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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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rufenste. Dieser entwickelte dabei mit einer für jene unfreien Zeiten bewunde¬
rungswürdigen Toleranz, daß die Juden unsere Mitbürger seien; die Obrigkeit
habe kein Recht, ihnen ihre Schriften zu nehmen (nur zwei Schmähbücher
nahm er aus); was die Juden gegen die Christen dächten, dürfe von diesen
nicht gerichtet werden. Damit erhob er das Banner der Gewissensfreiheit,
die zu unterdrücken am wenigsten dem Christenthums ziemte. Die Domini¬
kaner, die berufenen Ketzerrichter, und vor Allem der fanatische Ketzermeister
der rheinischen Erzdiöcesen, Jacob Hoogstraten, nahmen den anfangs nur
zwischen Reuchlin und Pfefferkorn geführten Streit auf un d wußten die Uni¬
versitäten, den Kaiser, endlich die päpstliche Curie hineinzuziehen. Es war
nicht mehr die Bücherfrage, um die es sich handelte, sondern die Berechtigung
der freien Meinungsäußerung gegenüber der Verketzerungssucht der alten
Schule. Die ganze gebildete Welt war in zwei feindliche Lager getheilt, hier
die Humanisten, die in Reuchlin ihre gemeinsame Sache gefährdet sahen, dort
die Mönchsorden und deren Freunde, oder, wie Müde in Gotha derb sich aus¬
drückte, die Dummen. Keine Waffe blieb unbenutzt; die wuchtigste wurde die
Satire und mit dieser ist in den Briefen der Dunkelmänner feit 1513 der Haupt¬
schlag geführt. Dem Erfurter Humanistenkreise, insbesondere Johann Jäger
von Dornheim und dem kampfesmuthigen Ritter Ulrich von Hütten gebührt
das Verdienst dieser treffend angewendeten Persiflage. Die Straßburger sind
dabei unbetheiligt geblieben, auch Brandt, der doch so oft sein Wort gegen den
Hochmuth und die Unwissenheit der Pfaffen erhoben hatte. Damit ist aber
nicht gesagt, daß die Stadt keine Reuchlinisten gehabt habe. In dem Ver¬
zeichnisse sind wenigstens sieben Straßburger aufgezählt; Bestimmteres ergiebt
sich über Einige aus dem ergetzlichen Gedichte, in welchem Mag. Schlauraff
(eine Raumbildung wie Maulaffe, Zieraffe) von den Angriffen erzählt, die
er an den verschiedensten Orten Deutschlands von den Poeten erfahren hat.
Auf offener Straße in Straßburg verwickelt ihn der wackere Jurist Gerbel in
eine Disputation, Brandt will ihn in das Narrenschiff bringen lassen, Schü¬
rer verweist ihn in das Schlauraffenland, in dem er ohnehin wohl be¬
kannt sei.

Es ist ein eigenthümlicher Zug der Straßburger, daß sie sich in ihrem
Kampfe gegen das Alte der Muttersprache bedienen, wie Gener, Brandt und
später Fischart; es mag dies hervorgegangen sein aus dem vaterländischen
Interesse, das hier viel lebendiger war als in anderen, sonst gleichgesinnten
Kreisen. Auch hier steht Wimpheling voran. 1502 vollendete er seines
Freundes Murrho in Colmar Abriß der deutschen Geschichte in lateinischer
Sprache. Von den Cimbern an, die zur Zeit Homer's oder kurz vor ihm
den Grund zu germanischen Siegen gelegt haben sollen, bis auf feine Zeit
verfolgt er die Großthaten des deutschen Volkes, feiert seine Tugenden, preist


rufenste. Dieser entwickelte dabei mit einer für jene unfreien Zeiten bewunde¬
rungswürdigen Toleranz, daß die Juden unsere Mitbürger seien; die Obrigkeit
habe kein Recht, ihnen ihre Schriften zu nehmen (nur zwei Schmähbücher
nahm er aus); was die Juden gegen die Christen dächten, dürfe von diesen
nicht gerichtet werden. Damit erhob er das Banner der Gewissensfreiheit,
die zu unterdrücken am wenigsten dem Christenthums ziemte. Die Domini¬
kaner, die berufenen Ketzerrichter, und vor Allem der fanatische Ketzermeister
der rheinischen Erzdiöcesen, Jacob Hoogstraten, nahmen den anfangs nur
zwischen Reuchlin und Pfefferkorn geführten Streit auf un d wußten die Uni¬
versitäten, den Kaiser, endlich die päpstliche Curie hineinzuziehen. Es war
nicht mehr die Bücherfrage, um die es sich handelte, sondern die Berechtigung
der freien Meinungsäußerung gegenüber der Verketzerungssucht der alten
Schule. Die ganze gebildete Welt war in zwei feindliche Lager getheilt, hier
die Humanisten, die in Reuchlin ihre gemeinsame Sache gefährdet sahen, dort
die Mönchsorden und deren Freunde, oder, wie Müde in Gotha derb sich aus¬
drückte, die Dummen. Keine Waffe blieb unbenutzt; die wuchtigste wurde die
Satire und mit dieser ist in den Briefen der Dunkelmänner feit 1513 der Haupt¬
schlag geführt. Dem Erfurter Humanistenkreise, insbesondere Johann Jäger
von Dornheim und dem kampfesmuthigen Ritter Ulrich von Hütten gebührt
das Verdienst dieser treffend angewendeten Persiflage. Die Straßburger sind
dabei unbetheiligt geblieben, auch Brandt, der doch so oft sein Wort gegen den
Hochmuth und die Unwissenheit der Pfaffen erhoben hatte. Damit ist aber
nicht gesagt, daß die Stadt keine Reuchlinisten gehabt habe. In dem Ver¬
zeichnisse sind wenigstens sieben Straßburger aufgezählt; Bestimmteres ergiebt
sich über Einige aus dem ergetzlichen Gedichte, in welchem Mag. Schlauraff
(eine Raumbildung wie Maulaffe, Zieraffe) von den Angriffen erzählt, die
er an den verschiedensten Orten Deutschlands von den Poeten erfahren hat.
Auf offener Straße in Straßburg verwickelt ihn der wackere Jurist Gerbel in
eine Disputation, Brandt will ihn in das Narrenschiff bringen lassen, Schü¬
rer verweist ihn in das Schlauraffenland, in dem er ohnehin wohl be¬
kannt sei.

