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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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An den prunkvollen Höfen der zahlreichen Tyrannen und in den blühen¬
den Republiken Italiens sammelten sich die Anhänger der wiedergewonnenen
Wissenschaft und zu ihren Füßen saßen lernbegierige Jünglinge und Männer aus
allen Ländern, unter ihnen die Deutschen an Zahl und Eifer hervortretend.
Aber die Wiederbelebung der classischen Studien würde in ihren Wirkungen
weniger rasch und erfolgreich gewesen sein, wenn sie nicht an der Kunst
eine sichere Stütze gefunden hätte, welche der Mainzer Patrizier Johann
Gensfleisch von Gutenberg durch Aufstellung der ersten Druckerpresse in Stra߬
burg erfand und später erst in seiner Baterstadt durch die beweglichen Lettern
vervollkommnete. Auch so ist Straßburg eine Straße geworden, auf welcher
die neue Bildung überallhin ihren Einzug nehmen konnte; es ist aber auch
in anderen Beziehungen für den Humanismus thätig gewesen und überall
auf dem Plane, wo es gilt den Kampf für die Freiheit durchzufechten.

Freilich steht Münster, wo man durch theologische Bestrebungen enger an
das Mittelalter anknüpfte, in der Zeit voran, auch Erfurt, wo die freisinnige
Bürgerschaft eine der clericalen Bevormundung entzogene Universität gestiftet
hatte, und Heidelberg die Stadt, nicht die Universität, ward durch Dalbergs
Einfluß früher betheiligt. Aber um die Mitte des 15. Jahrhunderts sind
bereits die Männer geboren, welche in Straßburg die neue Zeit herbeiführen
sollten. Es ging damit wie in Italien so in Deutschland. Die Humanisten
führten dort ein rastloses Wanderleben und auch bei uns fehlte es nicht an
diesen Reisepredigern, welche den Verkehr unter den Gesinnungsgenossen be¬
lebten, den Scholasticimus bekämpften, alte Dichterwerke erklärten und neue
schufen (darum Poeten.) Der rührigste ist gegen den Ausgang des 1?. Jahr¬
hunderts Conrad Celtis (Pikel) aus Franken, der, ehe er 1497 eine bleibende
Stätte in Wien fand, durch ganz Deutschland zog, besonders die Universitäten be¬
suchte, überall Vorträge hielt und Genossenschaften gründete, welcheder Mittelpunkt
für die Verbreitung des Humanismus geworden sind. Zu Krakau entstand
die soclaliwL littsraria Vistulana an der Weichsel, die vMuviang. scheiterte zunächst
an den ungünstigen politischen Verhältnissen in Wien und kam erst 1497 zu
Stande, die Ls-Ities, oder ^Ibing. für die niederdeutschen Landschaften ist nur be¬
absichtigt, ebenso ein großer Verein für das gesammte Deutschland; aber in Mainz
constituirte er 1491 die Knöng.ng,, welche ihren Mittelpunkt in Heidelberg er¬
hielt und rheinauf- und abwärts zahlreiche nospitss zählte. Die Mitglieder
unterstützten sich in ihren wissenschaftlichen Arbeiten (darauf beruht die
abenteuerliche Behauptung Aschbachs, daß die Werke der Gcmdersheimer Nonne
Hrotsuit aus diesem Kreise gefälscht seien, um Deutschland als Vorläufer
Italiens auf diesem Gebiete erscheinen zu lassen), theilten einander ihre Schrif¬
ten zur Beurtheilung mit und halfen sie in weitere Kreise verbreiten. Bon
Straßburgern gehörten zu jenem Kreise der durch seine satirischen Predigten


An den prunkvollen Höfen der zahlreichen Tyrannen und in den blühen¬
den Republiken Italiens sammelten sich die Anhänger der wiedergewonnenen
Wissenschaft und zu ihren Füßen saßen lernbegierige Jünglinge und Männer aus
allen Ländern, unter ihnen die Deutschen an Zahl und Eifer hervortretend.
Aber die Wiederbelebung der classischen Studien würde in ihren Wirkungen
weniger rasch und erfolgreich gewesen sein, wenn sie nicht an der Kunst
eine sichere Stütze gefunden hätte, welche der Mainzer Patrizier Johann
Gensfleisch von Gutenberg durch Aufstellung der ersten Druckerpresse in Stra߬
burg erfand und später erst in seiner Baterstadt durch die beweglichen Lettern
vervollkommnete. Auch so ist Straßburg eine Straße geworden, auf welcher
die neue Bildung überallhin ihren Einzug nehmen konnte; es ist aber auch
in anderen Beziehungen für den Humanismus thätig gewesen und überall
auf dem Plane, wo es gilt den Kampf für die Freiheit durchzufechten.

