schuf die Universität, diese großartige Corporation, die alle
Gebiete des Unterrichts umfaßte und ihre Glieder durch Nährung des Ehr¬
geizes und der Ruhmsucht im Dienste napoleonischer Staatsprincipien ver¬
wendete. Auch Straßburg erhielt für die Departements des Ober- und
Niederrheins seine Academie. Die in ihren vier Facultäten ein einheitliches
Ganze bildende Universität wurde dadurch in einzelne Facultäten zerrissen, dieneben
dem einzigen Mittelpunkte geistigen Lebens, neben Paris, geringe Bedeutung
hatten und der wissenschaftlichen Regsamkeit entbehrten. Das ehrwürdige
Gymnasium, neben dem sich ein modernes Lycöe erhob, blieb ungestört; es
setzte sich 1808 ein Seminarium daran, aber erst 1818 wurde die protestan¬
tische Facultät zur Bildung lutherischer Theologen gestiftet. Die Professoren
dieser protestantischen Anstalten haben allein die Gemeinschaft mit deutscher
Wissenschaft erhalten und nicht wenige derselben sind unter uns durch ihr
Wirken und ihre Werke rühmlichst bekannt. In den Friedensjahren der
Julimonarchie schwärmte wohl Mancher von dem Fraternisiren deutscher und
französischer Gelehrten und beanspruchte für sich die Vermittlerrolle zwischen
den zwei Nationen, yui marenent en tote ac 1a Civilisation. Jetzt, wo vom
Münsterthurme die deutsche Fahne weht, sind wir in ihren Augen rohe
Barbaren.

Wenn das jetzige Geschlecht in Straßburg der langen glorreichen deutschen Zeit
nicht mehr gedenken will, so mögen die Steine des Münsters es stündlich daran
erinnern, welches Anrecht wir haben. Wird Straßburg der Sitz einer deut¬
schen Hochschule, wie sie der alte Sturm bereits sich dachte, tritt die gewerb-
fleißige Stadt in das deutsche Handelsgebiet, so wird umsichtigen Behörden
die Ueberführung in die neuen Verhältnisse des Reichslandes nicht schwer
werden. Straßburg, das in stiller Sehnsucht die Lieder deutscher Soldaten
sogar als wunderschöne Stadt gefeiert, um das die Diplomaten auf dem
Wiener Congreß vergebens gerungen haben, das verlorene Gut, um das alle die
Dichter, die damals von des Kaisers und des Reiches Herrlichkeit sangen,
klagen, Straßburg hat der Krieg wieder zusammengelöthet mit dem gemein¬
samen Vaterlande; für dieses aber schließe ich mit dem Wunsche Rückerts:


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[0222] griechischer Dichter Brunck, gleichfalls ein geborner Straßburger, lebte seit 1760 nur diesen Studien und gab sie, durch die Stürme der Revolution aus seiner Muße aufgestört, und in dem Glauben bereits genug für die Wissen¬ schaft gethan zu haben, 1790 so gänzlich auf, daß er sogar seine Bibliothek verkaufte und sibi soll vivsrs äeersvit. Diese Revolution hat auch das geistige Band, welches die Männer der Wissenschaft bis dahin mit Deutschland verband, zerrissen, wenn sie auch zu¬ nächst die protestantischen Institutionen Straßburgs noch verschonte. Das erste Kaiserreich schuf die Universität, diese großartige Corporation, die alle Gebiete des Unterrichts umfaßte und ihre Glieder durch Nährung des Ehr¬ geizes und der Ruhmsucht im Dienste napoleonischer Staatsprincipien ver¬ wendete. Auch Straßburg erhielt für die Departements des Ober- und Niederrheins seine Academie. Die in ihren vier Facultäten ein einheitliches Ganze bildende Universität wurde dadurch in einzelne Facultäten zerrissen, dieneben dem einzigen Mittelpunkte geistigen Lebens, neben Paris, geringe Bedeutung hatten und der wissenschaftlichen Regsamkeit entbehrten. Das ehrwürdige Gymnasium, neben dem sich ein modernes Lycöe erhob, blieb ungestört; es setzte sich 1808 ein Seminarium daran, aber erst 1818 wurde die protestan¬ tische Facultät zur Bildung lutherischer Theologen gestiftet. Die Professoren dieser protestantischen Anstalten haben allein die Gemeinschaft mit deutscher Wissenschaft erhalten und nicht wenige derselben sind unter uns durch ihr Wirken und ihre Werke rühmlichst bekannt. In den Friedensjahren der Julimonarchie schwärmte wohl Mancher von dem Fraternisiren deutscher und französischer Gelehrten und beanspruchte für sich die Vermittlerrolle zwischen den zwei Nationen, yui marenent en tote ac 1a Civilisation. Jetzt, wo vom Münsterthurme die deutsche Fahne weht, sind wir in ihren Augen rohe Barbaren. Wenn das jetzige Geschlecht in Straßburg der langen glorreichen deutschen Zeit nicht mehr gedenken will, so mögen die Steine des Münsters es stündlich daran erinnern, welches Anrecht wir haben. Wird Straßburg der Sitz einer deut¬ schen Hochschule, wie sie der alte Sturm bereits sich dachte, tritt die gewerb- fleißige Stadt in das deutsche Handelsgebiet, so wird umsichtigen Behörden die Ueberführung in die neuen Verhältnisse des Reichslandes nicht schwer werden. Straßburg, das in stiller Sehnsucht die Lieder deutscher Soldaten sogar als wunderschöne Stadt gefeiert, um das die Diplomaten auf dem Wiener Congreß vergebens gerungen haben, das verlorene Gut, um das alle die Dichter, die damals von des Kaisers und des Reiches Herrlichkeit sangen, klagen, Straßburg hat der Krieg wieder zusammengelöthet mit dem gemein¬ samen Vaterlande; für dieses aber schließe ich mit dem Wunsche Rückerts:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/222>, abgerufen am 21.10.2024.