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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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durch momentane Verlegungen der Anstalt nach Gengenbach und Weißenburg
(Epidemien nöthigten dazu) nicht zurückgeschreckt wurden, sondern auch durch
die Anerkennung der Fürsten. Die beste Anerkennung blieb allerdings die
Nachfolge anderer Schulen. Lauingen, Hornbach in der Pfalz und Trarbach
hat er selbst eingerichtet, bis nach dem äußersten Norden (ich nenne Flens-
burg) und nach dem Osten, wo der Rathsherr Heinrich Strobcmd das aca-
demische Gymnasium in Thorn nach dem Sturm'schen Borbilde einrichten
ließ, nach Basel und Gens, nach Württemberg, Augsburg und Altdorf, selbst
nach den sächsischen Ländern ging von ihm eine Anregung aus und was die
Jesuiten in ihrer Studienordnung Gutes haben, verdanken sie Sturm.
Manche seiner Lehrbücher sind bis in das vorige Jahrhundert im Gebrauch
geblieben.

Anderes, was Sturm geplant, ist nicht zur vollen Ausführung gekom¬
men; die Academie wurde zwar 1366 eingeweiht, führte aber selbst in der
philosophischen Facultät nur eine kärgliche Existenz. Der Gedanke, welchen
er mit seinem großen Namensvetter getheilt, aber erst 1367 an die Scholar¬
chen gebracht hatte, daß "eine vollkommene Academie mit gemeinen Kosten
aller protestirenden angerichtet werden möchte, in welche aus allen Nationen,
ja auch aus den Bäpstischen gelehrte, hochverständige und vortreffliche Män¬
ner, die alle Völker mit Lehr und Geschicklichkeit übertreffen, deren Ansehen
und Autorität Niemand könnte und möchte verachten und deren ein jeder in
seiner Kunst vollkommen, zusammenberufen würden" -- blieb ein schöner
Gedanke, dessen Ausführung wir jetzt mit Sicherheit hoffen. Wie wäre dies
möglich gewesen in jenen Tagen lutherischer Reaction, die auch Straßburg,
das unter den Vorkämpfern der Glaubens- und Gewissensfreiheit immer ge¬
standen hatte, von der freien Bahn zurückdrängte. Die fanatischen Luthera¬
ner hätten 1880 die Concordienformel, jene berüchtigte eonevräia, Zisovrg, zu
Stande gebracht. In Straßburg hatte schon vorher Johann Marbach den
Buchstaben des Augsburger Bekenntnisses durchgesetzt, den Gottesdienst nach
den sächsischen Normen eingerichtet, das Verbot calvinischen Gottesdienstes
erwirkt; sein Nachfolger Johann Pappus brachte auch die Concordienformel
zur Geltung. Sturm, der sein ganzes Leben für die Versöhnung der streiten¬
den Parteien gewirkt hatte, der in heftigen Streitschriften auch Pappus be¬
kämpfte (sein unermüdlicher Kampfgenosse war kein geringerer als Johannes
Fischart), der in der Auffassung der friedlichen Worte: "das ist mein Leib"
auf Seiten der Schweizer stand, Sturm verweigerte seine Unterschrift und der
Rath war schwach genug dem Drängen fanatischer Pfaffen nachzugeben und
den hochverdienten Mann von dem Rectorate 1381 zu entfernen. In stiller
Zurückgezogenheit lebte er während seiner letzten Lebensjahre auf seinem Land-


durch momentane Verlegungen der Anstalt nach Gengenbach und Weißenburg
(Epidemien nöthigten dazu) nicht zurückgeschreckt wurden, sondern auch durch
die Anerkennung der Fürsten. Die beste Anerkennung blieb allerdings die
Nachfolge anderer Schulen. Lauingen, Hornbach in der Pfalz und Trarbach
hat er selbst eingerichtet, bis nach dem äußersten Norden (ich nenne Flens-
burg) und nach dem Osten, wo der Rathsherr Heinrich Strobcmd das aca-
demische Gymnasium in Thorn nach dem Sturm'schen Borbilde einrichten
ließ, nach Basel und Gens, nach Württemberg, Augsburg und Altdorf, selbst
nach den sächsischen Ländern ging von ihm eine Anregung aus und was die
Jesuiten in ihrer Studienordnung Gutes haben, verdanken sie Sturm.
Manche seiner Lehrbücher sind bis in das vorige Jahrhundert im Gebrauch
geblieben.

Anderes, was Sturm geplant, ist nicht zur vollen Ausführung gekom¬
men; die Academie wurde zwar 1366 eingeweiht, führte aber selbst in der
philosophischen Facultät nur eine kärgliche Existenz. Der Gedanke, welchen
er mit seinem großen Namensvetter getheilt, aber erst 1367 an die Scholar¬
chen gebracht hatte, daß „eine vollkommene Academie mit gemeinen Kosten
aller protestirenden angerichtet werden möchte, in welche aus allen Nationen,
ja auch aus den Bäpstischen gelehrte, hochverständige und vortreffliche Män¬
ner, die alle Völker mit Lehr und Geschicklichkeit übertreffen, deren Ansehen
und Autorität Niemand könnte und möchte verachten und deren ein jeder in
seiner Kunst vollkommen, zusammenberufen würden" — blieb ein schöner
Gedanke, dessen Ausführung wir jetzt mit Sicherheit hoffen. Wie wäre dies
möglich gewesen in jenen Tagen lutherischer Reaction, die auch Straßburg,
das unter den Vorkämpfern der Glaubens- und Gewissensfreiheit immer ge¬
standen hatte, von der freien Bahn zurückdrängte. Die fanatischen Luthera¬
ner hätten 1880 die Concordienformel, jene berüchtigte eonevräia, Zisovrg, zu
Stande gebracht. In Straßburg hatte schon vorher Johann Marbach den
Buchstaben des Augsburger Bekenntnisses durchgesetzt, den Gottesdienst nach
den sächsischen Normen eingerichtet, das Verbot calvinischen Gottesdienstes
erwirkt; sein Nachfolger Johann Pappus brachte auch die Concordienformel
zur Geltung. Sturm, der sein ganzes Leben für die Versöhnung der streiten¬
den Parteien gewirkt hatte, der in heftigen Streitschriften auch Pappus be¬
kämpfte (sein unermüdlicher Kampfgenosse war kein geringerer als Johannes
Fischart), der in der Auffassung der friedlichen Worte: „das ist mein Leib"
auf Seiten der Schweizer stand, Sturm verweigerte seine Unterschrift und der
Rath war schwach genug dem Drängen fanatischer Pfaffen nachzugeben und
den hochverdienten Mann von dem Rectorate 1381 zu entfernen. In stiller
Zurückgezogenheit lebte er während seiner letzten Lebensjahre auf seinem Land-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/220>, abgerufen am 29.09.2024.