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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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zu sein, die Besten durch Gerechtigkeit zu gewinnen, ist man darauf bedacht,
nur die Menge durch scheinbare Schmeichelei zu ködern. Statt der Kritik
sollte man der Gewalt nur blinde Ehrfurcht entgegentragen; statt mit ehrlicher
ernster Arbeit, die den Menschen bildet und freimacht, in sich zu gehen, sollte
man in einem erborgten Selbstgefühle schwelgen, das, wenn es ohne innere
Berechtigung ist, nur demoralisirt und fesselt. Selbst die Leidenschaften sind
frei, so lange sie im Dienste des Despotismus wirken.

Das war das System des zweiten Kaiserreichs und das ist das System
der jesuitischen Hierarchie, jener neuen Kirche, die durch den Staatsstreich vom
18. Juli 1870 ans Ruder gelangt ist.

Es ist klar, in welch ungeheurem Gegensatze diese Strömung zum ger¬
manischen Geiste steht und wenn es dieser Gegensatz war, der in letzter Reihe
den Krieg zwischen Deutschland und Frankreich unvermeidlich machte, so wird
man begreifen, daß Deutschland von der Weltgeschichte berufen ist, auch im
zweiten großen Kampf -- gegen Rom -- die Vertheidigung zu übernehmen.
Merkwürdig genug ist immerhin, daß die römische Kriegserklärung fast am
gleichen Tage mit der französischen erlassen ward. (18. Juli.)

Wir haben versucht, mit den vorstehenden Worten den großen historischen
Rahmen darzustellen, innerhalb dessen sich die kirchliche Bewegung vollzieht,
sowie die welthistorischen Ideen, um derentwillen der Kampf geführt wird. ,
Die Gleichartigkeit derselben liegt auf flacher Hand.

Wenn man beim Beginn des französischen Krieges befürchten mußte,
es möchte Süddeutschland der Schauplatz der Action werden, so stand es in
dem römischen Kampfe von Anfang fest, daß hier und zwar zunächst in Baiern
die Krisis zum Durchbruch kommen würde.

Und in der That, die Bewegung, an deren Anfang wir stehen, gibt
dieser Ueberzeugung Recht. Nicht nur durch seine allgemeinen Traditionen,
sondern noch speciell durch die Persönlichkeit des größten Gegners der Un¬
fehlbarkeit ward München zum Hauptquartier des großen kirchlichen Streites
und nachdem der letztere bereits Gemeingut des ganzen gebildeten Publikums
geworden ist, mag es für auswärtige Leser von Interesse sein, die Genesis
des Conflictes und den bisherigen Verlauf desselben genauer ins Auge zu
fassen. Daß wir bei dieser Darstellung jede Polemik vermeiden, bedarf wohl
keiner Versicherung, wir sind es der Sache und dem Leser schuldig. --

Es ist bekannt, daß Döllinger schon während des Concils ein Wider¬
sacher des Gedankens war, zu dessen Verwirklichung man die Väter berufen
hatte. Wenn das bereits aus den römischen Briefen der Augsburger Allge¬
meinen Zeitung, denen er nahe stand, ersichtlich war, so ging es aus mehreren
größeren Arbeiten, die der berühmte Gelehrte publicirte, zur Evidenz hervor.
Von da ab aber war Döllinger ein Gegenstand der Wachsamkeit für die


zu sein, die Besten durch Gerechtigkeit zu gewinnen, ist man darauf bedacht,
nur die Menge durch scheinbare Schmeichelei zu ködern. Statt der Kritik
sollte man der Gewalt nur blinde Ehrfurcht entgegentragen; statt mit ehrlicher
ernster Arbeit, die den Menschen bildet und freimacht, in sich zu gehen, sollte
man in einem erborgten Selbstgefühle schwelgen, das, wenn es ohne innere
Berechtigung ist, nur demoralisirt und fesselt. Selbst die Leidenschaften sind
frei, so lange sie im Dienste des Despotismus wirken.

Das war das System des zweiten Kaiserreichs und das ist das System
der jesuitischen Hierarchie, jener neuen Kirche, die durch den Staatsstreich vom
18. Juli 1870 ans Ruder gelangt ist.

Es ist klar, in welch ungeheurem Gegensatze diese Strömung zum ger¬
manischen Geiste steht und wenn es dieser Gegensatz war, der in letzter Reihe
den Krieg zwischen Deutschland und Frankreich unvermeidlich machte, so wird
man begreifen, daß Deutschland von der Weltgeschichte berufen ist, auch im
zweiten großen Kampf — gegen Rom — die Vertheidigung zu übernehmen.
Merkwürdig genug ist immerhin, daß die römische Kriegserklärung fast am
gleichen Tage mit der französischen erlassen ward. (18. Juli.)

Wir haben versucht, mit den vorstehenden Worten den großen historischen
Rahmen darzustellen, innerhalb dessen sich die kirchliche Bewegung vollzieht,
sowie die welthistorischen Ideen, um derentwillen der Kampf geführt wird. ,
Die Gleichartigkeit derselben liegt auf flacher Hand.

Wenn man beim Beginn des französischen Krieges befürchten mußte,
es möchte Süddeutschland der Schauplatz der Action werden, so stand es in
dem römischen Kampfe von Anfang fest, daß hier und zwar zunächst in Baiern
die Krisis zum Durchbruch kommen würde.

Und in der That, die Bewegung, an deren Anfang wir stehen, gibt
dieser Ueberzeugung Recht. Nicht nur durch seine allgemeinen Traditionen,
sondern noch speciell durch die Persönlichkeit des größten Gegners der Un¬
fehlbarkeit ward München zum Hauptquartier des großen kirchlichen Streites
und nachdem der letztere bereits Gemeingut des ganzen gebildeten Publikums
geworden ist, mag es für auswärtige Leser von Interesse sein, die Genesis
des Conflictes und den bisherigen Verlauf desselben genauer ins Auge zu
fassen. Daß wir bei dieser Darstellung jede Polemik vermeiden, bedarf wohl
keiner Versicherung, wir sind es der Sache und dem Leser schuldig. —

Es ist bekannt, daß Döllinger schon während des Concils ein Wider¬
sacher des Gedankens war, zu dessen Verwirklichung man die Väter berufen
hatte. Wenn das bereits aus den römischen Briefen der Augsburger Allge¬
meinen Zeitung, denen er nahe stand, ersichtlich war, so ging es aus mehreren
größeren Arbeiten, die der berühmte Gelehrte publicirte, zur Evidenz hervor.
Von da ab aber war Döllinger ein Gegenstand der Wachsamkeit für die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/192>, abgerufen am 29.09.2024.