Es ist ein eigenthümlicher Zug der Straßburger, daß sie sich in ihrem
Kampfe gegen das Alte der Muttersprache bedienen, wie Gener, Brandt und
später Fischart; es mag dies hervorgegangen sein aus dem vaterländischen
Interesse, das hier viel lebendiger war als in anderen, sonst gleichgesinnten
Kreisen. Auch hier steht Wimpheling voran. 1502 vollendete er seines
Freundes Murrho in Colmar Abriß der deutschen Geschichte in lateinischer
Sprache. Von den Cimbern an, die zur Zeit Homer's oder kurz vor ihm
den Grund zu germanischen Siegen gelegt haben sollen, bis auf feine Zeit
verfolgt er die Großthaten des deutschen Volkes, feiert seine Tugenden, preist


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[0215] rufenste. Dieser entwickelte dabei mit einer für jene unfreien Zeiten bewunde¬ rungswürdigen Toleranz, daß die Juden unsere Mitbürger seien; die Obrigkeit habe kein Recht, ihnen ihre Schriften zu nehmen (nur zwei Schmähbücher nahm er aus); was die Juden gegen die Christen dächten, dürfe von diesen nicht gerichtet werden. Damit erhob er das Banner der Gewissensfreiheit, die zu unterdrücken am wenigsten dem Christenthums ziemte. Die Domini¬ kaner, die berufenen Ketzerrichter, und vor Allem der fanatische Ketzermeister der rheinischen Erzdiöcesen, Jacob Hoogstraten, nahmen den anfangs nur zwischen Reuchlin und Pfefferkorn geführten Streit auf un d wußten die Uni¬ versitäten, den Kaiser, endlich die päpstliche Curie hineinzuziehen. Es war nicht mehr die Bücherfrage, um die es sich handelte, sondern die Berechtigung der freien Meinungsäußerung gegenüber der Verketzerungssucht der alten Schule. Die ganze gebildete Welt war in zwei feindliche Lager getheilt, hier die Humanisten, die in Reuchlin ihre gemeinsame Sache gefährdet sahen, dort die Mönchsorden und deren Freunde, oder, wie Müde in Gotha derb sich aus¬ drückte, die Dummen. Keine Waffe blieb unbenutzt; die wuchtigste wurde die Satire und mit dieser ist in den Briefen der Dunkelmänner feit 1513 der Haupt¬ schlag geführt. Dem Erfurter Humanistenkreise, insbesondere Johann Jäger von Dornheim und dem kampfesmuthigen Ritter Ulrich von Hütten gebührt das Verdienst dieser treffend angewendeten Persiflage. Die Straßburger sind dabei unbetheiligt geblieben, auch Brandt, der doch so oft sein Wort gegen den Hochmuth und die Unwissenheit der Pfaffen erhoben hatte. Damit ist aber nicht gesagt, daß die Stadt keine Reuchlinisten gehabt habe. In dem Ver¬ zeichnisse sind wenigstens sieben Straßburger aufgezählt; Bestimmteres ergiebt sich über Einige aus dem ergetzlichen Gedichte, in welchem Mag. Schlauraff (eine Raumbildung wie Maulaffe, Zieraffe) von den Angriffen erzählt, die er an den verschiedensten Orten Deutschlands von den Poeten erfahren hat. Auf offener Straße in Straßburg verwickelt ihn der wackere Jurist Gerbel in eine Disputation, Brandt will ihn in das Narrenschiff bringen lassen, Schü¬ rer verweist ihn in das Schlauraffenland, in dem er ohnehin wohl be¬ kannt sei. Es ist ein eigenthümlicher Zug der Straßburger, daß sie sich in ihrem Kampfe gegen das Alte der Muttersprache bedienen, wie Gener, Brandt und später Fischart; es mag dies hervorgegangen sein aus dem vaterländischen Interesse, das hier viel lebendiger war als in anderen, sonst gleichgesinnten Kreisen. Auch hier steht Wimpheling voran. 1502 vollendete er seines Freundes Murrho in Colmar Abriß der deutschen Geschichte in lateinischer Sprache. Von den Cimbern an, die zur Zeit Homer's oder kurz vor ihm den Grund zu germanischen Siegen gelegt haben sollen, bis auf feine Zeit verfolgt er die Großthaten des deutschen Volkes, feiert seine Tugenden, preist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/215>, abgerufen am 04.01.2025.