Freilich steht Münster, wo man durch theologische Bestrebungen enger an
das Mittelalter anknüpfte, in der Zeit voran, auch Erfurt, wo die freisinnige
Bürgerschaft eine der clericalen Bevormundung entzogene Universität gestiftet
hatte, und Heidelberg die Stadt, nicht die Universität, ward durch Dalbergs
Einfluß früher betheiligt. Aber um die Mitte des 15. Jahrhunderts sind
bereits die Männer geboren, welche in Straßburg die neue Zeit herbeiführen
sollten. Es ging damit wie in Italien so in Deutschland. Die Humanisten
führten dort ein rastloses Wanderleben und auch bei uns fehlte es nicht an
diesen Reisepredigern, welche den Verkehr unter den Gesinnungsgenossen be¬
lebten, den Scholasticimus bekämpften, alte Dichterwerke erklärten und neue
schufen (darum Poeten.) Der rührigste ist gegen den Ausgang des 1?. Jahr¬
hunderts Conrad Celtis (Pikel) aus Franken, der, ehe er 1497 eine bleibende
Stätte in Wien fand, durch ganz Deutschland zog, besonders die Universitäten be¬
suchte, überall Vorträge hielt und Genossenschaften gründete, welcheder Mittelpunkt
für die Verbreitung des Humanismus geworden sind. Zu Krakau entstand
die soclaliwL littsraria Vistulana an der Weichsel, die vMuviang. scheiterte zunächst
an den ungünstigen politischen Verhältnissen in Wien und kam erst 1497 zu
Stande, die Ls-Ities, oder ^Ibing. für die niederdeutschen Landschaften ist nur be¬
absichtigt, ebenso ein großer Verein für das gesammte Deutschland; aber in Mainz
constituirte er 1491 die Knöng.ng,, welche ihren Mittelpunkt in Heidelberg er¬
hielt und rheinauf- und abwärts zahlreiche nospitss zählte. Die Mitglieder
unterstützten sich in ihren wissenschaftlichen Arbeiten (darauf beruht die
abenteuerliche Behauptung Aschbachs, daß die Werke der Gcmdersheimer Nonne
Hrotsuit aus diesem Kreise gefälscht seien, um Deutschland als Vorläufer
Italiens auf diesem Gebiete erscheinen zu lassen), theilten einander ihre Schrif¬
ten zur Beurtheilung mit und halfen sie in weitere Kreise verbreiten. Bon
Straßburgern gehörten zu jenem Kreise der durch seine satirischen Predigten


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[0212] An den prunkvollen Höfen der zahlreichen Tyrannen und in den blühen¬ den Republiken Italiens sammelten sich die Anhänger der wiedergewonnenen Wissenschaft und zu ihren Füßen saßen lernbegierige Jünglinge und Männer aus allen Ländern, unter ihnen die Deutschen an Zahl und Eifer hervortretend. Aber die Wiederbelebung der classischen Studien würde in ihren Wirkungen weniger rasch und erfolgreich gewesen sein, wenn sie nicht an der Kunst eine sichere Stütze gefunden hätte, welche der Mainzer Patrizier Johann Gensfleisch von Gutenberg durch Aufstellung der ersten Druckerpresse in Stra߬ burg erfand und später erst in seiner Baterstadt durch die beweglichen Lettern vervollkommnete. Auch so ist Straßburg eine Straße geworden, auf welcher die neue Bildung überallhin ihren Einzug nehmen konnte; es ist aber auch in anderen Beziehungen für den Humanismus thätig gewesen und überall auf dem Plane, wo es gilt den Kampf für die Freiheit durchzufechten. Freilich steht Münster, wo man durch theologische Bestrebungen enger an das Mittelalter anknüpfte, in der Zeit voran, auch Erfurt, wo die freisinnige Bürgerschaft eine der clericalen Bevormundung entzogene Universität gestiftet hatte, und Heidelberg die Stadt, nicht die Universität, ward durch Dalbergs Einfluß früher betheiligt. Aber um die Mitte des 15. Jahrhunderts sind bereits die Männer geboren, welche in Straßburg die neue Zeit herbeiführen sollten. Es ging damit wie in Italien so in Deutschland. Die Humanisten führten dort ein rastloses Wanderleben und auch bei uns fehlte es nicht an diesen Reisepredigern, welche den Verkehr unter den Gesinnungsgenossen be¬ lebten, den Scholasticimus bekämpften, alte Dichterwerke erklärten und neue schufen (darum Poeten.) Der rührigste ist gegen den Ausgang des 1?. Jahr¬ hunderts Conrad Celtis (Pikel) aus Franken, der, ehe er 1497 eine bleibende Stätte in Wien fand, durch ganz Deutschland zog, besonders die Universitäten be¬ suchte, überall Vorträge hielt und Genossenschaften gründete, welcheder Mittelpunkt für die Verbreitung des Humanismus geworden sind. Zu Krakau entstand die soclaliwL littsraria Vistulana an der Weichsel, die vMuviang. scheiterte zunächst an den ungünstigen politischen Verhältnissen in Wien und kam erst 1497 zu Stande, die Ls-Ities, oder ^Ibing. für die niederdeutschen Landschaften ist nur be¬ absichtigt, ebenso ein großer Verein für das gesammte Deutschland; aber in Mainz constituirte er 1491 die Knöng.ng,, welche ihren Mittelpunkt in Heidelberg er¬ hielt und rheinauf- und abwärts zahlreiche nospitss zählte. Die Mitglieder unterstützten sich in ihren wissenschaftlichen Arbeiten (darauf beruht die abenteuerliche Behauptung Aschbachs, daß die Werke der Gcmdersheimer Nonne Hrotsuit aus diesem Kreise gefälscht seien, um Deutschland als Vorläufer Italiens auf diesem Gebiete erscheinen zu lassen), theilten einander ihre Schrif¬ ten zur Beurtheilung mit und halfen sie in weitere Kreise verbreiten. Bon Straßburgern gehörten zu jenem Kreise der durch seine satirischen Predigten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/212>, abgerufen am 29.12.2024.