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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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dasselbe eröffnet und am Johannistage Sturm zum ersten Rector ernannt.
Ein fest gegliederter Unterrichtsplan ward von ihm entworfen, nach welchem der
Schüler von dem ersten Schulalter bis zur Vollendung der academischen Studien
erzogen werden sollte; für seine Durchführung sorgte er mit seltener Energie,
tüchtige Lehrer, für die er 1364 eine besondere Anweisung schrieb, standen
ihm zur Seite. Laxisns g.tyuo eloguens xietas ist sein Ziel, eine straffe Con-
centration des Unterrichts und strenge Zucht der Weg, auf welchem er die
Jugend zu diesem Ziele führt. Während Melanchthon und die Wittenberger
durch die Errichtung von Schulen zunächst das dringende Bedürfniß der Kirche
befriedigen und dieser einsichtigere Diener schaffen wollten, woraus sich der theo¬
logische Zuschnitt und die Vorliebe für theologische Dressur in protestantischen
Klosterschulen erklärt, erhebt sich unser Straßburger zu einem höheren und
freieren Standpunkte und berücksichtigt auch die Bedürfnisse des Staates und
seiner Verwaltung. Darum behauptet die lateinische Sprache das Ueberge¬
wicht; denn lateinisch mußte die Jugend noch bleiben, weil diese Sprache
nicht blos unter den Gelehrten herrschte, sondern auch in den Kanzleien der
Fürsten und Städte, in den Gerichtshöfen und in dem diplomatischen Verkehr
hauptsächlich angewendet wurde. Die Vorlesung des Bekenntnisses auf dem
Reichstage zu Augsburg in deutscher Sprache,- die Abfassung der peinlichen
Gerichtsordnung (1532), in derselben waren schwache Anfänge einer Verbes¬
serung. Dabei muß Sturm als großes Verdienst angerechnet werden, daß
er sich unablässig bemühte, die lateinische Darstellung zu der alten Reinheit
und Schönheit zurückzuführen, mit der er sie selbst meisterlich handhabte.
Auch in einem andern Punkte steht er weit über den norddeutschen Schul¬
männern. Der griechische Unterricht, der hier so spärlich oder auch gar nicht
bedacht war, erstreckt sich bei ihm bis zu den Tragikern und Aristophanes, er fordert
die parallele Behandlung von Demosthenes und Cicero, Homer und Virgil,
Thuchdides und Sallust. Der Rath sorgte für ausgezeichnete Lehrer auch in die¬
sem Fache. Bedrot, Paolo Lacisio aus Rom, Günther von Andernach, Gott¬
lieb Gott sind auch heute in der Geschichte der Wissenschaften nicht vergessen.
Wenn ihm aber von solchen, die nach jetzigem Maße messen, der Vorwurf
gemacht wird, daß er der Muttersprache keinen Platz in der Schule einge¬
räumt habe, so vergessen sie ganz, daß es außer dem Katechismus ein deut¬
sches Lesebuch nicht gab, daß Luthers deutsche Bibel, von der Sturm mit der
größten Verehrung spricht, erst seit dem Anfange des 18. Jahrhunderts in
unsere Schulen gekommen ist und übersehen die interessante Vorrede über das
Studium der modernen Sprachen, welche Sturm 1573 zu der ersten deutschen
Grammatik des Straßburger Notar Albert Oelinger geschrieben hat.

Er sah sein Streben glänzend belohnt nicht blos durch die große Schaar
von Schülern, die seines Namens Ruhm nach Straßburg lockte und die auch


dasselbe eröffnet und am Johannistage Sturm zum ersten Rector ernannt.
Ein fest gegliederter Unterrichtsplan ward von ihm entworfen, nach welchem der
Schüler von dem ersten Schulalter bis zur Vollendung der academischen Studien
erzogen werden sollte; für seine Durchführung sorgte er mit seltener Energie,
tüchtige Lehrer, für die er 1364 eine besondere Anweisung schrieb, standen
ihm zur Seite. Laxisns g.tyuo eloguens xietas ist sein Ziel, eine straffe Con-
centration des Unterrichts und strenge Zucht der Weg, auf welchem er die
Jugend zu diesem Ziele führt. Während Melanchthon und die Wittenberger
durch die Errichtung von Schulen zunächst das dringende Bedürfniß der Kirche
befriedigen und dieser einsichtigere Diener schaffen wollten, woraus sich der theo¬
logische Zuschnitt und die Vorliebe für theologische Dressur in protestantischen
Klosterschulen erklärt, erhebt sich unser Straßburger zu einem höheren und
freieren Standpunkte und berücksichtigt auch die Bedürfnisse des Staates und
seiner Verwaltung. Darum behauptet die lateinische Sprache das Ueberge¬
wicht; denn lateinisch mußte die Jugend noch bleiben, weil diese Sprache
nicht blos unter den Gelehrten herrschte, sondern auch in den Kanzleien der
Fürsten und Städte, in den Gerichtshöfen und in dem diplomatischen Verkehr
hauptsächlich angewendet wurde. Die Vorlesung des Bekenntnisses auf dem
Reichstage zu Augsburg in deutscher Sprache,- die Abfassung der peinlichen
Gerichtsordnung (1532), in derselben waren schwache Anfänge einer Verbes¬
serung. Dabei muß Sturm als großes Verdienst angerechnet werden, daß
er sich unablässig bemühte, die lateinische Darstellung zu der alten Reinheit
und Schönheit zurückzuführen, mit der er sie selbst meisterlich handhabte.
Auch in einem andern Punkte steht er weit über den norddeutschen Schul¬
männern. Der griechische Unterricht, der hier so spärlich oder auch gar nicht
bedacht war, erstreckt sich bei ihm bis zu den Tragikern und Aristophanes, er fordert
die parallele Behandlung von Demosthenes und Cicero, Homer und Virgil,
Thuchdides und Sallust. Der Rath sorgte für ausgezeichnete Lehrer auch in die¬
sem Fache. Bedrot, Paolo Lacisio aus Rom, Günther von Andernach, Gott¬
lieb Gott sind auch heute in der Geschichte der Wissenschaften nicht vergessen.
Wenn ihm aber von solchen, die nach jetzigem Maße messen, der Vorwurf
gemacht wird, daß er der Muttersprache keinen Platz in der Schule einge¬
räumt habe, so vergessen sie ganz, daß es außer dem Katechismus ein deut¬
sches Lesebuch nicht gab, daß Luthers deutsche Bibel, von der Sturm mit der
größten Verehrung spricht, erst seit dem Anfange des 18. Jahrhunderts in
unsere Schulen gekommen ist und übersehen die interessante Vorrede über das
Studium der modernen Sprachen, welche Sturm 1573 zu der ersten deutschen
Grammatik des Straßburger Notar Albert Oelinger geschrieben hat.

Er sah sein Streben glänzend belohnt nicht blos durch die große Schaar
von Schülern, die seines Namens Ruhm nach Straßburg lockte und die auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/219>, abgerufen am 29.09.2024.