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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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berühmte Stiftsprediger Gener von Keisersberg, der rieben der Bibel und den
Kirchenvätern auch die römischen Classiker eifrig zu lesen pflegte, aber freilich
von der Dichterlektüre schlimme Folgen befürchtete und der Scholastik treuer
Anhänger blieb, ferner die Domherrn Peter Schott und Thomas Wolf, die
Italien besucht hatten, daneben Aerzte. Rechtskundige und Lehrer.

Von größerer Bedeutung wurden seit dem Jahre 1S01 Sebastian
Brandt und Jacob Wimpheling. Brandt lehrte an der Baseler Uni¬
versität classische Litteratur und Jurisprudenz; schon dort hatte er 1494 das
viel bewunderte Narrenschiff veröffentlicht. Aber als sich die alte Basilea
vom deutschen Reiche getrennt hatte, war ihm der dortige Aufenthalt ver¬
leidet und er bewarb sich um die Stelle eines Stadtschreibes (Erzkanzler nennt
er es vornehmer) in seiner Vaterstadt. Freudig nahm die Stadt den berühmten
Landsmann wieder auf. Ob er in dieser Stellung, wie Gener in seinem Em¬
pfehlungsschreiben in Aussicht stellte, "alle Tage den Bürgerssöhnen gelesen
und sie gelehrt habe, was sie in fremden Landen mit großen Kosten erholen
mußten," wissen wir nicht, das aber wissen wir, daß seine vielseitige wissen¬
schaftliche Thätigkeit auch unter dem Drucke der Amtsgeschäfte nicht aufgehört
hat, daß er das thätigste Mitglied der 8vel<zea5 littei-aris, ^rZöntoratsusis
wurde, welche Jacob Wimpheling stiftete, als er durch Gener bewogen
seinen Wohnsitz von Heidelberg nach Straßburg verlegte und mit manchen
Unterbrechungen bis 1520 beibehielt. Daß Wimpheling, damals das Haupt
der Humanisten Straßburgs, Gründer der Gesellschaft war, wissen wir durch
das Zeugniß feines Schülers Johann Kierher aus Speier; in einem Briefe
an Erasmus vom 1. Septbr. 1514 zählt er selbst die vorzüglichsten Mitglieder
auf. Den Reigen führen Brandt und der Städtemeister Jacob Sturm, der
gelehrte Buchdrucker Matthias Schürer, der Lehrer an der Domschule Hie-
roriymus Gebweiler, der tüchtige Grieche Ottomar Nachtigall, Peter Heldung
und andere, deren Namen jetzt weniger bekannt sind.

Wimpheling entwickelte einen unermüdlichen Eiser für die neue Wissen¬
schaft. Ausgezeichnete Männer sind seine Schüler gewesen, auf weitere Kreise
wirkten seine Schriften, in denen er auch der akademischen Jugend einen nach
Höherem strebenden Geist einzupflanzen oder den Fürstensöhnen das Schwie¬
rige und Erhabene ihres künftigen Berufs vorzustellen bemüht war. Selbst
an das Volk richtete er immer und immer wieder die Mahnung, das Joch
mittelalterlicher Barbarei abzuschütteln. Er that dies federfertiger und beredter
als andere Zeitgenossen und reizte dadurch die Anhänger des Alten, insbe¬
sondere die Mönchsorden, die überall Händel suchten mit ihren Gegnern, sie in
Processe verwickelten und die geistliche Gerichtsbarkeit gegen sie anriefen.
Solcher Kämpfe haben wir in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts
zwei oder gar, wenn wir der Kurzsichtigkeit der römischen Curie in der Be-


berühmte Stiftsprediger Gener von Keisersberg, der rieben der Bibel und den
Kirchenvätern auch die römischen Classiker eifrig zu lesen pflegte, aber freilich
von der Dichterlektüre schlimme Folgen befürchtete und der Scholastik treuer
Anhänger blieb, ferner die Domherrn Peter Schott und Thomas Wolf, die
Italien besucht hatten, daneben Aerzte. Rechtskundige und Lehrer.

Von größerer Bedeutung wurden seit dem Jahre 1S01 Sebastian
Brandt und Jacob Wimpheling. Brandt lehrte an der Baseler Uni¬
versität classische Litteratur und Jurisprudenz; schon dort hatte er 1494 das
viel bewunderte Narrenschiff veröffentlicht. Aber als sich die alte Basilea
vom deutschen Reiche getrennt hatte, war ihm der dortige Aufenthalt ver¬
leidet und er bewarb sich um die Stelle eines Stadtschreibes (Erzkanzler nennt
er es vornehmer) in seiner Vaterstadt. Freudig nahm die Stadt den berühmten
Landsmann wieder auf. Ob er in dieser Stellung, wie Gener in seinem Em¬
pfehlungsschreiben in Aussicht stellte, „alle Tage den Bürgerssöhnen gelesen
und sie gelehrt habe, was sie in fremden Landen mit großen Kosten erholen
mußten," wissen wir nicht, das aber wissen wir, daß seine vielseitige wissen¬
schaftliche Thätigkeit auch unter dem Drucke der Amtsgeschäfte nicht aufgehört
hat, daß er das thätigste Mitglied der 8vel<zea5 littei-aris, ^rZöntoratsusis
wurde, welche Jacob Wimpheling stiftete, als er durch Gener bewogen
seinen Wohnsitz von Heidelberg nach Straßburg verlegte und mit manchen
Unterbrechungen bis 1520 beibehielt. Daß Wimpheling, damals das Haupt
der Humanisten Straßburgs, Gründer der Gesellschaft war, wissen wir durch
das Zeugniß feines Schülers Johann Kierher aus Speier; in einem Briefe
an Erasmus vom 1. Septbr. 1514 zählt er selbst die vorzüglichsten Mitglieder
auf. Den Reigen führen Brandt und der Städtemeister Jacob Sturm, der
gelehrte Buchdrucker Matthias Schürer, der Lehrer an der Domschule Hie-
roriymus Gebweiler, der tüchtige Grieche Ottomar Nachtigall, Peter Heldung
und andere, deren Namen jetzt weniger bekannt sind.

Wimpheling entwickelte einen unermüdlichen Eiser für die neue Wissen¬
schaft. Ausgezeichnete Männer sind seine Schüler gewesen, auf weitere Kreise
wirkten seine Schriften, in denen er auch der akademischen Jugend einen nach
Höherem strebenden Geist einzupflanzen oder den Fürstensöhnen das Schwie¬
rige und Erhabene ihres künftigen Berufs vorzustellen bemüht war. Selbst
an das Volk richtete er immer und immer wieder die Mahnung, das Joch
mittelalterlicher Barbarei abzuschütteln. Er that dies federfertiger und beredter
als andere Zeitgenossen und reizte dadurch die Anhänger des Alten, insbe¬
sondere die Mönchsorden, die überall Händel suchten mit ihren Gegnern, sie in
Processe verwickelten und die geistliche Gerichtsbarkeit gegen sie anriefen.
Solcher Kämpfe haben wir in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts
zwei oder gar, wenn wir der Kurzsichtigkeit der römischen Curie in der Be-


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[0213] berühmte Stiftsprediger Gener von Keisersberg, der rieben der Bibel und den Kirchenvätern auch die römischen Classiker eifrig zu lesen pflegte, aber freilich von der Dichterlektüre schlimme Folgen befürchtete und der Scholastik treuer Anhänger blieb, ferner die Domherrn Peter Schott und Thomas Wolf, die Italien besucht hatten, daneben Aerzte. Rechtskundige und Lehrer. Von größerer Bedeutung wurden seit dem Jahre 1S01 Sebastian Brandt und Jacob Wimpheling. Brandt lehrte an der Baseler Uni¬ versität classische Litteratur und Jurisprudenz; schon dort hatte er 1494 das viel bewunderte Narrenschiff veröffentlicht. Aber als sich die alte Basilea vom deutschen Reiche getrennt hatte, war ihm der dortige Aufenthalt ver¬ leidet und er bewarb sich um die Stelle eines Stadtschreibes (Erzkanzler nennt er es vornehmer) in seiner Vaterstadt. Freudig nahm die Stadt den berühmten Landsmann wieder auf. Ob er in dieser Stellung, wie Gener in seinem Em¬ pfehlungsschreiben in Aussicht stellte, „alle Tage den Bürgerssöhnen gelesen und sie gelehrt habe, was sie in fremden Landen mit großen Kosten erholen mußten," wissen wir nicht, das aber wissen wir, daß seine vielseitige wissen¬ schaftliche Thätigkeit auch unter dem Drucke der Amtsgeschäfte nicht aufgehört hat, daß er das thätigste Mitglied der 8vel<zea5 littei-aris, ^rZöntoratsusis wurde, welche Jacob Wimpheling stiftete, als er durch Gener bewogen seinen Wohnsitz von Heidelberg nach Straßburg verlegte und mit manchen Unterbrechungen bis 1520 beibehielt. Daß Wimpheling, damals das Haupt der Humanisten Straßburgs, Gründer der Gesellschaft war, wissen wir durch das Zeugniß feines Schülers Johann Kierher aus Speier; in einem Briefe an Erasmus vom 1. Septbr. 1514 zählt er selbst die vorzüglichsten Mitglieder auf. Den Reigen führen Brandt und der Städtemeister Jacob Sturm, der gelehrte Buchdrucker Matthias Schürer, der Lehrer an der Domschule Hie- roriymus Gebweiler, der tüchtige Grieche Ottomar Nachtigall, Peter Heldung und andere, deren Namen jetzt weniger bekannt sind. Wimpheling entwickelte einen unermüdlichen Eiser für die neue Wissen¬ schaft. Ausgezeichnete Männer sind seine Schüler gewesen, auf weitere Kreise wirkten seine Schriften, in denen er auch der akademischen Jugend einen nach Höherem strebenden Geist einzupflanzen oder den Fürstensöhnen das Schwie¬ rige und Erhabene ihres künftigen Berufs vorzustellen bemüht war. Selbst an das Volk richtete er immer und immer wieder die Mahnung, das Joch mittelalterlicher Barbarei abzuschütteln. Er that dies federfertiger und beredter als andere Zeitgenossen und reizte dadurch die Anhänger des Alten, insbe¬ sondere die Mönchsorden, die überall Händel suchten mit ihren Gegnern, sie in Processe verwickelten und die geistliche Gerichtsbarkeit gegen sie anriefen. Solcher Kämpfe haben wir in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts zwei oder gar, wenn wir der Kurzsichtigkeit der römischen Curie in der Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/213>, abgerufen am 29.09.2024.